Am Pulverschuppen
Benannt nach der früher dort gelegenen Munitionsfabrik.
Feuer im Pulverschuppen
Viele Frauen fanden in einer Munitionsfabrik Arbeit, die im Bereich des Munitionsmagazins der
münsterischen Garnison, des Pulverschuppens an der Warendorfer Straße, eingerichtet
war. Am 21. Dezember 1915 wurde sie durch Feuer völlig zerstört. Beim Schichtwechsel, gegen
18.15 Uhr abends, bemerkte man im Schuppen, in dem Pulversäckchen genäht wurden, ein Feuer. Aus
einem Ofen waren Funken auf trocknende Pulversäckchen geflogen. Etwa 1.000 Frauen retteten sich
in panischer Flucht. Bald stand der Schuppen in Flammen. Kurz vor 19 Uhr explodierte ein
Munitionslager unter ungeheurem Lärm. Blitzschnell wurden alle Häuser bis hin zum
Kaiser-Wilhelm-Ring evakuiert. Die ganze Nacht bis zum nächsten Morgen flog eine Lagerbaracke
nach der anderen in die Luft. Die Druckwellen ließen bis in die Innenstadt zahlreiche
Fensterscheiben zerspringen. in einem Umkreis von 1.000 Metern wurden Häuser und Grundstücke
von explodierenden Granaten und
Schrapnellen überschüttet, die große Schäden anrichteten. Mehrere Menschen starben noch
in den folgenden Tagen durch explodierende Blindgänger.
Quelle: Stadtarchiv Münster, Im Wandel der Zeit - 1200 Jahre Münster, Zwolle 2000,
Seite 204
Als der Pulverschuppen in die Luft flog
Die Explosionen am 21. Dezember 1915 verursachten Schäden bis zum
Prinzipalmarkt
Im Winkel zwischen Warendorfer Straße und Dortmund-Ems-Kanal lag von 1915 bis 1923 eine
Militärische Munitionsanstalt, in der 1.000 Personen Munitionsteile herstellten sowie
Granaten, Schrapnells und Raketen zusammensetzten. Hier lagerten auch Zünder, Kartuschen und
Beutemunition. Arbeiterinnen verfüllten Pulverladungen in Beutel, die an Ort und Stelle genäht
wurden.
Drei Tage vor Heiligabend kam es in einem Arbeitsschuppen zu einem Brand, der sich zur größten Explosionskatastrophe in Münsters Geschichte entwickeln sollte. Nach einem dumpfen Knall um 18.15 Uhr brannte der Nähsaal für Pulverbeutel lichterloh; das Feuer griff bald auf die anderen Schuppen über. Es war gerade Schichtwechsel, als der anwesende Feuerwehroffizier das Alarmsignal gab und per Fernsprecher eine Feuermeldung an das Artilleriedepot gab. Das Alarmsignal veranlasste die Belegschaft zu einer panikartigen Flucht, bei der sich einige am Stacheldrahtzaun verletzten, weil der Militärposten das verschlossene Tor nicht gleich öffnen konnte. Wenig später flog gegen 19 Uhr das Munitionslager laut krachend in die Luft. Es kam zu einem Inferno; andere Baracken des Lagers folgten.
Der Stadtarchivar Eduard Schulte berichtete: "Bei jeder Entladung hob sich feuerrot eine glühende Masse empor; wie zuckende Blitze sprangen aus ihr nach allen Seiten die glühenden Granaten, Schrapnells und Leuchtraketen ab. Dann knäulte sich ein großer dichter Rauchballen zusammen; ihn unterbrachen bald züngelnde Feuergarben." Fünfmal noch kam es am Abend und in der Nacht bis vier Uhr morgens zu schweren Explosionen. Nach Professor Felix Hase, Lehrer des Paulinums, erhob sich eine Feuergarbe glühender Körper und beleuchtete eine mächtige weiß-graue Wolke.
