Henny-Waldeck-Weg
Statistischer Bezirk: Mecklenbeck
Entstehung: 2017
Amtsblatt: 21/2018
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Benannt nach Henny Waldeck (1884-1944), jüdische Geschäftsfrau in Münster, Mutter von fünf Kindern, betreute Alte und Kranke der jüdischen Gemeinde. Ermordet im KZ Auschwitz.
- Position des Stolpersteins im Stadtplan.
Henny Waldeck geb. Herzfeld, am 14.1.1884 als drittes von sieben Kindern in
Bochum geboren, kam nach ihrer Heirat 1912 mit dem Witwer Carl Waldeck (*1870 Zierenberg/Kassel
- 1944 Ghetto Theresienstadt) nach Münster. Dieser hatte 1899 eine Haushaltswarenhandlung in
der Bogenstraße 18 eröffnet.
Zusammen mit ihren eigenen vier Kindern zog Henny Waldeck den Sohn aus der ersten Ehe ihres
Mannes auf. In den 1920er Jahren nahm sie ihren Vater zu sich, der 1935 in Münster starb.
Um ihre Kinder vor einer Außenseiterstellung zu bewahren (Unterricht am Sonntag für jüdische
Kinder) setzte sie sich für Reform und Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft ein. Wegen des
Geschäftsbetriebs fuhr sie mit den Kindern allein in Urlaub (z.B. nach Norderney), ihr Mann
anschließend zur Kur. Wie christliche Eltern aus dem Mittelstand strebte das Ehepaar Waldeck
eine Grundausbildung für ihre Kinder in musischer (Klavierunterricht) und sportlicher (Tennis,
Radfahren, Leichtathletik) Hinsicht an.
Henny Waldeck war im Haushaltswarengeschäft ihres Ehemannes tätig, das sich seit 1918 am
Roggenmarkt 10 befand, und ab 1932 am Alten Fischmarkt 11/12. Dort trafen den 63-jährigen Carl
Waldeck Ende März 1933 die ersten Diskriminierungsmaßnahmen der NS-Regierung. Infolge der
Weltwirtschaftskrise meldete er das Geschäft zum 31.3.1933 ab und besuchte seitdem als
Vertreter seine ehemalige Kundschaft. Henry Waldeck eröffnete an der Rothenburg bis zum Verbot
durch die "Nürnberger Gesetze" einen Mittagstisch.
In der Wohnung Langenstraße 42, wo die Familie 1937 bis 1939 wohnte, nahm Henny Waldeck vier
bis fünf jüdische Menschen in Kost und Logis. Der hohe Altersdurchschnitt der jüdischen
Gemeindemitglieder bedingte einen vermehrten Aufwand an Sozialfürsorge. Da kaum jemand die
Unterbringungskosten in einem jüdischen Altenheim aufbringen konnte, war ihre Privatpension
sowohl für die Betagten, die in vertrauter Umgebung blieben, als auch für sie selbst
(Zuverdienst) eine gute Lösung.
Zwischen 1934 und 1937 finanzierte das Ehepaar Waldeck die Emigration von dreien ihrer fünf
Kinder, die in Deutschland keine Berufs- und Zukunftsperspektive hatten. Erst nach dem Pogrom
1938 sahen beide ihre eigene Existenz gefährdet. Im August 1939 baten sie die Devisenstelle um
Ausfuhrgenehmigung des Umzugsgutes, das bereits bei einem Münsteraner Spediteur eingelagert
war. Die geforderte "Ausfuhrförderungsabgabe" für die zur Emigration neu angeschafften
Gegenstände, wie Klappbetten und Petroleumkocher, konnten sie nicht mehr zahlen. Zu diesem
Zeitpunkt hofften sie zum jüngsten Sohn nach Argentinien gelangen zu können, und hatten die
Zusicherung des "Hilfsvereins der Deutschen Juden", einen Teil der Überfahrtkosten zu
übernehmen. Der Umzug zur Salzstraße 31 als Nachmieter des in die Niederlande emigrierten
Arztes Dr. Levy erfolgte am 17.3.1940, obwohl die relativ teure Neubauwohnung Waldecks ihre
finanziellen Verhältnisse überstieg.
