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Paris – Palmyra
Niroz Malek »Der Spaziergänger von Aleppo«
Niroz Malek, der Aleppo nicht verlassen kann, wird vertreten durch seine Tochter Dinan Hesso und seinen Schwiegersohn Nyazi Bakki
Theater Münster: Theatertreff
Sonntag, 15. Oktober 2017, 11 Uhr
Moderation: Hermann Wallmann; Dolmetscherin: Larissa Bender
Gewehr
»Kommst du auf die Straße zurück?« fragte er.
»Ja.«
»Mit deinem Gewehr?«
»Nein.«
»Werden sie verstehen, was du damit beabsichtigst?«
»Das ist unwichtig.«
Er stand da und betrachtete seinen Freund. Gemeinsam hatten sie zu den Waffen gegriffen, nachdem einer ihrer Freunde auf einer Demonstration für Freiheit durch eine Kugel in die Brust getötet worden war.
Er nahm das Gewehr von der Schulter und legte es beiseite. Dann wickelte er sich die Unabhängigkeitsfahne um den Leib und machte einen Schritt nach vorn.
Kaum hatte er die Schwelle des Gebäudes überschritten, da sauste von weitem eine Kugel heran und durchbohrte seine Stirn.
Er blieb stehen, dann drehte er sich um. Er sah nur einen Blutfleck, der die Wand hinter ihm rot gefärbt hatte. Dann stürzte er auf den Gehsteig und versank allmählich in seinem Blut, während er mit großen Augen in einen Himmel starrte, der noch nicht verschlossen war.
Aus: Niroz Malek, Der Spaziergänger von Aleppo. Miniaturen. Aus dem Arabischen von Larissa Bender. Weidle Verlag, Bonn 2017, S. 12
„Die 57 kurzen Texte des Bandes führen vor, wie Literatur zum Überlebensmodus wird; wie sie aus der von Staub, Bitterkeit und Verwesung gesättigten Luft atembaren Sauerstoff filtert.“ Angela Schrader, Neue Zürcher Zeitung
Niroz Malek, geb. 1946 in Aleppo, ist ein syrischer Schriftsteller und Maler. Seit 1970 veröffentlichte er acht Erzählbände und sechs Romane. Trotz des Krieges verlässt er Aleppo nicht. Seine Tochter Dinan Hesso lebt in Deutschland. Sein Buch „Der Spaziergänger von Aleppo“ erschien zuerst auf Französisch und wurde 2016 mit dem „Prix Lorientales“ ausgezeichnet. In der ersten Erzählung des Bandes erklärt Malek, warum ihm nichts daran liegt, das sogenannte nackte Leben zu retten: „Weil ich meine Seele nicht in einen noch so großen Koffer stopfen kann. Meine Seele ist all das, was du in meinem Zimmer siehst … Tausende Bücher. Hunderte Schallplatten, Zeichnungen, Gemälde und Photographien.“
Zuletzt erschienen: Der Spaziergänger von Aleppo. Miniaturen. Aus dem Arabischen von Larissa Bender, Bonn 2017.
Larissa Bender, geb. 1958 in Köln, studierte Islamwissenschaft, Ethnologie, Kunstgeschichte und Soziologie in Köln und Berlin. Sie lebt als freie Übersetzerin aus dem Arabischen und Journalistin mit Schwerpunkt arabische Literatur in Syrien und in Köln. Über ihre Anthologie „Innenansichten aus Syrien“ schreibt Stefan Weidner in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Kein Foto, keine Fernsehreportage, kein mit Handy gedrehter Clip vermag die Berichte von Zeugen und Betroffenen zu ersetzen, die die Übersetzerin Larissa Bender in ihrer Anthologie ‚Innenansichten aus Syrien‘ versammelt.“
Zuletzt erschienen: Innenansichten aus Syrien: Texte, Fotografien und Bilder. 3., geänderte Neuauflage, Frankfurt 2016.
Nyazi Bakki, geb. in Aleppo, ist ein syrischer Filmemacher. 2014 ist er nach Deutschland geflüchtet und lebt seitdem mit seiner Familie in Köln. Er ist verheiratet mit Niroz Maleks Tochter Dinan Hesso. Schon vor seiner Flucht arbeitete er an seinem Dokumentarfilm über den Jesuitenpater Paolo Dall‘Oglio, der sich als Fürsprecher für Toleranz zwischen den Religionen einsetzte und 2013 von der ISIS Terrormiliz entführt wurde.