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„Erzähl mal...“ Spurensuche zur NS-Familiengeschichte
„Die Geschichte meiner Familie ist ein Teil der deutschen Erinnerungskultur.“
Als Mitarbeitende in einem Täterort, wie die Villa ten Hompel es war, setzt man sich in Thementagen, Führungen, Publikationen oder Vorträgen ständig mit den Biographien der ebendort arbeitenden Täter auseinander. Dabei stellte sich jedoch die Frage: Was ist eigentlich mit den Geschichten in der eigenen Familie?
Solche Fragen stellten nicht nur wir uns, sondern auch andere, beispielsweise das Institut für interdisziplinären Konflikt- und Gewaltforschung Bielefeld in der MEMO-Studie, die durch die Stiftung EVZ finanziert wurde und in der die in Deutschland etablierte Erinnerungskultur erfasst wird. Der überwiegende Teil der Befragten schätzte die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit für wichtig ein, knapp 58 Prozent sahen auch die Familiengeschichte als Teil der deutschen Erinnerungskultur. Dabei haben sich die Hälfte der Personen bis dahin nicht oder nur wenig mit der Geschichte der eigenen Familie beschäftigt. Etwa 70 Prozent verorteten ihre Vorfahren nicht unter den NS-Täter*innen, knapp 29 Prozent der Befragten gaben sogar an, dass Familienmitgliedern Opfern des Nationalsozialismus geholfen hätten – Schätzungen der EVZ zufolge waren dies aber tatsächlich weit weniger als 1 Prozent der Bevölkerung.
Eine Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte könnte also einen individuellen Zugang zur NS-Zeit, dessen Vor- wie Nachgeschichte bieten und manche Fehlkonzeptionen gerade rücken helfen, wenn es um die eigenen Eltern oder (Ur)Großeltern geht, die Täter*innen, Mitläufer*innen oder Verfolgte während der NS-Zeit waren.
Auch in der Geschichte der Villa ten Hompel spielt die Auseinandersetzung mit den Taten der Vorfahren eine Rolle, was sich zum Beispiel am Fall der Familie Kaatz zeigt. Die Tochter des Ordnungspolizisten Helmut Kaatz kam 2000 in die Villa und identifizierte dort ihren Vater auf Fotografien: Ihr Vater sei während des Zweiten Weltkriegs in Polen im Einsatz gewesen, berichtete sie. Die Frage, ob ihr Vater während dieser Zeit Verbrechen begangen hatte, beschäftigte die Tochter Helmut Kaatz‘ sehr. Recherchen ergaben, dass er bei der „Aktion Erntefest“, einer Erschießungsaktion, bei der unter anderem Ordnungspolizisten über 43.000 Jüdinnen und Juden im besetzten Polen ermordeten, anwesend war – ob er selbst Menschen getötet hatte, lässt sich nicht klären.
Die Hausgeschichte der „Villa“ und die Ergebnisse der MEMO-Studie sollen nun einen Anlass bilden, Familiengeschichten im Nationalsozialismus und den Umgang mit diesen näher zu betrachten: Wie verhielten sich Familienangehörige im Nationalsozialismus? Gibt es persönliche Dokumente wie Tagebücher oder Briefe, die Informationen liefern? Welche Rückschlüsse lassen vielleicht Arbeitsstellen oder Wohnorte zu? Welche Leerstellen gibt es aber auch? Und wie wird dieser Hintergrund innerhalb der Familie besprochen?
All diese und viele weitere Fragen bilden den Ausgangspunkt einer Reihe zur NS-Familiengeschichte. In den nächsten Monaten findet man an dieser Stelle alle zwei Wochen einen neuen Text, in dem ein*e Mitarbeiter*in der Villa die Erforschung der eigenen Familiengeschichte thematisiert. Diese Beiträge sollen aber nur einen Anstoß zur Auseinandersetzung geben. Interessierte Personen können sich mit Beiträgen über ihre Familien an der Reihe beteiligen. Um ggf. bei den Recherchen behilflich zu sein, werden daher auch Informationsportale vorgestellt. In konkreten Fällen können über tenhomp@stadt-muenster.de außerdem Rechercheanfragen gestellt werden.
Mehr Informationen zur MEMO-Studie:
Informationen der Uni Bielefeld
Informationen der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft
Ansprechpartnerin:
Annina Hofferberth
Mail: hofferberth@stadt-muenster.de
Telefon: 0251/492-7107