Wegen der Gefahr weiterer Explosionen wurde den angerückten drei Kompanien der hier stationierten Dreizehner der Befehl gegeben, Deckung zu nehmen. Beim Anlegen der Schläuche musste die Feuerwehr recht bald das Feld wegen zu großer Lebensgefahr räumen; außerdem stand kein Tropfen Löschwasser zur Verfügung. In Blitzdorf flohen die Bewohner oder wurden vom Militär zum Verlassen ihrer Wohnung genötigt. Die Absperrung des Geländes reichte zunächst bis zum Schifffahrter Damm und wurde bald bis zur Dechaneistraße und dann zum Kaiser-Wilhelm-Ring ausgedehnt. Durch die Hitzeentwicklung flogen auch die im Boden gelagerten Granaten in die Luft. Man befürchtete auch die Explosion des Schuppens Nr.3, in dem 5000 Kilogramm Schwarzpulver lagerten. Dieser Schuppen blieb aber bestehen. Auf Veranlassung des Stadtbaurats wurden an Heiligabend 20 Soldaten abkommandiert, der Brandwache zu helfen, im Einvernehmen mit dem Militär das Schwarzpulver aus den Fässern in den Dortmund-Ems-Kanal zu schütten.
Die Beratung des Magistrats mit dem Absperrungskommando führte zu der folgenden Bekanntmachung des Oberbürgermeisters Jungeblodt: "Zur Beruhigung des Publikums mache ich darauf aufmerksam, daß nach Anordnung der Militärbehörde eine Räumung von Häusern nur für die Warendorfer Straße von der Kanalbrücke bis zum Schifffahrter Damm in Frage kommt. Alle übrigen Meldungen sind irrig."
Es folgte eine Bekanntmachung des Kommandierenden Generals, weil diese Verlautbarung des Magistrats nicht zur völligen Beruhigung der Bürgerschaft geführt habe: "Jede Explosionsgefahr ist geschwunden. Die Gerüchte, wonach sich auf der Brandstätte größere Mengen Dynamit oder derartige Sprengstoffe unterirdisch oder über der Erde befinden sollen, ist unwahr. Die einzige reale Gefahr bestehe jetzt darin, dass die noch herumliegenden, nicht eingesammelten Geschosse und namentlich die Zünder berührt und dadurch zur Explosion gebracht werden."
Trotz dieser Warnung wurden innerhalb der Absperrungslinie drei Zivilpersonen durch krepierende Blindgänger schwer verletzt. Daraufhin wurde die Absperrung verstärkt. Standquartier für die Wachen war die Wirtschaft Hülsböhmer. Außerdem gab es Wachen an Haus Mauritzheide, an der Ziegelei und an der Station St. Mauritz. Ein Posten nahm einen Blindgänger mit ins Lager Rennbahn, dort explodierte die Granate und tötete drei Landsturmleute.
Die Wirkung des Unglücks war gewaltig. An den Lagerstätten der Munition entstanden große Sprengtrichter. Einer davon war acht Meter tief und hatte einen Durchmesser von 25 Metern. Die Gebäude der Munitionsanstalt waren dem Erdboden gleich zerstört, das angrenzende Birkenwäldchen war völlig zerfetzt.
Außer Blitzdorf erlitten die meisten Schäden die Kaffeewirtschaft St. Mauritz, das Kloster zum Guten Hirten, und das Landhaus des Regierungspräsidenten von Gescher an der Mauritzheide. Im Umkreis von 1000 Metern wurden die Häuser und Grundstücke von Granaten fast überschüttet. Bis weit in die Stadtmitte hinein wurden Decken und Möbel beschädigt, Fensterscheiben zersprangen. Auf dem Prinzipalmarkt und der Ludgeristraße gingen auch große Schaufensterscheiben zu Bruch.
Der Sachverständige hatte viel zu tun, um jedes geschädigte Haus im Umfang seiner Wertminderung zu schätzen. Er kam dabei zu dem Ergebnis: "Bei der sorgfältigsten Reparatur werden später bei der geringsten Veranlassung, hervorgerufen durch Sturm, Grundwasserstands-Änderung, Fahren schwerer Fuhrwerke usw. die Gebäudeteile wieder erschüttert und die durch die Explosion hervorgerufenen Schäden werden sich stets erneuern, vielleicht gar vergrößern." In aller Regel bezifferte der Sachverständige die Wertminderung der Häuser in Blitzdorf auf "10 v.H.".
