Rudolf-von-Langen-Straße
Benannt nach Rudolf von Langen, (1438-1519), Humanist, Reformator des münsterischen Schulwesens. Die Straße hieß von 1876 bis 1983 Langenstraße.
Rudolf von Langen - ein Denker und Dichter aus Münster
Als das münsterische Rathaus in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts umfassend erneuert
wurde, baute man im Obergeschoss einen festlichen Saal, den zwölf große Gemälde von bedeutenden
Persönlichkeiten aus der mehr als tausendjährigen Geschichte von Stadt und Bistum Münster
schmückten. Unter den wenigen Dargestellten, die sich nicht durch hohe Ämter und Würden
auszeichneten, sondern durch ihre geistigen Leistungen, war der Domherr Rudolf von Langen
(1438-1519), ein bedeutender Vertreter des Humanismus, durch dessen Wirken Münster seit der
zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu einem wichtigen Zentrum dieser neuen, aus Italien
stammenden Bildungsbewegung wurde. Langens Ruhm ging weit über seine Heimat hinaus. Einer
seiner Freunde bezeichnete ihn als "poeta totius Alemanniae", "Dichter für ganz
Deutschland", und einige Jahrzehnte später würdigte der Theologe Hermann Hamelmann Langens
geistige Leistung voller Begeisterung in mehreren Abhandlungen - lateinische Texte übrigens,
die um 1900 im Verlag Aschendorff in Münster gedruckt wurden und dort bis heute erhältlich
sind.
Langen war ein weitgereister Mann: Er hatte in Erfurt studiert, an der Universität Basel unterrichtet und sich auch in Italien aufgehalten. Mit den bedeutenden Persönlichkeiten am Ober- und Mittelrhein, in Overijssel und im friesischen Land in und um Groningen stand er in Verbindung. Im Auftrag des Herzogs von Kleve und des münsterischen Domkapitels war er 1466 in Rom um die Ernennung des Bischofs Heinrich von Schwarzburg zu erwirken, den er 1475 auch auf einem Kriegszug begleitete. Von der Weite seines geistigen Horizonts zeugt seine "Hierosolyma", eine Darstellung der Geschichte des Heiligen Landes von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels in Jerusalem im Jahre 70 nach Christus, bei bedeutendes Beispiel humanistischer Geschichtschreibung.
Die meiste Zeit seines Lebens verbrachte Langen in Münster. In Everswinkel geboren, wurde er schon als Knabe zur Domschule geschickt und der Obhut seines Onkels anvertraut, des Domdechanten Hermann von Langen. Dank seiner Protektion war Rudolf schon als Sechszehnjähriger selbst Domherr. Durch familiäre Beziehungen erlangte er auch die Würde eines Propstes am Stift "Alter Dom". Im Schatten der Domkirche auf dem Horsteberg stand später sein Haus mit einer großen Bibliothek und einem schönen Garten. Nur wenige Schritte davon entfernt, an der Westmauer im Kreuzgang des Domes, fand er 1519 seine letzte Ruhe; an dieser Stelle erinnert noch heute sein (allerdings stark beschädigtes) Grabdenkmal an ihn.
Seine enge Beziehung zu Münster zeigt sich in vielen seiner Werke. Besonders wichtig ist ein langer Brief, den er im Frühjahr 1469 an Lubbert Zedeler schrieb, Sohn des am Prinzipalmarkt wohnenden Kaufmanns Christian Zedeler. Der begabte Lubbert war Langen schon als Kind aufgefallen. Inzwischen hatte der junge Mann an der Universität Rostock sein Grundstudium beendet und stand vor der Wahl einer der höheren Fakultäten: Jura, Theologie oder Medizin. In dieser Situation warnt ihn Langen vor den Gefahren der damaligen Universitätswissenschaft.
