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80 Jahre danach: #DeportationenSichtbarMachen
Deportationen sichtbar machen
Hunderte als jüdisch markierte Männer, Frauen und Kinder aus dem Münsterland wurden ab Dezember 1941 in Ghettos in den Osten Europas deportiert. Das Ziel der Täter: Die Ausgrenzung und Vernichtung von Menschen, die nicht als Teil der “deutschen Volksgemeinschaft“ galten. In diese Deportationen waren auch im Münsterland viele Menschen involviert: neben Polizei auch andere Verwaltungen – und Nachbarn.
Jahrzehntelang wurden diese Verbrechen öffentlich aber meist ausgeblendet. Erst seit den 1990er Jahren bildeten sich verschiedene Formen der Vergegenwärtigung und des Gedenkens an die Deportierten und die begangenen Taten heraus: Stolpersteine, Gedenkstelen und Veranstaltungen wie Schweigemärsche weisen auf die Taten und Leerstellen hin, die die Ermordeten in unserer Gesellschaft hinterlassen haben.
Doch überzeugt die oft schon routinierte Rollenverteilung in der Erinnerungskultur? Wie wollen wir Deportationen in Zukunft vergegenwärtigen?
Mit der Initiative #DeportationenSichtbarMachen will der Geschichtsort Villa ten Hompel auf die Deportationen im Nationalsozialismus öffentlich aufmerksam machen. Sprühkreide-Zeichen im Stadtraum lassen historisches Geschehen für begrenzte Zeit näher rücken. Daneben sind alle aufgefordert, sich digital über Instagram und Twitter über das historische Geschehen und Formen des Gedenkens auszutauschen:
Wie wollen wir die Deportationen künftig vergegenwärtigen? Welche Stimmen fehlen bislang? Braucht es neue Formen der Vergegenwärtigung der Verfolgten? Wie konfrontieren wir uns mit den Täterinnen und Tätern, Nutznießerinnen und Nutznießern? Was genau sind die Gegenwartsbezüge?
Die Villa ten Hompel ermuntert alle Interessierten, vor Ort in der Stadtöffentlichkeit als auch mit Social Media-Beiträgen unter dem Hashtag #DeportationenSichtbarMachen eigene, auch individuelle Formen der Vergegenwärtigung zu präsentieren – in Münster und weit darüber hinaus.
Ein Denkmal setzen
Der Tag des offenen Denkmals am 11. September 2022 stand unter dem Motto "KulturSpur. Ein Fall für den Denkmalschutz". So ludt die "Villa" zur Spurensuche in der Dauerausstellung "Geschichte - Gewalt - Gewissen" ein: Genau 100 Besuchende “ermittelten” in der Ausstellung selbst anhand von drei Objekten Geschichten von rassistischer, antisemitischer und antiziganistischer Verfolgung und rückten Verfolgtengruppen in den Fokus, die in der Erinnerung und auch Entschädigungsfragen lange vernachlässigt wurden.
- So etwa Sinti*zze und Rom*nja: Im Oktober 1939 wurde die Erfassung aller im damaligen Reichsgebiet lebenden Sinti*zzen und Rom*nja angeordnet. Eine Karteikarte der Kriminalpolizei zeigt aber, dass auch zuvor vielfach polizeiliche Kontrollen durchgeführt, Fingerabdrücke genommen und Sinti*zze und Rom*nja damit systematisch als potenzielle Verbrecher*innen stigmatisiert wurden. Mit schwerwiegenden Folgen für den Alltag der Betroffenen: Sie durften ihren Wohnort nicht mehr ohne Erlaubnis verlassen und viele Freizeitangeboten nicht nutzen. Diese Karteien wurden nach 1945 weiterhin verwendet, um einen polizeilichen Zugriff zu ermöglichen.
- Zwei weitere Objekte wiesen auf das Schicksal ziviler Zwangsarbeiter*innen, Kriegsgefangener und von Häftlingen hin: Mehr als 13 Millionen Menschen wurden während des Zweiten Weltkrieges im Ausland „angeworben“, in das Reich deportiert und unter Zwang festgehalten, um in der Industrie, der Landwirtschaft und in Privathaushalten zu arbeiten. Ganz zu schweigen von der häufig unzureichenden Versorgungslage, waren sie vielfach Gefahren ausgesetzt: Ein in Münster aufgenommenes Foto zeigt eine von einem Ordnungspolizisten bewachte Gruppe französischer Kriegsgefangener , die Trümmer räumen musste. Andere wurden gezwungen, völlig schutzlos nach Blindgängern zu suchen. . Täglich waren Zwangsarbeiter*innen der rassistischen Diskriminierung ausgesetzt, ihre Freiheiten und Rechte durch Verordnungen und Gesetze eingeschränkt. Das alles, weil ihr Leben aufgrund der rassistischen Hierarchisierung der Nationalsozialisten als weniger schützenswert angesehen wurde.
- Obwohl der Großteil der Verfolgten und ihrer Hinterbliebenen nach 1945 in damals besetzen Gebieten, vor allem im Osten Europas lebte, konnten nur Personen Anträge auf eine „Wiedergutmachung“ stellen, die in Deutschland lebten. Erst spät wurden, wie eine Karte im letzten Raum der Ausstellung zeigt, Globalabkommen mit anderen Staaten geschlossen und Stiftungen gegründet, um etwa ehemalige Zwangsarbeiter*innen zu entschädigen.
Mündlich und im Schreibgespräch auf einer Stellwand diskutierten die Besucher*innen im Anschluss, wie man diesen Verfolgtengruppen heute ein Denkmal setzen könnte. Reicht es aus, Stolpersteine zu setzen? Sollten die ehemaligen Einsatzorte von Zwangsarbeiter*innen in der Münsteraner Innenstadt und auf den umliegenden Bauernhöfen sichtbar gemacht werden? Gedenktafeln oder eine Ausstellung mit biografischen Beispielen wurden ebenso vorgeschlagen wie ein wachsendes Denkmal oder eines in Form von Puzzleteilen. Besonders wurde die Notwendigkeit und das Bedürfnis hervorgehoben, gemeinsam Haltung zu zeigen. Wir danken allen Besuchenden und Mitdiskutierenden und laden weiterhin zur Beteiligung an der Aktion #DeportationenSichtbarMachen ein.