Mit der Ausweitung des Krieges wurde der Kontakt zu ihren Kindern - sie emigrierten zwischen
1926 und 1939 nach Palästina, Argentinien bzw. in die USA - immer schwieriger. Um für eine
Flucht zu ihnen gerüstet zu sein, frischte Henny Waldeck ihre Englischkenntnisse auf und nahm
mit ihrem Mann Spanischunterricht. Im November 1941 wurde Henny Waldeck mit ca. 12-15 jüdischen
Frauen unterschiedlichen Alters in der "Kasein- und Trockenkartoffelfabrik Strohmeyer,
Rodatz & Co." in Ostbevern-Brock zwangsverpflichtet. Sie berichtete ihrem Sohn darüber:
"... es war nicht immer sehr leicht für mich, da ich jeden Morgen um 5 1/2 Uhr
aufstehen muß, um 6 1/2 Uhr geht der Zug, nachmittags um 3 Uhr bin ich dann wieder zu
Hause."
Henny und Carl Waldeck hatten Anfang November 1941 die Wohnung Salzstraße räumen müssen und
wurden im "Judenhaus" Meppener Straße 27 untergebracht. Nun stand ihnen lediglich ein
einziges Zimmer zur Verfügung: "...haben wir nun keine Einnahmen mehr und müssen sehen
fertig zu werden, wir leben sehr einfach und bescheiden.", berichteten sie den Kindern. Das
bedeutete, dass sie keine Pensionsgäste mehr aufnehmen konnten und somit eine finanzielle Basis
fehlte. Wenige Wochen später erfolgte die Deportation der meisten Insassen dieses
"Judenhauses" nach Riga. Hinsichtlich der "Verschickung" der 57 Jahre alten Henny
Waldeck mit ihrem 14 Jahre älteren Ehemann Carl hatte es im Vorfeld der Deportation
Diskussionen gegeben, die zur Rückstellung des Ehepaares führten. Henny Waldeck schilderte
ihren Gemütszustand Anfang Dezember 1941 ihrem Sohn Hans: "... gesund sind wir aber so
nervös und aufgeregt, wie Du Dir gar nicht denken kannst, wir haben schrecklich sorgenvolle
Wochen hinter uns & wer weiß, was uns noch für Sorgen bevorstehen, nächste Woche verreisen
viele unserer guten Freunde und Bekannte[n]. Ob wir sie je wiedersehen, glaube ich nicht. ...
Wir haben die Reise vorläufig aufgeschoben, mit Rücksicht auf Vaters Alter, er kann die Kälte
nicht gut vertragen."
Von einer aktiven Einflussnahme auf die Entscheidung über Transport oder Verbleib, wie sie
dieser Brief nahelegen könnte, kann jedoch keine Rede sein. Die Betroffenen hatten den
Anordnungen Folge zu leisten. Ausschlaggebend für die Gestapo war die festgesetzte Personenzahl
pro Sonderzug. Die Zurückgestellten waren sich daher bewusst, dass ihr Verbleib nur von
vorübergehender Dauer war. "... Im Frühjahr wird es wohl so weit sein," vermerkte daher
Henny Waldeck. Im Dezember 1941, eine Woche vor der ersten Deportation aus Münster, hatte Henny
Waldeck den Kindern wegen deren ihrer Meinung nach mangelnden Initiative zu ihrer Rettung
massive Vorwürfe gemacht: "... es ist von allen Enttäuschungen, die ich im Leben hatte, die
größte ..."
Wenige Tage nach der zweiten Riga-Deportation am 27. Januar 1942 wurden die noch verbliebenen
Juden - ausgenommen die in "privilegierter Mischehe" lebenden Personen - aus den
"Judenhäusern" in die Marks-Haindorf-Stiftung (ehemalige jüdische Schule) verlegt.
