MMQ 3|4|5: Der Perspektivplan und Dialog 3
Aus den Ergebnissen der Werkstattarbeit am 2. und 3. September 2022 sowie den Anregungen und Ideen aus der Online-Beteiligung hat das Büro FALTIN+SATTLER aus Düsseldorf einen Perspektivplan (pdf, 6,15 MB) für die drei neuen Quartiere am Kanal erstellt. Er bildet die Grundlage für die folgenden städtebaulichen Wettbewerbe und gibt vor, in welche Richtung die Entwicklung gehen soll, indem er Handlungsräume und ihre Funktionen definiert. So gibt er etwa einen Überblick darüber, wo welche Nutzungen angesiedelt werden könnten, zeigt auf, wo Brücken über den Kanal zur Vernetzung der Quartiere oder städtebauliche Hochpunkte entstehen könnten, schlägt Standorte für Mobilitätshubs vor und trifft Empfehlungen zur Qualität der öffentlichen Räume. Der Perspektivplan wurde am 28. September 2022 der Öffentlichkeit präsentiert und konnte bis zum 28. Oktober 2022 online eingesehen und kommentiert werden. Nachfolgend haben wir die zentralen Leitthemen und Empfehlungen für Sie zusammengefasst.
Handlungsräume und Leitthemen
Stadthafen I: südliche Hafenspitze
Diese prominenteste Stelle am Wasser ist für eine bedeutsame öffentliche Nutzung vorzuhalten. Eine Nutzung als grüner Hafenplatz ist realistisch, dieser könnte bis an die Wasseroberfläche reichen ("Landschaftstreppen" zum Kanal). Dieser besondere Ort braucht aber auch eine räumlichen Fassung sowie eine angemessenen Dimension.
Stadthafen I: Eingangssituation mit dem "Gegenüber" der Kanalsilhouette MMQ 3
Die auf der östlichen Kanalseite zu definierende neue stadträumliche Ausprägung im MMQ 3 muss im Zusammenhang mit dem Gegenüber Stadthafen I gestaltet werden (Bauvorhaben am nördlichen Stadthafen I mitdenken). Eine garantierte und komfortable öffentliche Zugänglichkeit und auch die Integration des Bestandsgrundstücks der Akademischen Ruderverbindung ist sicherzustellen.
Uferpromenade: wichtige Verknüpfung vom Stadthafen I mit dem "neuen" Stadthafen II
Überwindung der „Barriere“ Albersloher Weg bis zum Stadthafen II durch eine schmale Uferpromenade. Dabei ist eine einheitliche Gestaltung der stadtseitigen Wasserkanten wichtig. Die Projekte an der Uferseite (z. B. Dockland / Büro-Ensemble) und die schmalen Baufelder müssen dabei mitgedacht werden. Verbindungen in die Tiefe (in Richtung Stadthafen I) sind von zentraler Bedeutung, um die Verbindung des Stadtraums mit dem Kanal sicherzustellen. Auch der Güterschiffanleger muss den gestalterischen Ansprüchen an eine "filigrane Ufersituation" entsprechen (Doppelnutzungen mit Freizeitschiffen prüfen).
Stadthafen II mit optionalem Strandpark
Ausgehend von der „filigranen Uferpromenade“ muss der öffentliche Erlebnisbereich im Anschluss an dieses „Nadelöhr“ wieder eine größere Kraft entwickeln, um zum Stadthafen II zu überführen. Auf der Nordseite besteht die Chance zur Schaffung eines Strandparks. Die Spundwände unterliegen einem Erneuerungsbedarf, was neue Optionen für die Landschaftsgestaltung zum Wasser hin sowie Möglichkeiten für Wassersport und Schwimmen eröffnet. Besonders sensibel ist der Übergang von den öffentlichen (Bade-) Bereichen zu privaten Nutzungen. Es gilt, Nutzungskonflikte, die aus dem Nebeneinander zwischen Naherholung und Wohnen/Gewerbe entstehen können, zu vermeiden.
