Virchowstraße
Benannt nach Rudolf Virchow (1821-1902), aus Schievelbein in Pommern, Pathologe; Professor für Pathologie und pathologische Anatomie.
Rudolf Carl Ludwig Virchow gilt im Allgemeinen als großer Wissenschaftler der
Medizin, was er freilich auch war. Dass er jedoch auch ein hochpolitischer, ja revolutionärer
Mann war, entdeckt man erst, wenn man sich eingehend mit seiner Lebensgeschichte beschäftigt.
Dabei erfährt man, dass er nach dem Studium an der Militärärztlichen Akademie in Berlin und dem
Antritt einer aussichtsreichen Assistentenstelle wegen Unterstützung revolutionärer Ideen 1848
seine Stellung an der Charitè verloren und stattdessen eine Professur für Pathologie in
Würzburg angetreten hat. Nach 7 Jahren kehrte er, einem Rufe folgend, auf den Lehrstuhl der
Pathologie nach Berlin zurück und begründete dort das pathologische Institut der Charité. Trotz
intensiver Arbeit auf seinem Fachgebiet fand er noch immer Zeit, sich auch für fremde Völker
und deren Kulturen zu interessieren. Von daher stand er der damals üblichen Kolonialpolitik der
europäischen Mächte ablehnend gegenüber. Er beklagte, dass Politiker in ihrer Unkenntnis die
Kulturen dieser Völker endgültig zerstörten. Damals schon vertrat er die Ansicht der Gleichheit
aller Völker. Er war Mitglied und mehrfach Präsident völkerkundlicher Gesellschaften. 1892
gründete er, zusammen mit Gleichgesinnten, die Liberal-bürgerliche Fortschrittspartei
und war von 1880 bis 1893 Reichstagsabgeordneter. Gewiss war er kein einfacher Abgeordneter!
Als Mediziner widmete er sich besonders der Gesundheitspolitik. 1893 berief man ihn zum Rektor
der Universität Berlin.
In dieser Zeit betrieb er Forschungsarbeiten über menschliche Körperzellen und gelangte dabei
zu weltweit neuen Erkenntnissen über Aufbau und Leben dieser kleinsten Lebenseinheit. Damit
begründete er die neue Disziplin der Zellularpathologie. Erkrankungen dieser Zellen und
Entgleisungen ihrer Lebensrhythmen, die Abstoßung oder gar Absterben zur Folge haben konnten,
waren für ihn die Folgen des Unvermögens der Zelle, sich neuen Lebensumständen anzupassen. Für
ihn war demzufolge Heilung der Vorgang der Angleichung, der Gewöhnung der Zelle an das
Neue. Andere Ursachen der Zellerkrankungen wollte er nicht anerkennen, obwohl die Existenz von
krank machenden Bakterien damals schon bekannt und bewiesen war. Er verteidigte seine
Krankheitstheorie mit Vehemenz, ja mit Trotz, gegen alle wissenschaftlichen Neuerkenntnisse und
klinkte sich so auf tragische Weise aus dem Strom der Wissenschaft aus.
Enttäuscht und resigniert widmete er sich nun der Völkerkunde, der Anthropologie,
(Menschenkunde) und den menschlichen Lebensräumen. Durch eine von der Regierung in Auftrag
gegebene Untersuchung konnte er anlässlich einer Typhusepidemie nachweisen, dass die
Erkrankungshäufigkeit der Menschen eng mit deren Lebensumständen zusammenhing. Daher setzte er
sich verstärkt für die Verbesserung der hygienischen Zustände in den Kommunen ein.
Hochbetagt starb er als angesehener, großer Wissenschaftler der Medizin, aber auch als ein
schwieriger und beinahe widerborstiger Volksvertreter in Parlamenten des Kaiserreiches.
Autorin: Inge Michalowski
Quelle: Liselotte
Funcke (Hrsg), Hagener Straßen erzählen Geschichte(n), Hagen 2001
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