Seiteninhalt
"Den Tätern auf der Spur"
"Jugend erinnert" in Polen - Polizeibedienstete beider Staaten auf den Pfaden ihrer beruflichen Vorgänger
Jeden Tag um viele eindrückliche Lern- und Lebenserfahrungen reicher wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des zweiten Teils des Projekts "Den Tätern auf der Spur". Auch aus Sicht des "Villa"-Teams (Projektleiter Peter Römer, Thomas Köhler sowie Naomi Roth) hat es bisher selten eine vergleichbare Begegnungsreise gegeben, die vor allem durch Dr. Andreas Kahrs als externe Leitung und Anita Borkowska als Sprachmittlerin und Guide ermöglicht worden ist. Sie machten Spuren und Perspektiven sichtbar, die in Warschau und der Region um Münsters Partnerstadt Lublin heute vielfach überformt sind und sonst sicher nicht zum Tragen gekommen wären.
Die vor anderthalb Jahren entstandene Projektidee war es, dass junge Polizistinnen und Polizisten im binationalen Austausch die Folgen der von der Villa ten Hompel ausgegangenen Verbrechen von Ordnungspolizisten am Schreibtisch nachfolgen, hin zu den Erschießungsorten, Ghettos und Mordlagern der Vergangenheit, hin also zu den Tatorten von Ordnungspolizisten.
Dieses Prinzip wurde bereits im August in Münster und Dortmund vorbereitet. Einen Monat später sahen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nun die Gleise, an denen die von Polizisten bewachten Deportationszüge endeten, etwa in Zamosc. Und ganz ähnlich wie Historikerinnen und Historiker es tun würden, versuchten die Polizeibediensteten mit Quellen und der Erschließung des Kontextes die hierzulande allzu oft "im Schatten von Auschwitz" stehenden, wenig bekannten Verbrechen aufzuhellen.
Der zweite Teil des Projektes startete zunächst in Polens pulsierender Hauptstadt Warschau. Im ehemals größten Ghettos Osteuropas, bewacht auch von Ordnungspolizisten aus dem Machtbereich des BdO Heinrich Lankenau aus der Villa ten Hompel, wurde das Ausmaß der rassistischen Ausgrenzungspolitik im besetzten Polen deutlich, jedoch auch, was dadurch verloren ging – jahrhundertelange, selten konfliktfreie, aber immer reiche jüdische Geschichte in Polen nämlich, die im POLIN-Museum ausgestellt wird.
Aus organisatorischen Gründen stießen die polnischen Polizistinnen und Polizisten dann erst in Zamosc auf ihre deutschen Pendants. Hier folgte das für viele Projektteilnehmerinnen und -teilnehmer emotionalste Erlebnis, wie in Reflexionsrunden deutlich wurde: Im Wald von Józefów kamen sie zu Massengräbern. Sie entstanden, weil Männer aus dem Reservepolizeibataillon 101 – intensiv erforscht durch den amerikanischen Historiker Christopher Browning, vor zwei Jahren zu Gast in Münster – 1500 Jüdinnen und Juden erschossen und im Wald hinterließen, obwohl sie durchaus andere Handlungsoptionen zur Verfügung hatten, wie die Forschungen Brownings belegen. Sprachlos, aber voller Gedanken verließen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer diesen polizeilichen Verbrechensort.
Schließlich folgten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Wegen der Verbrechenskomplexe der "Aktion Reinhardt". Die heutigen Gedenkstätten in Belzec und Sobibór bieten hierbei ganz unterschiedliche Zugänge. Andreas Kahrs wählte jedoch in beiden Fällen eine langsame Annäherung von außen und skizzierte zunächst die Ankommenswege der Verfolgten, die Frage nach Zeugenschaft im Umkreis der Mordlager und Fluchten – und griff dabei vielfach auf Zeugnisse der wenigen Überlebenden zurück, auch aber auf Täterquellen wie die Fotografien aus dem Nachlass des NS-Verbrechers Johann Niemann.
In Majdanek, dem ehemaligen "KL Lublin" führte die Gruppe einen Workshop zu Täterschaften im Lager durch unter Leitung von Wieslaw Wysok, stellvertretender Direktor des Staatlichen Museums Majdanek. Dieses ist ein langjähriger Kooperationspartner der Villa ten Hompel. Vor Ort wurde die Gruppe zudem über die sogenannte "Aktion Erntefest" ins Bild gesetzt, eine Tarnbezeichnung der Nationalsozialisten für den koordinierten Massenmord an mehr als 43.000 Juden aus den drei im November 1943 verbliebenen Mordlagern im Generalgouvernement Polen. In Münsters Partnerstadt Lublin wiederum erschlossen sich die Teilnehmenden die oft kaum noch sichtbaren Spuren jüdischer Vergangenheit der Stadt – und stellten fest, dass auch das Leben im hiesigen Ghetto sich markant von Warschau unterschied.
Mit einem schriftlichen Bericht alleine kann die auch mentale Reise der Gruppe nur schwierig nachempfunden werden. Daher wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stets mit dem Ziel begleitet, dass ihre Eindrücke in einer Podcast-Folge aufbereitet werden. Wir werden zu gegebener Zeit an dieser Stelle auf die Folge hinweisen.
Wir sind dankbar, dass das Projekt finanziert wird durch die Sitftung EVZ im Programm „Jugend erinnert“.