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Literaturline
Lesung September 2018
Jörg Albrecht liest aus dem noch unveröffentlichten Manuskript »Es könnte so schön sein«
Silvana Trans ist eine Frau. Doch mehr als zwanzig Jahre lang sagte ihr Spiegelbild ihr das Gegenteil. In einem männlichen Körper geboren, versucht sie jetzt, doch noch zur Frau zu werden – oder wenigstens weiblich genug zu sein. Und dabei durchläuft sie Therapiestunden, Untersuchungen, Gerichtsanhörungen, um die letzten, die entscheidenden Schritte gehen zu können. Und dazu: die entscheidenden Schnitte. Und manchmal wünscht sie sich, es käme jemand daher, ein Zauberer, der mit einem Scherenschnipp oder Fingerzeig ihre Geschichte an ein Happy Ending brächte. Ein Fingerzeig – und das schwarzweiße Leben verwandelt sich zu einem in Farbe, in Technicolor.
So wie in The Wizard of OZ (1939): Dort ist es Dorothy Gale (Judy Garland), die von einem Wirbelsturm aus dem schwarzweißen Kansas ins Technicolor-Märchenland OZ katapultiert wird. Zusammen mit ihrem Hündchen Toto begibt sie sich auf die Suche nach dem großen Zauberer, der sie angeblich wieder nach Hause bringen kann. Der gelben Backsteinstraße folgend, lernt sie drei andere kennen, die nach etwas suchen: die Vogelscheuche ohne Verstand, den Blechmann ohne Herz und den Löwen ohne Mut. Alle begeben sich also zum Zauberer – ohne zu merken, dass sie genau das, wonach sie sich sehnen, schon besitzen.
Aber wie können wir etwas suchen, das wir längst haben? Wie geben, was wir längst nicht mehr haben oder nie hatten? Und wie an einem Ort ankommen, den es (noch) gar nicht gibt? („Remember: There’s no place like home.“) Die Fabelwesen in Es könnte so schön sein sind transident, schwul oder lesbisch, kleinwüchsig, nicht-weiß, gehörlos, haben einen Migrationsbackground – vielleicht auch gleich mehrere – oder sind Konvertiten vom Islam zum Katholizismus. Sie sind Fabelwesen aus der Sicht einer Mehrheitsgesellschaft, die eigentlich schon nicht mehr existiert, sich aber gerade besonders lautstark in den Vordergrund drängt, um alles scheinbar Fremde und Abweichende in die Sphäre des Fantastischen zu verbannen, over, nein, beyond the rainbow.
Jörg Albrecht, 1981 in Bonn geboren, aufgewachsen in Dortmund, lebt in Berlin. Studium der Komparatistik, Germanistik und Geschichte in Bochum und Wien, sowie Szenisches Schreiben im Forum Text von uniT Graz (2008-10); Dissertation mit dem Titel Abbrüche. Performanz und Poetik in Prosa und Hörspiel 1965-2002. Jörg Albrecht schreibt Prosa/Romane, Theatertexte, Hörspiele, Essays; seine Foto- und Videoarbeiten und Performances ergänzen die Texte in Form intermedialer Serien und werden regelmäßig in Theatern, Ausstellungen, bei Kongressen und Kunstfestivals gezeigt.
Es erschienen die Romane Drei Herzen (2006), Sternstaub, Goldfunk, Silberstreif (2008), Beim Anblick des Bildes vom Wolf (2012) und Anarchie in Ruhrstadt (2014, alle im Wallstein Verlag); zudem übersetzte er Ben Brooks Roman Grow Up ins Deutsche (Nachts werden wir erwachsen, Berlin Verlag 2012); seit 2001 zahlreiche Publikationen in Literaturzeitschriften, Tageszeitungen, Magazinen, Kunstkatalogen etc.
Zahlreiche Auszeichnungen: 2002 Förderpreis der Stadt Dortmund für Junge Künstler, 2005 GWK-Förderpreis für Literatur und Preis beim Open Mike der Literaturwerkstatt Berlin, 2007 Literaturpreis des Landes NRW und Einladung zum Ingeborg-Bachmann-Preis, 2009 New York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds, 2010 Writer In Residence in Birmingham, 2010/11 Stadtschreiber in Graz, 2013 Magus-Reisestipendium der GWK für Kaliningrad, 2015 das Stipendium des Deutschen Literaturfonds, 2017 Margarete-Schrader-Preis der Universität Paderborn.
2018 künstlerische Leitung/Gründungsdirektion eines neuen literarischen Zentrums auf Burg Hülshoff, das dem interdisziplinären Dialog und dem internationalen Austausch verschrieben sein wird.
Weiterführende Informationen zu Jörg Albrecht auf seiner Homepage:
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Jörg Albrecht liest aus dem Manuskript »Es könnte so schön sein«.