Baufelder nördlich des Stadthafen II / südlich des Jovel
Durch die Lage am Stadthafen II kann das Areal Jovel städtebaulich qualifiziert werden. Die Popularität des Jovel und seine raue, industriell geprägte Backsteinarchitektur sollten Inspiration für die architektonischen und atmosphärischen Qualitäten sein. Die Querverbindung unter dem Albersloher Weg und zum Stadthafen I, dort wo eine Unterquerung bereits vorbereitet wurde, ist herzustellen. Ein ergänzendes höheres Gebäude am Kanal-Brückenkopf könnte das Erscheinungsbild und die orientierungsgebende Situation am Albersloher Weg stärken.
Messe der Zukunft
Der neue Haltepunkt der WLE führt dazu, dass die Messe als öffentlicher Verknüpfungsraum weiter an Bedeutung gewinnt. Eine urbanere Ausstrahlung der Messe und ihres Umfeldes sollte Teil der Strategie sein. Daher ist z. B. eine Aufwertung des versiegelten Vorplatzes notwendig. Ein Zusammenwirken (z. B. im Bereich Gastronomie) mit den lebendigen Quartieren nebenan und dem Stadthafen I wären wünschenswert. Konzerte und Großevents haben durch die Verwebung mit der Messe und dem Hawerkamp ein Alleinstellungsmerkmal. Es muss gelingen, die Logistikbereiche noch enger mit der Messe und ihren Raumangeboten außen und auch innen zu verzahnen, um wertvolle Flächen in Richtung Dortmund-Ems-Kanal und Stadthafen II gewinnen zu können.
Urbanes Zukunftsfeld am Stadthafen II inkl. der "kleinen Hafenspitze"
Zwischen Hawerkamp und Stadthafen II entfaltet sich ein Teilquartier, das von der Wasserlage profitieren kann, neue Außengastronomie-Angebote inkludiert. Eine Sicherung für eine öffentliche Zugänglichkeit ist auch hier obligatorisch. Allerdings ist am Kanal die Lagerfläche für den DEK-Ausbau für ca. 10 Jahre zu integrieren. Die Zukunft der kleinen Hafenspitze sollte nach dem Vorbild im Stadthafen I lange offengehalten werden bzw. Bestandteil besonderer Freiraumangebote am Kanal sein.
Am Hawerkamp mit Experimentierfeld am Kanal
Die Straße „Am Hawerkamp“ wird zum zentralen öffentlichen Raum mit Zuführungsfunktion zum Event-, Kultur- und Gastronomieareal. Der Hawerkamp steht für ein vielfältiges und einmaliges kulturelles Angebot. Diese Funktion muss gesichert und gestärkt werden. Am Kanal ist ein Experimentierfeld mit Zwischennutzungen ein erklärtes städtebauliches Ziel. Eine von Initiativen getragene Entwicklung mit urbaner Produktion, Dienstleistungen uvm. sowie einfaches, experimentelles Bauen nach dem Vorbild einer „Minimalarchitektur“ (Seecontainer etc.) auch mit Lärmschutzfunktion für MMQ 4 sind denkbar.
Nieberding "am Wald" samt Teilareal Eulerstraße
Es besteht eine eigene Identität und die waldartige Situation wird Leitbild. Nachverdichtungen (z. B. mittlere Baufelder am Wald für Arbeiten etc.) sind trotz Umfeldbelastungen (Lärm und Gerüche) möglich. Eine Brücke (F+R) zum MMQ 5 könnte dazu führen, dass die Waldsituation sich verändert. Das Teilareal an der Eulerstraße als südlicher Auftakt des Quartiers muss mit eingebunden werden. Die Vernetzung zum MMQ 3 muss gelingen, z. B. über einen multifunktionalem Gewerbehof rund um den EventPort. Auch ein Mobilitäts-Hub ist eine Option.
Wassersportzentrum
Als unverzichtbarer Bestandteil des Kanalerlebnisses und des „Quartiers am Wald“ gilt das Wassersportzentrum der Marine Jugend Münster, deren Partnerschaft auch den erfolgreichen Kanu Polo Münster e.V. umfasst. Hier ist künftig über eine hybride Gebäudenutzung nachzudenken. Die im Rahmen des Kanalausbaus geplante neue Ein- und Ausstiegsstelle ist dabei ein zu integrierender Bestandteil der Zukunftsperspektive im MMQ 4.