Dort verblieb das Ehepaar Waldeck die folgenden fünf Monate bis zu seiner Deportation. Ihrem
Sohn Hans in Argentinien beschrieb Henny Waldeck die Zustände: "Wir haben Susis [Tochter
des vormals dort wohnenden und inzwischen nach Argentinien emigrierten Rabbiners Steinthal]
ehemaliges Schlafzimmer, es ist Wohn-, Schlafzimmer, Küche alles zusammen, das wirst Du Dir
wohl kaum vorstellen können ..." Die Fluktuation durch Zu- und Wegzug verursachte bei den
Bewohnern ein Gefühl bedrohlicher Instabilität und Isolation. Henny Waldeck schreibt in ihrem
letzten Brief an ihren Sohn Hans: "Die Gemeinde ist nur klein, wie Du Dir wohl denken
kannst, wenn wir alle hier [in der Marks-Haindorf-Stiftung] wohnen, unsere meisten
Bekannten sind fort." Angesichts der nun unleugbaren Gewissheit, dass auch ihr Ehemann und
sie nicht mehr lange in Münster bleiben würden, fügt sie voller Resignation hinzu: "Ach mein
lieber Hans, wenn wir uns doch recht bald wiedersehen könnten, aber leider glaube ich nicht,
dass es sobald sein wird und ob es überhaupt noch einmal sein wird?"
Vom letzten "Judenhaus", Am Kanonengraben 4, stellten Carl und Henny Waldeck
einen Antrag auf Verkauf von Küchenutensilien, die sich beim Spediteur befanden. Die
Genehmigung erreichte sie jedoch nicht mehr. Erst nach der Deportation traf sie ein, so dass
der Verkaufserlös nicht mehr ihnen zufiel, sondern dem Staat. In Erwartung ihrer Heimkehr nach
dem Krieg hatte Henny Waldeck dem Juwelier Nonhoff aus Münster "bis zum Kriegsende" eine
Brillantbrosche übergeben, die dieser in Verwahrung nahm. 1952 sandte er sie an die Tochter
Gerda in den USA. Trotz aller Versuche von Seiten der Kinder misslang die Emigration des
Ehepaares Waldeck. Am 31.7.1942 wurde es mit den letzten Münsteraner Juden in das Ghetto
Theresienstadt deportiert, wohin eine Bekannte ihnen zunächst ab und zu Päckchen schicken
konnte. Zwei Jahre später, zwei Monate nach dem Tod ihres Mannes (März 1944) wurde Henny
Waldeck am 16.5.1944 ins Vernichtungslager Auschwitz verfrachtet und dort ermordet.
Quelle: Gisela Möllenhoff und Rita Schlautmann-Overmeyer, Jüdische Familien in Münster 1918 bis 1945, Teil 1: Biographisches Lexikon, Münster 2001
-
Als
das jüdische Leben in Münster erlosch
weiterer Bericht von Gisela Möllenhoff in Westfälische Nachrichten, Auf Roter Erde
Im Stadtgebiet Münster gibt es 31 Straßen, die nach Menschen mit jüdischer Abstammung benannt
sind:
Alfred-Flechtheim-Platz, Baumgartenweg, Edith-Miltenberg-Weg, Edith-Stein-Straße, Einsteinstraße, Elfriede-Meyer-Weg, Eli-Marcus-Weg, Else-Scheuer-Weg, Goldenbergstraße, Gumprichstraße,
10
Hedwig-Feibes-Weg, Heilbronnweg, Helmut-Pins-Weg, Henny-Uhlmann-Weg, Henny-Waldeck-Weg, Henriette-Hertz-Weg, Henriette-Son-Straße, Hoffmannweg, Jacob-von-Korbach-Weg, Julius-Voos-Gasse,
20
Luise-Rappoport-Weg, Marks-Haindorf-Stiege, Meta-Seelig-Weg, Nanny-Katz-Weg, Philippsweg,
Reha-Mathel-Falk-Weg, Simonsplatz, Sonja-Kutner-Weg, Sophie-Heimbach-Weg, Weinbergweg und
30
Zwi-Schulmann-Weg.
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