Bogengänge
Heute ist klar: Die Bogengänge sind öffentlich
1888 klagte ein Kaufmann: Das Areal unter dem Bogengang, meinte er, gehöre ihm - Gericht gab ihm unrecht
Die Freude über sein erstinstanzlich gewonnenes Recht war für den Kaufmann F. C. Münch im Jahr 1888 nicht von langer Dauer: Denn die Stadt Münster, gegen die er geklagt hatte, bekam beim Oberlandesgericht in Hamm „im Namen des Königs" in der zweiten Instanz recht: Das Areal unter dem Bogengang vor seinem Haus am Prinzipalmarkt Nr.24 gehört nicht ihm, sondern ist öffentliche Fläche und Teil des Marktes. In einem Bericht über dieses Urteil kann man allerdings neben der Auseinandersetzung zwischen dem Kaufmann und der Stadt auch viel Interessantes über das Leben damals in der „guten Stube" lesen. Heute übrigens ist eindeutig klar, daß es sich bei den Bogengängen um öffentliche Flächen handelt. Vor einigen Jahren wurden die bis dahin „ungebuchten" Flächen in das Grundbuch eingetragen.
Einig waren sich Stadt und Bürger darin, daß sich die Bogengänge schon seit Jahrhunderten vor dem Erdgeschoß der Häuser an beiden Seiten des Marktes und unter dem ersten Stockwerk erstreckten. Nach innen waren sie begrenzt durch die fast überall sich befindenden Schauläden und nach außen durch die Pfeiler, auf denen die Giebelmauer der Häuser ruhten. Keine Probleme gab es auch darum, daß dieser Gang stets als öffentlicher Fußweg und für den Marktverkehr gebraucht worden war. Und schließlich gab es Übereinstimmung darin, daß die Flächen, auf denen die Pfeiler errichtet sind, zum Grundstück gehören. Doch damit endete dann die Gemeinsamkeit der Anschauung. Denn Kaufmann Münch hat nach seiner Ansicht beim Kauf seines Hauses – das die Stadt früher als Fleischhalle benutzt hatte – mit seinen 7710 Thalern alle „Zubehörungen und Gerechtsamen" erworben. Und darunter verstand er auch das Eigentum am Bogengang. Folge? Er habe in den 60er Jahren dort gegen Entgelt dem Scherenschleifer Westermann und Obstverkäuferinnen Platz angeboten. Außerdem habe er auf seine Kosten dort 1875 Klinker legen lassen, später sogar die Zementierung bezahlt. Hauptargument des streitbaren Kaufmanns war dann allerdings, daß nach der ganzen Bauart der Bogenhäuser dieser Gang als Teil des Hauses anzusehen sei – er belegte das mit dem Grundrissen jener Häuser, die Mitte des 12. Jahrhunderts an der Domhofgrenze erbaut worden seien und schon damals mit Laubengängen errichtet waren. In der münsterschen Bischofschronik gar blätterte der Kläger, um Argumente zu sammeln. Zur Regierungszeit Bischof Ludwig I., so stehe dort verzeichnet, hätten die reichsten Bürger Münsters steinerne Bögen errichtet, um ihre Waren auf ihrem Grund und Boden auslegen zu können.
Die Stadt blätterte ebenfalls, allerdings in der „Geschichte der Wiedertäufer" von Kerßenbrock, um Gegenargumente zu liefern. In der Mitte des 16.Jahrhunderts werde dort der Bogengang als „via publica" bezeichnet. Er habe stets dem Marktverkehr gedient und sei auch in der fürstbischöflichen Verordnung von 1720 und 1768 als Teil des Marktes den marktpolizeilichen Bestimmungen unterworfen gewesen. Eine Überbauung dieser Gänge sowie Anlage von Kellern beruhe auf polizeilicher Erlaubnis. Für die Stadt gibt der Zustand der Fundamente allerdings nur her, daß die ursprünglichen Häuser bis zur Fluchtlinie der heutigen Schauläden gebaut waren. Der Bischof habe als Land- und Grundherr den Markt eingerichtet und die Erbauung der Häuser gemeinsam mit der Gemeinde erlaubt. Möglich wurde das, nachdem Immunitätsmauer und Graben rund um die Domburg ihren Wert verloren hatten durch die Errichtung von Wall und Graben um die Außenstadt.
Aus all diesen und weiteren Argumenten zog der Hammer Senat dann den Schluss, daß das Areal des Ganges nicht integrierender Teil der Hausbesitzung sei.
Aus verschiedenen Zeugenaussagen ergibt sich rund um diesen Prozeß ein Bild vom Leben zur damaligen Zeit auf dem Prinzipalmarkt und in den angrenzenden Straßen. Gärtner, Obst- und Gemüsehändler, ein Pfeifenmacher und ein Nagelschmied beispielsweise hatten ihre Stände zwischen den Bögen. Die Erlaubnis dazu erhandelten sie sich von den jeweiligen Hausbesitzern entweder gegen Entgelt oder auch Naturalien - etwa Milch - manchmal auch gegen Dienstleistungen, etwa Straßenfegen, Wassertragen oder Fensterputzen.
Die Wochenmarktordnung für die Stadt Münster schreibt die Plätze, an denen sich das Marktgeschehen abspielte, genau vor. So war der Prinzipalmarkt den Gartenfrüchten vorbehalten. Die Bögen am Prinzipalmarkt, Roggenmarkt und Bogenstraße boten Raum für das Angebot an Eiern, Milch, Butter in Wellen, Obst und Blumen. Auch Landleute durften hier anbieten, und zwar Wild, Federvieh, Käse und Leinen in einzelnen Stücken. Wenn die Straße am Domplatz sich in einen Markt verwandelte, dann wurden hier Schweinefleisch, Brot und Fleischwaren angeboten. Zusätzlich fand man dort Töpfer, Korbmacher und Holzwaren. Auf dem freien Platz zwischen Bergstraße und Spiekerhof duftete es dann stets nach Fisch, wobei hier auch die Händler für frisches Fleisch zu finden waren. Richtig ländlich wurde es an der Königsstraße: Hier konnte man sich mit Holz und Kloben, mit Stangen und Ruthen sowie Heu und Stroh eindecken. Am Roggenmarkt standen dann die Fuhrwerke, von denen direkt Getreide, Hülsenfrüchte und Sämereien herab verkauft wurden. Falls der Andrang hier zu groß wurde, konnten die Händler auch noch die Neubrückenstraße belegen. Kalk gab es am Kalkmarkt. Auf der Rothenburg schließlich stand die Stadtwaage – hier konnte man sich mit Butter in Fässern eindecken. An der Ludgeristraße schließlich warteten Kartoffeln und Herbstkohl auf Fuhrwerken auf ihre Käufer.
Blickt man noch ein wenig weiter zurück – wenn man nämlich die Marktordnung von 1846 zur Hand nimmt – kann man eine ähnliche Standverteilung feststellen. Allerdings kam damals noch ein vereideter Kohlenmesser am Kalkmarkt sowie ein Holzmesser an der Königsstraße zur Arbeit. Damals unterschied man noch zwischen den städtischen und auswärtigen Anbietern, denen man verschiedene Standplätze anwies. Die münsterschen Metzger beispielsweise benutzen die städtischen Fleischhallen. Und eben so eine Fleischhalle war jenes Haus gewesen, daß unser Kläger Kaufmann Münch 1846 für 7710 Thaler von der Stadt erworben hatte und um dessen Grundbesitz sich der Gerichtsstreit entzündet hatte.
Autorin: Heike Hänscheid
Quelle: Münstersche Zeitung, vom Samstag, 11. Mai 1985.