MMQ 3 mit Schwerpunkt Wohnen und Lebendigkeit
Das Wohnen soll für alle Segmente, insbesondere auch für preiswerten Wohnraum, ausgelegt werden. Neben dem Wohnen sind Erdgeschoss-Belebungen u. a. durch Büros / urbane Produktion / Praxen / Gastronomie / Nahversorgung / Kultur / Kita / Gemeinschaft Teil der Entwicklung. Das Element Wasser mit seinen Qualitäten muss tief in die Quartiere hineinreichen (Freiraumgestaltung). Dies könnte eine höhere Verdichtung nach sich ziehen. Zur B51 sind weniger sensible Nutzungen (bspw. Gewerbe) aus Lärmschutzgründen möglich. Zur Schillerstraße hin prägen Retentionsräume für Starkregenereignisse und eine Kaltluftschneise das Quartier. Nach Süden zum Albersloher Weg muss sich die Eingangssituation mit dem Baumarkt-Areal arrangieren. Ein gestalterisch prägnant herausgearbeiteter öffentlicher Raum samt der Möglichkeit eines „Super-Hubs“ an der Feuerwache ist das erklärte Ziel.
Albersloher Weg: Tor zur Stadt, aber Barriere zwischen den Quartieren
Der Albersloher Weg ist ein wichtiger und intensiver Verkehrsweg, der die Innenstadt mit dem Südosten verbindet. Die Überquerung der Brücke wird als Eintritt in die Stadt erlebt. Dieses Eingangssituation könnte durch ein höheres Gebäude inszeniert werden. Der Albersloher Weg wirkt als Barriere und zerschneidet die Quartiere, insbesondere südlich der Brücke (Dammlage) und ist von Gewerbebauten und Parkplätzen flankiert. Die Barrierewirkung muss – soweit es die topografischen Bedingungen erlauben – durch bauliche und gestalterische Maßnahmen reduziert werden.
Der Perspektivplan zum Download:
Quartiere mit Modellcharakter
Die Quartiere sollen in puncto Nachhaltigkeit, Klimaschutz, Vielfalt und Mobilität neue Maßstäbe setzen. Sie sollen bezahlbaren Wohnraum und Raum für neue Wohnformen bieten sowie autoarm bzw. in weiten Teilen autofrei sein. Dem öffentlichen Raum wird als Raum für Begegnung eine zentrale Rolle zugeschrieben. Für die gewünschte Nutzungsmischung ist eine Belebung der Erdgeschosse etwa durch soziale und kulturelle Angebote, Begegnungsräume, Nahversorgungs- oder gastronomische Angebote unverzichtbar. Ziel ist es, über eine attraktive Freiraumgestaltung die Klimaresilienz der neuen Quartiere zu stärken. Das Element Wasser soll in der Planung eine wichtige Rolle spielen und bis tief in die Quartiere hinein erlebbar gemacht werden. Weiterhin gilt es, die Quartiere nicht nur als Lebensraum für Menschen, sondern auch für Flora und Fauna zu denken, und daher Biodiversität als ein zentrales Handlungsfeld der Stadtplanung zu sehen. Vor allem aber sollen sowohl Planung als auch die Quartiere selbst flexibel sein, um auf künftige Veränderungen in der Lebens- und Arbeitswelt reagieren zu können.
Dialog 3 und Online-Beteiligung zum Perspektivplan
Der Perspektivplan wurde der Öffentlichkeit am 28. September 2022 im Jovel präsentiert. Gerahmt wurde der Abend von einer Ausstellung der Wettbewerbsergebnisse. Den Abschluss bildete ein bildreicher Vortrag des Hamburger Oberbaudirektors Franz-Josef Höing, der seine Erfahrung mit der Entwicklung von Quartieren am Wasser mit dem Publikum teilte. Dabei betonte er, dass städtebauliche Entwicklungen offen sein müssen gegenüber kommenden Veränderungen, also auf diese reagieren können müssen.
Sowohl vor Ort als auch im Anschluss online konnte der Perspektivplan kommentiert werden. Dabei wurde erneut der Wunsch nach Freiräumen ohne Konsumzwang, der insbesondere auch für Jugendliche attraktiv ist, betont sowie das Bedürfnis nach öffentlichen Toiletten in der Nähe zum Kanal.
