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Fundstück des Monats
Dezember 2024: Jubel und Kritik
Blicke auf Auftritte von NS-Politikern in der NS- und Nachkriegszeit
Öffentlichkeitswirksame Besuche von Politiker*innen ziehen nicht nur Aufmerksamkeit auf sich und Publikum an, sondern auch Kritik. So werden diese Inszenierungen zu wichtigen Aushandlungsmomenten von öffentlicher und individueller Meinung. Das Fundstück im Dezember zeigt eine solche Aushandlung aus der Nachkriegszeit: Es ist ein Plakat von Paul Wulf, auf dem er die Besuche von Politikern der NSDAP in Münster während der NS-Zeit aufarbeitet.
Über die Jahre der Weimarer Republik und NS-Zeit besuchten diverse NS-Funktionäre Münster – in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren noch, um anlässlich der Wahlen für die NSDAP zu werben, später unter anderem für Kundgebungen, Einweihungen und Vereidigungen. So war der Reichspropagandaminister Joseph Goebbels alleine in seiner Rolle als Politiker fünfmal in Münster, wurde im Rathaus empfangen, trank aus dem ‚Goldenen Hahn‘ und unterzeichnete im Goldenen Buch der Stadt. Film- und Fotoaufnahmen und zahlreiche Zeitungsartikel hielten diese Besuche im Sinne der NS-Propaganda fest. Beispielsweise zeigen Filmaufnahmen von einem Besuch von Goebbels Zuschauer*innen am Prinzipalmarkt, die die Arme zum Hitlergruß heben, uniformierte junge Frauen aus dem Bund Deutscher Mädel begrüßen den Minister lächelnd, ein Orchester spielt zur Gelegenheit und am Historischen Rathaus hängt eine große Hakenkreuzflagge. Solche Aufnahmen suggerieren genauso wie Verlautbarungen von Ergebenheit in der lokalen Presse, dass Münster nationalsozialistisch sei.
Paul Wulf (1921–1999) setzte sich als Verfolgter des NS-Regimes in der Nachkriegszeit öffentlich für seine Entschädigung und die anderer und für die Aufarbeitung der NS-Zeit in Münster ein. Dafür recherchierte er und organisierte unter anderem antifaschistische Ausstellungen. Die Plakate gestaltete er selbst, so auch das zum Besuch der NS-Politiker in Münster. Dafür nutzte er zurechtgeschnittene Kopien aus dem Propagandawerk „Mit der Partei vorwärts! Zehn Jahre Gau Westfalen-Nord“, die er als Collage mit eigenen Bildunterschriften arrangierte und mit aufgemalten Rahmen versah. Überschriften wie „Rosenberg im Rathaussaal“, „Rudolf Hess in Münster“ und „Dr. Goebbels im Friedenssaal“ markieren, wie offensichtlich diese Auftritte an bekannten und zentralen Orten Münsters stattfanden. Die Nennung der Besuche zahlreicher Politiker vermittelt einen Eindruck, welchen Rang die Stadt Münster in der Inszenierung des NS-Regimes einnahm – im Kontrast zu dem Bild, das viele Münsteraner*innen in der Nachkriegszeit von ihrer eigenen Stadt hatten.
Rückblick
- November 2024: Verschollen, nicht vergessen – Ein Rotwein als Gedenkort
- Oktober 2024: Zwischen Gebrauchsgrafik und Propaganda: Sammelbilderalben „Olympia 1936“
- September 2024: Sprechen und Schweigen über NS-Zwangsarbeit
- Juni 2024: Historische Räume nutzen und brechen
- Mai 2024: Spuren eines Lebens – Das Tagebuch als Quelle
- April 2024: Die Nazis und die Autobahn
- März 2024: Die Illusion von Teilhabe – Ein Raumbildalbum über den ‚Anschluss‘ Österreichs
- Februar 2024: Luftschutz – Zivile Aufgabe und Propagandainstrument
- Januar 2024: Polizistenmord in der Hamburger Nachkriegszeit
- Dezember 2023: Sammelkarten aus dem Krieg
- November 2023: Sammelleidenschaft im Dienst der Propaganda
- Oktober 2023: Trinken zum Erinnern, Trinken zum Vergessen? Der Bierkrug eines Polizei-Gendarmen
- September 2023: Amateurfilme des Gendarmen Kurt Kreikenbom
- August 2023: Das Fotoalbum als Erzählung – Erinnerungen eines Reservepolizisten
- Juli 2023: Upcycling mal anders
- Juni 2023: Überleben für welchen Preis? Die Enteignung der Familie Hertz
- Mai 2023: Wie lernt man Antisemitismus?
- April 2023: Aufstieg und Fall der Wicking-Werke
- März 2023: Zum Umgang mit Nazi-Relikten
- Februar 2023: Ein entnazifiziertes Schild?
- Januar 2023: Erna Meintrups Fahrkarte
- Dezember 2022: Wielengas Glocke
- November 2022: Ninas Brief aus dem Ghetto Lublin
- Oktober 2022: Ernst Beins Urkunde über den apostolischen Segen
- September 2022: Polizeilehrfilme aus Ost und West
- August 2022: Verkehrserziehungsspiel "Der gute Schupo"
- Juli 2022: "Erinnerungsstücke" des Ordnungspolizisten Johann Ruf
- Juni 2022: Nachlass von Paul Wulf