Seiteninhalt
Literaturline
Lesung November 2015
Privatsekretär des Mondes – Joachim Sartorius über Wallace Stevens
Beim diesjährigen 19. Internationalen Lyrikertreffen stellte Joachim Sartorius den amerikanischen Lyriker Wallace Stevens vor. Er las aus dem von ihm herausgegebenen Band »Wallace Stevens. Hellwach am Rande des Schlafs. Gedichte« (2011 bei Carl Hanser, München erschienen), der Übersetzungen von Hans Magnus Enzensberger, Karin Graf, Durs Grünbein, Michael Köhlmeier, Bastian Kresser und Joachim Sartorius enthält.
Wallace Stevens gilt heute als der bedeutendste amerikanische Lyriker des 20. Jahrhunderts. Von ihm stammen einige der vollkommensten Verse der modernen Literatur. Wie kann man Dichter sein in einer unmetaphysischen Zeit? Diese Frage hat Stevens auf ganz eigene Weise beantwortet.
»Wie kaum ein anderer Dichter der Moderne nimmt Stevens die Dichtung ernst und schwer. In dem großen Gedicht Sunday Morning und in mehreren Adagia wird sie, in eigentlich spätromantischer Manier, als Ersatz der obsolet gewordenen Gottes-Idee angesprochen und der Dichter als ›Wundermann‹, als ›Priester des Unsichtbaren‹. ›Hat man den Glauben an Gott aufgegeben‹, heißt es explizit, so ›ist die Dichtung jene Wesenheit, die seinen Platz einnimmt als des Lebens Erlösung.‹ Stevens kennt auch keine Skrupel, vom ›Seelenfrieden durch Dichtung‹ zu sprechen. Daher auch seine Auffassung – immerhin die eines intellektuellen Autors –, Dichtung müsse ›der Intelligenz nahezu ganz widerstehen‹. […]« (Joachim Sartorius)
»Hier ist ein ganz eigenständiger Weg in die Moderne wiederzuentdecken und eine Poesie von sinnlicher Schönheit und intellektuellem Glanz. Wie wenige seiner Zeitgenossen ist Stevens ein zugleich verführerisch einfacher und bis zur Sprödigkeit rätselhafter Poet, ein Artist des doppelten Bodens und der kippenden Perspektiven.« (Heinrich Detering)
Wallace Stevens, geboren 1879 in Reading, Pennsylvania, USA. Studium der Rechtswissenschaften an der Harvard University und New York Law School. Der Lyriker und Essayist arbeitete als Journalist in New York und später als Vizepräsident einer Versicherungsanstalt in Hartford, Connecticut, wo er 1955 auch verstarb. Im selben Jahr wurde er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Joachim Sartorius, geboren 1946 in Fürth. Studium der Rechts- und Politikwissenschaften in München, London, Straßburg und Paris. Er arbeitete im diplomatischen Dienst in New York, Istanbul und Nikosia, war Generalsekretär des Goethe-Instituts und Intendant der Berliner Festspiele. Darüber hinaus ist er als Lyriker, Herausgeber und Übersetzer bekannt. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Er lebt in Berlin.
Jetzt anhören:
Joachim Sartorius über Wallace Stevens