Autofreie Zonen und die Vermeidung großflächiger, ebenerdiger Parkplatzflächen – wobei es zu keiner Beschneidung der Parkplätze der MCC Halle Münsterland kommen sollte, – die Stärkung des Fuß- und Radverkehrs und des ÖPNV (z. B. durch eine eigene Busspur), eine Verbindung ins Südviertel sowie mehr Shared Spaces wurden angeregt. Die Brückenoption entlang der WLE-Trasse wurde zugunsten des Erhalts des Wäldchens in der Nieberdingstraße bevorzugt.
Deutlich wurde auch hier nochmal, dass der Erhalt der Club- und Kulturszene rund um den Stadthafen 2 für die Entwicklung des Quartiers für Viele von elementarer Bedeutung ist. Hier komme es auch auf innovative Lärmschutzkonzepte an.
Das Konzept der Schwammstadt wurde eingebracht sowie der Wunsch nach alternativen und nachhaltigen Wohnformen, z. B. in Tiny Houses, wobei nachhaltige Baumaterialien eingesetzt und wiederverwendet werden sollten. Eine naturnahe Freiraumgestaltung mit vielen Bäumen wird gewünscht, die Schatten spenden und das Mikroklima positiv beeinflussen.
Unter dem Titel "Mehr wagen!" fasste eine Teilnehmerin zusammen, dass es darauf ankomme, Modellquartiere zu planen, die auch in 60 Jahren noch funktionieren - insbesondere mit Blick auf die Themen Klimaresilienz, zukunftsfähige Veranstaltungsplanung und die perspektivische Nutzung von Verkehrsachsen wie dem Albersloher Weg.
Lebensader entlang des Kanals: die blau-grüne Infrastruktur
Parallel zum Werkstattverfahren erarbeitete das Landschaftsarchitekturbüro LAND Germany GmbH einen Rahmenplan für die blau-grüne Infrastruktur innerhalb der Quartiere.
Die Quartiere Theodor-Scheiwe-Straße, Nieberdingstraße / Eulerstraße und Am Hawerkamp / Stadthafen 2 befinden sich unmittelbar am Wasser. Daher ist eine Landschaftsentwicklung in enger gestalterischer Beziehung zum Dortmund-Ems-Kanal (DEK) vorgesehen, die sowohl den Schutz als auch die Nutzung der Freiräume entlang des DEK berücksichtigt.
Der Strukturplan für die Quartiere visualisiert entsprechende Vorschläge für diese Bereiche. Er basiert auf der Vision, dass eine blau-grüne Infrastruktur, d. h. ein System von Wasser- und Grünflächen, die bebauten Bereiche durchdringt, indem diese sich vom Stadtrand bis in das Stadtzentrum zieht, und somit die umgebenden Quartiere verbindet. Innerhalb des Plangebietes sind daher Grünzüge vorgesehen, die eine durchgehende Verbindung durch die Quartiere und entlang des Kanals bilden. Die bestehenden Rad- und Fußwege entlang des Kanals werden neu geordnet und ergänzen die Kanalpromenade. Einer der wichtigsten Aspekte ist die aktive Nutzung des Kanals. Um diese zu fördern, wird zum Beispiel im Quartier Am Hawerkamp / Stadthafen 2 eine Strandwiese mit Bademöglichkeit vorgeschlagen. Aber auch entlang des Kanals soll das Ufer als Naherholungsgebiet erhalten und weiterentwickelt sowie bis in die Quartiere hinein erlebbar gemacht werden. Das Ziel sind urbane Räume mit hoher Aufenthaltsqualität bei gleichzeitigem Schutz und Erhalt des ökologischen Gleichgewichts.
Der Strukturplan zum Download:
Wie geht´s weiter?
Auf Basis des Perspektivplans sowie den zentralen Leitthemen und Empfehlungen werden als nächstes die Auslobungsunterlagen für die städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerbe erstellt. Auch im Rahmen der Wettbewerbe - vorgesehen ab dem Jahr 2024 - wird es Möglichkeiten geben, sich zu beteiligen!