Straßennamen als Zeichen ihrer Zeit
Auf dem Alerdinck-Plan von 1636, einem berühmten frühen Stadtplan Münsters, findet sich noch kein Straßenname, der der Erinnerung an eine Person dient. Erst 150 Jahre später gab es den ersten personenbezogenen Straßennamen. Für das Jahr 1784 ist die Clemensstraße, für die ab 1933 die Schreibweise Klemensstraße galt, erstmalig belegt. Sie erhielt ihren Namen nach Fürstbischof Clemens August von Bayern. Er stiftete das anliegende frühere Clemenshospital. Vom Gebäudekomplex ist heute nur noch die Clemenskirche erhalten. Ob es sich um eine bewusste Benennung handelt, ist nicht feststellbar.
Nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 fanden sich zunehmend mehr Personen auf den Straßenschildern. Das erklärt sich zum einen durch das Entstehen vieler neuer Straßen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, zum anderen durch eine neue Phase staatlicher, nationalistischer Geschichtspolitik.
Straßenbenennungen im Kaiserreich (1870 bis 1918) und in der Weimarer Republik (1919-1933)
In den Jahrzehnten ab 1870 bis heute lassen sich regelrechte Konjunkturen für Straßen-Benennungen feststellen. Zwischen 1870 und 1932 kamen deutsche Kaiser sowie Staatsmänner (Bismarck) auf die Straßenschilder. Gerne bedacht wurden hochrangige Militärangehörige (Goeben-, Hornstraße) oder Adelsgeschlechter (Hohenzollenring, Staufenstraße) oder nationalbedeutende Dichter wie Friedrich Schiller. Um den Ersten Weltkrieg hatten Generäle und Kriegshelden als Namensgeber Konjunktur. Mit der Umbenennung des Neuplatzes in Hindenburgplatz 1927 wurde der Generalfeldmarschall und Reichspräsident mit einem Straßennamen geehrt. Gleichzeitig erfolgte die Umbenennung des Hansaplatzes an der Wolbecker Straße in Friedrich-Ebert-Platz.
Straßennamen im Nationalsozialismus (1933 bis 1945)
Die Nationalsozialisten schufen die ersten reichsweit einheitlichen Benennungsregeln. Außerdem kam es 1933 das erste Mal zu "Entehrungen". So wurde in Münster der nach dem sozialdemokratischen Reichspräsidenten benannte Friedrich-Ebert-Platz wieder umbenannt. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten gelangten zudem die NS-Parteigrößen ins Straßenbild. Aus der Bahnhofsstraße wurde die "Adolf-Hitler-Straße". Das widersprach den selbst gesetzten Regeln, nach denen eigentlich nur bereits verstorbene Personen geehrt werden sollten. Nur wer als "arisch", männlich und linientreu galt, konnte mit einer Straße geehrt werden.
Bei den Nationalsozialisten waren die Generäle und Schlachtorte des Ersten Weltkriegs gern verwendete Namensgeber. Mit den Straßenbenennungen wollten die Nationalsozialisten ihr politisches Programm im Stadtplan verewigen: "Danziger Freiheit" war als Forderung zu verstehen (Aufhebung des Straßennamens im Jahr 2020). Mit dem Anschluss Österreichs 1938 kamen entsprechende politische Forderungen auf die Straßenschilder, so etwa die Ostmarkstraße, oder Straßen wurden nach österreichischen Städten benannt, die nun "deutsch" waren.
Während die Umbenennungen 1933 noch auf den Vorschlag der NSDAP-Fraktion im städtischen Parlament zurückgingen, erfolgten die meisten Umbenennungen während der NS-Zeit zwischen 1937 und 39 auf Anordnung des Oberbürgermeisters und Polizeipräsidenten.
Umbenennungen nach 1945
Noch im März 1945 stellte die Proklamation Nr. 1 der britischen Militärregierung klar, dass alle Spuren des Nationalsozialismus und deutschen Militarismus endgültig zu vernichten seien. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es also, die Straßennamen zu entnazifizieren. Adolf Hitler, Horst Wessel, Hermann Göring oder Albert Leo Schlageter wurden schnell wieder von den Schildern genommen.
Die Forderung der Alliierten, alle militaristischen Namen – also auch Weltkriegsgeneräle wie Hindenburg oder Schlachtorte wie Langemarck – von den Schildern zu verbannen, fand jedoch keine Umsetzung. Zwar beschloss eine Benennungskommission, besetzt mit Ratsmitgliedern, Verwaltungsmitgliedern, sachverständigen Lokalhistorikern und dem Stadtarchivar, die Umbenennung von entsprechend belasteten Straßen (insgesamt 26 Namen). Doch dieser Beschluss wurde in der Folgezeit nur in kleinen Teilen umgesetzt.
Die seit 2021 in Diskussion befindlichen Namen hätten größtenteils bereits 1947 umbenannt werden sollen. Diese Straßennamen-Kommission tagte bis in die 1970er Jahre. Auch heute werden Fachleute aus den Geschichtswissenschaften bei der Beurteilung problematischer Straßennamen herangezogen.
Bei der Wahl neuer Namen verzichteten die politischen Gremien in den ersten Nachkriegsjahren zunächst auf politische Bezeichnungen und griff auf scheinbar unpolitische Namen etwa von Dichtern zurück. Auch katholische Würdenträger waren in Münster beliebte Namensgeber für die Straßen. Eine Auseinandersetzung mit der NS-Zeit fand lange Zeit nicht statt.