Mit ihrer scharfsinnigen Analyse des Wissensstoffes, mit exakt definierten Begriffen und einer ausgefeilten Systematik biete sie durchaus eine nützliche Fachausbildung, doch gerate bei alldem das wirkliche Leben leicht aus dem Blick. Um die ganze Breite und Vielfalt menschlicher Erfahrungen ("humanitas") solle er sich bemühen, und die finde sich besonders in den Schriften der Griechen und Römer. Nicht um subtile Theorien gehe es, sondern um ein gutes und gelungenes Leben. Als Anregung dazu empfiehlt er die Lektüre der antiken Dichter, Moralphilosophen und Historiker. Im Bereich der Theologie stellt er der "scholastischen" Gelehrsamkeit das lebendige religiöse Denken und die Frömmigkeit der frühen Theologen, der "Kirchenväter" gegenüber. Lubbert machte bald Karriere als Jurist und war zweimal Rektor der Universität Rostock; zugleich pflegte er die humanistischen Studien. Langen blieb ihm weiter verbunden und widmete ihm zwei Gedichte; in dem 1485 geschriebenen Gedicht beklagte er den frühen Tod des Freundes.
Für alle in Münster, die sich vom Lebens- und Bildungsideal des Humanismus angezogen fühlten, war Langen Förderer und Ratgeber. Sein gastliches, reich mit Büchern ausgestattetes Haus war Mittelpunkt eines großen Freundeskreises. Dazu gehörten aus der älteren Generation sein Onkel, der Domdechant Hermann von Langen, und der Bürgermeister Polmann. Etwa gleichaltrig waren der begabte Dichter Johannes von Telgte und seine Freunde Friedrich Moorman und Johannes Veghe aus dem Haus der "Brüder vom gemeinsamen Leben", dem Fraterhaus auf dem Honekamp. Neben Lubbert Zedeler waren weitere Bürgersöhne mit Langen befreundet, so Johannes Listighe und Bernhard Tegeder, denen er Gedichte widmete. Gut bekannt war er auch mit dem Rektor der Domschule Johannes Kerckmeister, dessen Komödie "Codrus", ein begeistertes Plädoyer für die humanistische Bildung, 1485 in Münster gedruckt wurde.
Besonders förderte er seinen jungen Verwandten Hermann Buschius, der später selbst ein bedeutender Dichter und Schriftsteller wurde. Durch ihn kennen wir weitere Humanisten aus Langens Umfeld, darunter Johannes von Elen, "Kanzler dreier Bischöfe", sowie eine Reihe von Stiftsherren aus St. Martini, St. Ludgeri und St. Mauritz. Aber auch weniger Bekannten widmete Langen seine Aufmerksamkeit. Für einige verfasste er Grab- oder Hochzeitsepigramme. Anrührend ist das Trauergedicht auf seine vierjährige Nichte, die sich beim Spielen tödlich verletzt hatte.
Eine wichtige Rolle spielte Langen, als im Jahre 1498 die Stelle des Domschulrektors neu besetzt wurde. Nicht zuletzt auf seinen Rat hin berief der zuständige Domscholaster den tüchtigen Pädagogen und umfassend gebildeten Humanisten Timan Kemner aus Werne. Kemner und sein Stellvertreter, der hoch begabte Johannes Murmellius, machten die Schule durch die intensive Pflege der lateinischen (und bald auch griechischen) Sprache und Literatur zu einem der bedeutendsten humanistischen Gymnasien im Norden Deutschlands. Besonders mit dem jungen Murmellius stand Langen in vertrauensvollem und überaus freundschaftlichem geistigen Austausch.