Die Katastrophe führte bei den Münsteranern zu großer Aufregung und Angst. Denn da es im Krieg zur Brandursache keine verlässlichen Nachrichten gab, war man auf Gerüchte und Spekulationen angewiesen. So war von Bombardements alliierter Flugzeuge die Rede, oder von englischen Truppen, die durch die Niederlande ins Münsterland vorgestoßen seien und die Stadt mit Artillerie beschossen hätten. Andere suchten die Ursache bei Spionen und Saboteuren.
Mit der Untersuchung der Schuldfrage für das Unglück wurde vom stellvertretenden Generalkommando das Gericht der 26. Stellvertretenden Infanterie-Brigade beauftragt. Dieses lieferte am 20. Februar 1916 einen vorläufigen Bericht ab. Danach hätte das Feuer auf den Nähschuppen begrenzt werden können, wenn die notwendigen Vorsichtsmaßregeln eingehalten worden wären. Dadurch wäre ein Übergreifen des Feuers auf die gelagerte Munition mit seinen verheerenden Folgen vermieden worden. Dagegen wollte das Artillerie-Depot von einem Versäumnis militärischer Stellen nichts wissen. Ursache der Explosionskatastrophe müsse ein Sabotageakt sein, verursacht von einem englischen Agenten.
Am 15. September 1916 gab das Gericht dem münsterschen Magistrat recht, dass technische und bauliche Schlampereien in der Munitionsanstalt als Ursache der Katastrophe anzusehen seien. Als Brandherd im Nähschuppen wurden gusseiserne Öfen ausgemacht, deren Lüftungsschlitze Funkenflug in den Nähsaal ermöglichten. Einem dieser Öfen gegenüber standen in einem Abstand von etwa 30 Zentimeter Regale mit befüllten Pulversäckchen.
Die Schadenshöhe der vernichteten Munition wurde auf 8 bis 10 Millionen Mark geschätzt. Die finanzielle Regulierung der materiellen Schäden für Privatleute und die Stadt Münster erwies sich als schwierig und langwierig. Bis zum 20. Januar 1916 hatte der Magistrat 1.063 von 1.840 ausgegebenen Formularen zur Anmeldung von Schadensersatzansprüchen betroffener Bürger zurückerhalten. Das Artillerie-Depot versuchte die Schäden nicht vollständig, sondern nur zu 75 Prozent zu ersetzen. Auch eine Vermittlung durch den Reichstagsabgeordneten Erzberger vermochte die Schadensregulierung weder zu beschleunigen noch eine volle Übernahme der Schadenssumme durch den Militärfiskus zu erzielen. Das Kriegsministerium stellte am 9. September 1916 befriedigt fest, es sei gelungen, die Forderungen von 425.000 auf 273.000 Mark zu ermäßigen.
In Münster blieb trotz der durch den Versailler Friedensvertrag festgelegten Beschränkungen die
Befürchtung, die Heeresverwaltung plane erneut auf dem Gelände der Anstalt Mauritzheide
Kampfmittel und Munition zu lagern. Auf eine Anfrage von Oberbürgermeister Georg Sperlich vom
6. Januar 1923 antwortete die 6. Division des Wehrkreiskommandos VI, eine solche Einrichtung
sei in jener Gegend nicht geplant. Außerdem seien die Aufräumarbeiten am ehemaligen Depot
beendet.
Autor: Wolfgang Gernert
Quelle: Westfälische Nachrichten, Auf Roter Erde, Heimatblätter für Münster und das
Münsterland, Dezember 2015
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Explosion der Munitionsanstalt auf der
Mauritzheide
Link zur Internetseite des Stadtarchivs / Kriegschronik 1914-1918 / Stadtgeschehen
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