Ehrungen durch Straßennamen in der Bundesrepublik bis in die Gegenwart
In den 1960er Jahren wandelte sich der Umgang mit der NS-Vergangenheit. Das bildet sich in Straßennamen ab. Vor allem Mitglieder des militärischen Widerstands des 20. Juli 1944 erhielten nun Straßen: Stauffenbergstraße oder Beckstraße zum Beispiel. Dazu kamen Personen aus dem kirchlichen lokalen Widerstand gegen das NS-Regime.
Seit den 1980er Jahren nahmen breitere gesellschaftliche Schichten an der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit teil. Das gestiegene Interesse an der lokalen NS-Geschichte äußerte sich in Ausstellungen oder Gedenkveranstaltungen. Erstmals gedachte die Stadt Münster nun mit Straßennamen der jüdischen Opfer des NS-Regimes. So erhielt 1988 eine Gasse in der Altstadt den Namen des 1944 in Auschwitz ermordeten Rabbiners der jüdischen Gemeinde Münsters, Julius Voos.
Der 40. Jahrestag der Reichspogromnacht war in Münster Anstoß für eine Aufarbeitung lokaler Schicksale. Im Jahr 1988 wurde der "Reha-Mathel-Falk-Weg" benannt in Erinnerung an ein jüdisches Mädchen aus Münster. Sie wurde im Alter von 5 Jahren nach Auschwitz deportiert und umgebracht. Vorher war die Straße nach Willi Hölscher benannt. Er war ein Jagdflieger des Ersten Weltkriegs und wurde als Kriegsheld verehrt. Die Benennung des Weges fand 1939 statt, als mit der Benennung von Straßen nach Kriegshelden des Ersten Weltkrieges die Kriegspolitik des Nationalsozialismus unterstützt werden sollte.
Einen weiteren Sonderfall stellt die Moltkestraße dar, die seit 1990 an zwei Familienmitglieder mit diesem Namen erinnert: Zunächst ehrte der Straßenname seit 1924 den preußischen General Helmuth Graf von Moltke, seit 1990 dessen Großneffen Helmuth James Graf von Moltke, dem Widerstandskämpfer des Nationalsozialismus. Zunehmend erhielten seit der Wiedervereinigung sozialdemokratische Größen wie Carlo Schmid oder Willy Brandt Straßennamen in Münster.
Mit der Greta-Bünichmann-Straße (1994) drang die Gruppe der Opfer der frühneuzeitlichen Hexenprozesse in das öffentliche Bewusstsein. Diese Benennung wurde von Anwohner*innen heftig diskutiert. Die Aufklärung der historischen Fakten brachte eine gewisse Beruhigung.
Mittlerweile stehen Benennungen der Nachkriegszeit in der Diskussion. Neue Forschungen zeigten etwa, dass der Mediziner Karl Wilhelm Jötten im Nationalsozialismus Untersuchungen an Kindern durchgeführt hatte, welche die Zwangssterilisation von Kindern förderten. Auch Martin Heideggers Bekenntnis zum Nationalsozialismus sowie seine antisemitische Grundhaltung werden mittlerweile kritischer bewertet als zum Zeitpunkt der Straßenbenennung.
Höhepunkt der Diskussionen: Umbenennung des Hindenburgplatzes 2012
Vor allem die Umbenennung des ehemaligen Hindenburgplatzes in Schlossplatz hielt Münsters Stadtgesellschaft von 2010 bis 2012 in Atem. In teilweise hitzigen Diskussionen in den Medien, Bürgerversammlungen, Bezirksvertretungen oder im Rat stritten Umbenennungswillige und ihre Gegner*innen um die Frage, ob Straßen und Plätze umbenannt werden sollten, wenn sie den umstrittenen ehemaligen Reichspräsidenten oder in der NS-Zeit aktive Schriftsteller*innen, Kulturfunktionäre oder Wissenschaftler*innen ehrten. Insgesamt elf Straßennamen wurden diskutiert. Nicht immer folgten die politischen Gremien den Empfehlungen der Expert*innen.
Mit 53 zu 23 Stimmen entschied der Rat der Stadt Münster am 21. März 2012 die Umbenennung des Hindenburgplatzes in Schlossplatz. Gegen den Ratsbeschluss gab es nach emotionalen Diskussionen ein Bürgerbegehren. Der folgende Bürgerentscheid fand am 16. September 2012 statt und scheiterte: 59,38 Prozent der abgegebenen Stimmen votierten für die Beibehaltung des Namens Schlossplatz.
Übersicht über die 2010-2012 diskutierten Straßennamen
Straßenname | Empfehlung der Kommission | Beschluss des polit. Gremiums |
einstimmig für Umbenennung | nicht umbenannt, BV Ost | |
einstimmig für Umbenennung | nicht umbenannt, BV Ost | |
Franz-Ludwig-Weg | einstimmig für Umbenennung | Umbenennung in Heinrich-Hemsath-Weg, BV Mitte |
empfiehlt mehrheitlich keine Umbenennung | nicht umbenannt, BV Ost | |
Humborgweg | empfiehlt mehrheitlich keine Umbenennung | aufgehoben (Aa-Seitenweg), BV Mitte |
Jöttenweg | einstimmig für Umbenennung | Umbenennung in Paul-Wulf-Weg, BV Mitte |
Pfitznerstraße | einstimmig für Umbenennung | Umbenennung in Margarete-Moormann-Straße, BV Mitte |
einstimmig für Umbenennung | nicht umbenannt, BV Ost | |
einstimmig gegen Umbenennung | nicht umbenannt, BV Mitte | |
Wagenfeldstraße | einstimmig für Umbenennung | Umbenennung in Robert-Blum-Straße, BV Mitte |
Hindenburgplatz | mehrheitlich für Umbenennung | Umbenennung in Schlossplatz, Rat |