Seiteninhalt
Paris – Palmyra
Aleš Šteger
„Logbuch der Gegenwart“. Prosa und Bilder
Stadtbücherei
Donnerstag, 14. September 2017, 20 Uhr
Moderation: Hermann Wallmann
Ich schaue aus dem Fenster des Wassers: wenig Verkehr, wir könnten überall sein.
Fukushima, einer der am stärksten belasteten geographischen Namen der Welt. Ich begann erst ein paar Tage nach meiner Ankunft zu begreifen, wie dumm mein heimliches Suchen nach Spuren des Erdbebens war. Nicht bloß, weil Erdbeben zum japanischen Alltag gehören, … sondern weil meine Erwartung nicht von Empathie gegenüber den Opfern getragen war, sondern vielmehr von den Bildern, die die Presse verbreitet hatte: um-geblasene Häuser, halbierte Brücken, Retter mit Hunden, Schutzhelmen, Gasmasken, Schiffe auf Grund gelaufen inmitten der Felder. Was ich sehe, sind ruhige Straßen und japanischer Alltag, grüne Hügel, rund um das Wasserbecken, das die Stadt von Fukushima aufsprießen ließ, Radfahrer und intakte Häuser. Dieser Reichtum an Grün, ein Idyll wie von Hokusai, mit einem Zusatz von Stromleitungen und Ampeln.
Ein Logbuch der Gegenwart, geschrieben vor Ort. An welchem Ort, wenn wir uns doch auf der Durchreise befinden? Und zu welcher Zeit, wenn ich mich doch sieben Stunden vor meiner Zeit befinde, zwei Jahre nach dem Ereignis, wenn es Sonntag ist, ein Tag, in dem die Zeit nicht Zeit zu sein scheint, sondern ihr Überschuss, eine Opulenz der Zeit?
Aus: Aleš Šteger, Logbuch der Gegenwart. Taumeln. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz. Mit einem Vorwort von Péter Nádas, Haymon Verlag, Innsbruck – Wien, 2016, S. 61
„Im Wechsel von Landschaftsbeschreibung und Reflexion findet Šteger Sätze, die den Bildern, die in den Medien verbreitet wurden, eine andere Sichtweise entgegenhalten.“ Nico Bleutge, Süddeutsche Zeitung
Aleš Šteger, geb. 1973 in Ptuj, Slowenien (damals Jugoslawien), ist ein slowenischer Autor, Übersetzer, Lektor und Verleger. Er hat sechs Lyrikbände veröffentlicht. 2016 erhielt er den Horst-Bienek-Preis für Lyrik. Šteger sei einer der „vitalsten und originellsten Dichter“ seines Landes, ein „Botschafter …, der in der ganzen Welt für Poesie wirbt“, heißt es in der Begründung der Jury.
Zuletzt erschienen u.a.: Buch der Körper. Gedichte. Aus dem Slowenischen und mit einem Nachwort von Matthias Göritz. Frankfurt am Main 2012; Archiv der toten Seelen. Roman. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz, Frankfurt am Main 2016; Logbuch der Gegenwart. Taumeln. Aus dem Slowenischen von Matthias Göritz. Mit einem Vorwort von Péter Nádas, Innsbruck 2016.