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Objekt des Monats
Juli 2022: "Erinnerungsstücke" des Ordnungspolizisten Johann Ruf
Eine auf den ersten Blick unscheinbare Holzkiste fand erst vor kurzem den Weg in unsere Sammlung:
Gezimmert wurde die rote Kiste vom Großvater des Leihgebers, Johann Ruf (1909–1991), der ab 1939 als Reservepolizist im Reserve-Polizei-Bataillon 72 eingesetzt war. Wie viele andere Polizeibataillone war auch das Bataillon 72 während des Zweiten Weltkriegs massiv in Kriegsverbrechen involviert, in diesem Fall in Polen und Slowenien. Nach einer Versetzung der Polizeieinheit nach Südfrankreich geriet Ruf im August 1944 in französische Kriegsgefangenschaft. 1947 flüchtete er von dort aus nach München und setzte seine Tätigkeit als gelernter Schreiner fort. Er starb 1991.
Nach dem Krieg bewahrte Ruf in der Holzkiste verschiedene „Erinnerungsstücke“ aus seiner Zeit im „Auswärtigen Einsatz“ auf, darunter mehrere Fotoalben, die seine Zeit als Ordnungspolizist dokumentieren. Auch zwei Schmuckstücke und zwei Operngläser sind „Souvenirs“ aus dem Kriegseinsatz in Polen. Ob sich Ruf mit den Gegenständen widerrechtlich bereichert hat oder er sie reell oder unter Wert erworben hat, muss offenbleiben. Ebenso wenig gibt es historische Quellen, aus denen sich seine persönlichen Handlungen während der Kriegszeit rekonstruieren ließen.
2014 nahm sein Enkel Reinhold Ruf Kontakt zum Geschichtsort Villa ten Hompel auf und deponierte den Nachlass seines Großvaters zum Zwecke der wissenschaftlichen Aufarbeitung bei uns. Dem Schweigen seines Großvaters über seinen Einsatz als Ordnungspolizist und der Tabuisierung der Holzkiste und der in ihr aufbewahrten Erinnerungen innerhalb der Familie kann damit – zumindest in Teilen – ein Ende gesetzt werden.
In der Dauerausstellung der Villa ten Hompel ist Johann Ruf auf einem großformatigen Foto zu sehen, das ihn als Teil einer „Ehrenkompanie“ aus Anlass des Truppenbesuchs des Reichsführers SS und Chefs der Deutschen Polizei Heinrich Himmler zeigt. Wahrscheinlich wurde das Bild am 29. oder 30. April 1940 am Warschauer Flughafen aufgenommen. Ruf markierte sich auf diesem Foto selbst. Auch die „Souvenirs“ Johann Rufs werden am Ende der Ausstellung in einem kritischen Provenienz- und Überlieferungszusammenhang präsentiert und in Seminaren u. a. mit Polizistinnen und Polizisten zur Diskussion gestellt.
Die Objekte sind so Teil einer kritischen öffentlichen Geschichts- und Erinnerungskultur geworden.