Aufmerksam beobachtete Langen das öffentliche Leben in Münster. Der noch heute abgehaltenen "Großen Prozession" widmet er 1478 und 1480 Gedichte. Er beschreibt auch, wie die Schüler der Domschule von ihrem Maiausflug frisches Grün zurückbringen und durch die Straßen tragen. Als die Stiftsdamen von Überwasser, die ja keine Klosterfreuen waren, durch den Druck des Bischofs dazu gebracht werden, nach der Benediktinerregel zu leben, rühmt er diese "schwierige und mühselige Reform" in zwei Gedichten. Oft hält er Tageserlebnisse fest: Die Errichtung eines "steil ragenden Daches" für den Dom ("einer Pyramide aus riesigen Eichen"), den misslungenen Guss einer Glocke für St. Lamberti oder einen heftigen Sturm, der ihn aus dem Schlafe auffahren ließ und ein Kreuz auf der Spitze des Domturms verbog.
Viele Bildwerke im und am Dom regen Langen zum Nachdenken an. Er betrachtet zum Beispiel ein sogenanntes "Rad der Fortuna" auf dem durch symbolische Tiergestalten das unterschiedliche und wechselhafte Lebensschicksal der Menschen dargestellt war. Oben auf dem Rad war ein Fuchs zu sehen, unten ein Löwe. Langens Deutung: Der Listige setzt sich in der Welt durch, selbst gegenüber dem starken Löwen. Auch der zutrauliche Hund hat keinen Erfolg: "vornehme Haltung und Treue" gelten nichts mehr. Ein Affe, Symbol "des Betruges und der Verstellung", versucht den Fuchs vom obersten Platz zu vertreiben; dahin strebt sogar der dumme, mit einem schweren Sack beladene Esel.
Religiöse Themen beschäftigen ihn besonders: Ein Bild des gegeißelten und mit Dornen gekrönten Jesus, "zerschlagen und mit grausamen Wunden bedeckt", veranlasst ihn zu einer Meditation über das Leiden und Sterben des Erlösers. Zu einer Darstellung des Kindes in der Krippe schreibt er: "Der du die Sonne und die Sterne gebildet hast, größter der Könige, wie liegst du, ein Mensch geworden, auf gewöhnlichem Stroh." Für das "Paradies", die Vorhalle des Domes, verfasste er die Verse, die noch heute über der Eingangstür zu lesen sind:
"Pro templo aeterno stabat paradysus Olympi: Felix quam nimium si coluisset homo. Ite per
hanc miseri mortales, plangite culpas, ad templa excelsa, reddite vota Deo."
"Vor dem ewigen Tempel des Himmels lag das Paradies. Hätte er dieses bebaut und gepflegt,
wie überglücklich wäre dann heute der Mensch. Geht nun durch diese Paradiesvorhalle, ihr
unglücklichen Sterblichen, beweint eure Schuld, geht zum hohen Tempel des Domes, bringt eure
Gebete vor Gott."
Langens Wirken in Münster wird zusammengefasst in dem Epigramm, das unter seinem Grabdenkmal noch heute zu lesen ist:
- "Inclytus in nostro dum vixit Langius orbe, Praesidium doctis pauperibusque salus. Mox ubi sustulerant tantum decus invida fata, Luctus erat doctis pauperibusque fames."
- "Solange der berühmte Langen in unserer Welt lebte, fanden die Gelehrten eine Zuflucht und die Armen Heil. Sobald aber das neidische Schicksal diese große Zierde dahingerafft hatte, herrschte Trauer bei den Gelehrten und bei den Armen Hunger."
Dieses bedeutenden Humanisten und Menschenfreundes gedachte die Stadt Münster durch die Benennung der Rudolf-von-Langen-Straße im Kreuzviertel. Langen selbst stiftete als bleibende Erinnerung eine wunderschöne kleine Figur der Heiligen Agnes, die noch heute in der Domkammer zu sehen ist und die ein breites Publikum begeisterte, als sie vor einiger Zeit das Plakat für die Ausstellung "Goldene Pracht" zierte.
Autor: Ulrich Töns, Redaktion: Johannes Loy
Quelle: Westfälische Nachrichten, Beilage Auf Roter Erde, April 2013
- Eintrag in der Neuen Deutschen Biographie Rudolf von Langen
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