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Literaturline
Lesung Dezember 2017
Dagmara Kraus über die Welt als Jammertal
Die gerade mit dem Baseler Literaturpreis 2018 ausgezeichnete Lyrikerin Dagmara Kraus las beim 20. Internationalen Lyrikertreffen Münster 2017 aus ihrem aktuellen Gedichtband »wehbuch (undichte prosage)« (Berlin und Schupfart, Urs Engeler / roughbooks, 2016).
Die Welt ist ein Jammertal – und daraus zieht Dagmara Kraus in ihrem »wehbuch« das größte Vergnügen. In ihren Gedichten wird nach Kräften gejammert und gewehklagt, dass es eine Lust ist. Es wird geëeklagt und geoimoit. Es wird geotototoit und geïoit. Und bis nach Sais und Saft el-Hanna gepopaxt. Wir hören »heulematronen« zetern; es trauert »kenet-nasch (zehneinhalb), seit sechzig monden jungstudentin der freien klagekunst bei benetnasch« mit den »marabumimen« um Pharaonen. Wir sind also im alten Ägypten, wo die Kunst des Klagens das ganze Leben durchweht. Dabei entwickelt sich die Handlung auf zwei Ebenen: »Oben« läuft der »récit«, »unten« die abgeleiteten Digressionen, die zeitweise völlig vom Geschehen abstehen und uns in die Welt der Moden führen, nach China, ins pullomantische Rom, durch ein Möbelkaufhaus oder die Bibel, bis das Ganze, angeblasen von zwei Orgelbälge(r)n, in einem einzigen Wehlaut explodiert.
»Die Dichtung von Dagmara Kraus gleicht einem Haus, in dem alle Türen und Fenster offen stehen. Sprachen gehen ein und aus, Deutsch mischt sich mit Französisch, Englisch, Polnisch, aber auch mit Fantasiesprachen, und geht mit ihnen Verbindungen ein, die zugleich fremd und bekannt klingen. Ein feinfühliger Austausch findet statt, der unsere Sprache mit ungewohnten, überraschenden Ausdrucksmustern bereichert und uns zum Rätseln, Staunen und Neuhören anregt. In Zeiten vermehrter Grenzschließungen erforscht die Dichterin mit wachen Sinnen, was entstehen kann, wenn Worte über Landes- und Verständlichkeitsgrenzen getragen werden.« (Comuniqué des Literaturhauses Basel 2017)
»Feinfühlig und lustvoll reflektiert Dagmara Kraus in ihrer Lyrik, ihrer Prosa und ihren Nachdichtungen die Sprache. Humor entfaltet sich auf überraschende Weise in den verschiedenen Schichten ihrer Texte und ist so für ihre literarischen Konzepte prägend. Sie mischt unterschiedliche Sprachen, verschiebt und zerlegt Wörter, spielt verdichtend mit Vokalen und Konsonanten und macht besonders das Klangliche zum Träger des Komischen. Mit ihrer ebenso kunstfertigen wie unterhaltsamen Dichtung zeigt Dagmara Kraus eindrucksvoll, wie sehr auch experimentelle Poesie vom Humor profitieren kann.« (Stiftungsrat des Kasseler Literaturpreises für grotesken Humor)
Dagmara Kraus, geboren 1981 in Wrocław/Polen, aufgewachsen in Lippstadt, Westfalen. Studium der Komparatistik und Kunstgeschichte in Leipzig, Berlin und Paris. Sie studierte außerdem Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Lyrikerin und Übersetzerin aus dem Polnischen, Englischen und Französischen. Ihre Gedichte wurden u. a. in der Neuen Rundschau, der Edit und im Jahrbuch der Lyrik publiziert. Zuletzt erschienen die Lyrikbände »das vogelmot schlich mit geknickter schnute« (2016) und »wehbuch« (2016). Für ihre Lyrik wurde sie vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Förderpreis für Literatur der Gesellschaft zur Förderung der Westfälischen Kulturarbeit (GWK, 2010), dem Karl-Sczuka-Förderpreis (2015), dem Förderpreis zum Heimrad-Bäcker-Preis (2016),
dem Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung (2017), 2018 folgen der Förderpreis Komische Literatur zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor und der Baseler Lyrikpreis.
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Dagmara Kraus liest aus »wehbuch (undichte prosage)«