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Ausstellungen
Aus der Zeit gefallen
Johanna Georg und Christian Stork
Ausstellungslaufzeit: 18. November 2024 bis 31. Januar 2025
Mit Johanna Georg und Christian Stork begegnen sich zwei künstlerische Positionen, die zunächst wenig gemein haben. Georgs Medium ist der Holzschnitt, Storks Technik ist die Collage. Während Georg ihre Sujets im Arbeitsprozess zunehmend in die Abstraktion überführt, schält Stork aus alten Fotografien prägnante Gegenstände oder Personen, die er zu präzisen, doch fremd wirkenden Bildwelten zusammenführt.
Es ist die Wirkung der Werke, die eine gemeinsame Haltung offenbart: Sowohl die Drucke als auch die Collagen wirken zunächst wie aus der Zeit gefallen. Aufmerksame Betrachtende spüren die Wurzeln in der kunsthistorischen Moderne. Zudem vereint Georg und Stork die Freude am experimentierenden Umgang mit ihren Sujets und Materialien. Und sie lassen den Zufall - sei es beim Finden, Kombinieren oder Verfremden - eine bildgebende Rolle spielen.
Johanna Georg – gedruckter Zufall
Der Zufall spielt eine große Rolle, wenn die Künstlerin Johanna Georg ans Werk geht. Ihr Medium ist der Holzschnitt, der sich unter ihren Händen von klassischen Vorbildern löst. In ihren Bildern fügen sich Farben und Formen zu spannungsreichen Bildrhythmen.
Georg liebt das prozesshafte Arbeiten, sie verfolgt keinen festen Plan im Vorfeld, sie hat kein Bild vor ihrem inneren Auge, auf das sie hinarbeitet. Im Gegenteil, sie zielt auf überraschende Entwicklungen im Druckprozess und sucht in dessen Verlauf das überzeugende Bild.
Ihre Bildanlässe findet sie in Fotografien oder alltäglichen Gegenständen. Hier entdeckt sie Farben, Formen und Strukturen, die sie zum ersten Holzschnitt inspirieren. Es folgt ein Work in Progress, in dem das Spiel mit Formen, Farben und Zufallsverfahren immer neue gestalterische Möglichkeiten bietet. Georg verfolgt dabei auch das Verfahren des „verlorenen Schnittes“, bei dem die herausgearbeitete Form auf der hölzernen Druckplatte immer wieder beschnitten wird und für einen erneuten Druck genutzt wird. So lässt sich kein Druck exakt wiederholen, die Platten sind für immer verloren. Der Zufall und die Veränderung ziehen ins Werk ein. Zudem nutzt die Künstlerin experimentelle Materialien wie Zitronennetze, um diese als bildgebenden Moment zu nutzen und bereits angelegte Flächen aufbrechen.
Es ist kein Zufall, dass besonders das Format des Quadrats von Georg geschätzt wird. Es bietet die gestalterische Freiheit, den Bildträger immer wieder neu auszurichten. Das ursprüngliche Sujet lässt sich so von jeder Seite gleichwertig überdrucken.
Das Besondere an Johanna Georgs Druckwerken ist ihr malerischer Zugang. Holzstrukturen, die sich oftmals in klassischen Holzschnitten abzeichnen und die Beschränkung auf den bekannten Schwarz-Weiß-Kontrast dieser Druckart mag sie nicht. Es ist das Spiel der Formen, Flächen und Farben, die sie interessieren. Theodor Rotermund, klassischer Maler und Holzschnittdrucker, bei dem sie einen Teil ihrer künstlerischen Ausbildung absolvierte, bemerkte früh, dass sie doch eher in der Malerei zu Hause sei. Sicher hat er damit Recht: Georg ist eine Malerin die anstatt mit Pinsel und Rakel, mit der Druckplatte ihre Bildwelten findet.
Aufmerksame Betrachtende spüren vielleicht auch eine Nähe zu künstlerischen Vorbildern wie dem Expressionisten Emil Schumacher oder späteren Avantgardisten wie Per Kirkeby. Dieses Wissen nutzt die Künstlerin für ihren ganz eigenen Ausdruck, vielleicht ist es maßgeblich dafür, dass ihre Werke etwas wie aus der Zeit gefallen - zeitlos - wirken.
Christian Stork – befremdliche Collagen
Merkwürdig befremdlich, dennoch seltsam vertraut erscheinen die Protagonisten auf den Collagen Christian Storks. Sie scheinen aus einer vergangenen Zeit in die Gegenwart zu kommen, um sich hier märchenhaft neu in Szene zu setzten.
So wie die Drillingsmädchen einer historischen Fotografie. Sie haben anstatt am Ort der ursprünglichen Aufnahme auf einer Wiese vor leicht bewölktem blauen Himmel Position bezogen. Das Mittlere hält ein großes Messer in der Hand, seine Spitze zeigt in Richtung eines weißen Kaninchens. Dieses scheint keine Angst zu verspüren, sondern nimmt gemeinsam mit den drei Bubi-Kopf tragenden Gören die Betrachtenden mit aufmerksamen, fast aufmüpfigen Blick ins Visier. Links ragen die Schuhe eines liegenden Mannes ins Bild. Die Punkte auf seiner Hose, seine weißen Soßen wirken clownesk. Ob der im Grass Liegende in den Kontakt mit dem Messer gekommen ist, bleibt offen, denn es haftet keinerlei Blut an ihm.
Die Szenerie changiert zwischen feinem Humor und unheilvollen Andeutungen, sie lässt keine abschließende Interpretation zu. Diese Offenheit und vorsichtige Verunsicherung gelingt Christian Stork in seinen Bilderzählungen immer wieder, sie zeichnen seine Werke in besonderem Maße aus.
Sein Sujet ist der Mensch mit all seinen sozialen Interaktionen. Die Collage ist sein Medium, um dieses dynamische Element zu erforschen. Sein bevorzugtes Material sind historische Fotografien, Bilder aus alten Lehrbüchern, die er mit immer neuen Materialien kombiniert. So spinnen sich rote Fäden, Zeugnisse oder Notenblätter in die Bildnarrationen und eröffnen unerwartete Zusammenhänge und neue Interpretationsräume.
Storks kontinuierliche Erkundung der Collagetechnik hat ihn zu einem ganz eigenen künstlerischen Ausdruck finden lassen. Auch ohne akademische Ausbildung hat er sich ein Oeuvre erarbeitet, dass sehr wohl mit kunsthistorischen Wurzeln spielt. So finden aufmerksame Betrachtende feine ikonologische Andeutungen und wissende Anspielungen auf künstlerische Wegbereiter wie den Surrealisten Max Ernst.
Mittlerweile arbeitet Stork sowohl analog als auch digital. So entwickelt er seine Manipulationstechniken stetig weiter und erreicht mit seinen Collagen immer wieder neue überraschende Bildwelten, die eines eint: besondere Ausdruckskraft und fesselnde Aura der Zeitlosigkeit.
Johanna Georg, *1970
lebt in Münster, Kunstpädagogin, Hochschule der Künste Berlin, u.a. Teilnahme an der Open Wall
Christian Stork, *1966
lebt in Hiddenhausen, Sozialpädagoge, Autodidakt, u.a. Teilnahme an der Open Wall