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Fundstück des Monats
Januar 2024: Polizistenmord in der Hamburger Nachkriegszeit und 'Displaced Persons' als Ziel polizeilicher Ermittlungen
Warum und von wem wurde der Polizist Paul Fischer in Hamburg kurz nach Kriegsende erschossen? Beim Fundstück des Monats Januar handelt es sich um ein Andenken an Paul Fischer (1887–1945), der zuletzt als Oberwachtmeister in Hamburg tätig war. Über die Urheberschaft des Gedenkbildes kann nur spekuliert werden. Die förmliche Bildunterschrift legt ein institutionelles Gedenken nahe, sie würdigt Fischers Leistungen "für Recht und Ordnung".
Fischer war über die gesamte Zeit des Nationalsozialismus als Polizist im Dienst. Im Zweiten Weltkrieg war die Polizei an der Verfolgung vieler nicht zur sogenannten 'Volksgemeinschaft' gehöriger Menschen sowie an etlichen Massenverbrechen direkt und indirekt beteiligt. Darüber hinaus war Fischer Mitglied der NSDAP. Entsprechend nahe liegt die Frage, ob er selbst zum Täter geworden ist, auch wenn diese anhand der Quellen nicht beantwortet werden kann. Zwar wurde Fischer von der britischen Besatzung entnazifiziert – bekanntermaßen sind diese Urteile jedoch oftmals nicht belastbar, weil diese auf Aussagen von Kollegen beruhten, die sich gegenseitig entlasteten.
Mehr Informationen liegen zu seiner Ermordung am 31. Juli 1945 vor: Laut polizeilicher Ermittlungsakte sei Fischer bei der nächtlichen Streife in Hamburg-Finkenwerder auf Personen aufmerksam geworden, die sich nicht an die Ausgangssperre gehalten hätten. Fischer, der selbst mangels Waffenschein keine Waffe bei sich getragen habe, sei bei der Kontrolle unvermittelt zu Boden gestreckt und angeschossen worden. Der Schwerverletzte sagte herbeieilenden Kollegen, dass es sich um "ausländische Männer" gehandelt habe. Einige Stunden später erlag er im Altonaer Krankenhaus seinen Verletzungen. Die Täter waren flüchtig.
In Hamburg-Finkenwerder hielten sich zum Tatzeitpunkt viele Personen auf, die während des Zweiten Weltkriegs aus anderen europäischen Ländern nach Deutschland verschleppt worden waren. Bis Kriegsende hatten sie in einem Außenlager des KZ Neuengamme Zwangsarbeit auf dem Gelände der Deutschen Werft verrichten müssen. Viele Überlebende hielten sich als 'Displaced Persons' (DP) noch lange bis in die Nachkriegszeit in Deutschland auf, die meisten von ihnen in DP-Camps.
Das aufgenommene Ermittlungsverfahren wurde wegen mangelnder Beweislage eingestellt. Nachforschungen in dem DP-Lager liefen ins Leere, da der wachhabende Sergeant der britischen Militärregierung verneinte, dass nach der Tat noch Personen in das abgezäunte Lager zurückgekehrt sind. Die Ermittlungsakte zeigt, dass die polizeiliche Ermittlungspraxis nach Kriegsende noch tief von rassistischen Ressentiments durchdrungen war. So wird in einem Abschlussbericht, der im April 1946 verfasst wurde, trotz fehlender Beweise und Zeugenaussagen davon ausgegangen, dass Fischer tatsächlich von "Ausländern" ermordet wurde, da "Deutsche" nicht gegen die Ausgangssperre verstoßen würden: "Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß der Mord an dem Oberwachtm. Fischer von Insassen des Lagers begangen wurde. Irgendwelche Anhaltspunkte hierfür sind nicht gegeben. Dieses insofern nicht, als keinerlei Zeugen ermittelt und befragt werden konnten. Der ausgesprochene Verdacht stützt sich lediglich darauf, daß nicht angenommen wird, daß Deutsche sich außerhalb der Sperrstunde auf der Straße bewegten. Dieses ist jedoch nicht ausgeschlossen, wie Straftaten der letzten Zeit verschiedentlich bewiesen." (StAHH 331-1 II_10070)
Auch wenn wohl nie geklärt werden wird, wer Paul Fischer ermordet hat, zeigt der sich in Widersprüche hüllende Bericht das in der Nachkriegszeit weiterhin bestehende Misstrauen der Behörden gegenüber Personen aus den europäischen Nachbarstaaten, die nicht freiwillig nach Deutschland gekommen waren.
Text von Simon Albert (Praktikant)