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Fundstück des Monats
April 2024: Die Nazis und die Autobahn
Einigen kommt folgende Aussage vielleicht bekannt vor: „Hitler hat nicht nur Schlechtes gemacht. Der hat auch Autobahnen gebaut!“ Hitler und die Autobahn – das gehört für viele in Deutschland anscheinend unweigerlich zusammen. Das sich bis heute hartnäckig haltende Narrativ ist auf erfolgreiche Propaganda zurückzuführen. Die Wirkung, die das populäre Großprojekt des nationalsozialistischen Deutschlands auf kommerzielle Medien hatte, lässt sich an unserem Fundstück des Monats April ein Stück weit ablesen. Es handelt sich um das Brettspiel „Auf der Reichsautobahn“, das um 1936 von Wilhelm Henck erfunden wurde und in Kassel erschien.
Das Gesellschaftsspiel mit dem Untertitel „Der Weg zum Ziel – ein deutsches Spiel“ ist für 2 bis 8 Personen gedacht. Man spielt auf einem bunten Spielplan, der das damalige Deutsche Reich und einige Nachbarstaaten zeigt, und würfelt der Reihe nach, um eine festgelegte Strecke mit einem Spielstein zurückzulegen. Gefahren- und Strafpunkte auf der Strecke entscheiden über das Vorankommen. Die eingezeichneten Strecken entsprechen dabei größtenteils geplanten Autobahnen, nicht bereits gebauten.
Die in der Sammlung der Villa ten Hompel überlieferte Ausgabe spiegelt die territorialen Verhältnisse der frühen 1930er Jahre wider. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs erschien 1940 eine Neuauflage mit angepasstem Titel: „Auf der Reichsautobahn durch Großdeutschland“. Der Spielplan war nun u. a. um das „Protektorat Böhmen und Mähren“ auf tschechoslowakischem Gebiet sowie das „Generalgouvernement“ auf polnischem Gebiet ergänzt. Es dauerte also nicht lange, bis die nationalsozialistische Besatzungspolitik zu Propagandazwecken Eingang in kommerzielle Medien fand. Neben Brettspielen wurden unzählige Bildbände, Filme, Postkarten und Plakate auf den Markt gebracht, die den Autobahnbau als Symbol des Fortschritts, der Arbeitsbeschaffung und des Wohlstands propagierten.
Aber was ist nun dran an dem Mythos, dass Hitler die Autobahn erfunden habe? Die erste Autobahn zwischen Köln und Bonn war tatsächlich schon 1932 von Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer eröffnet worden. Nach der Machtübernahme 1933 wurde diese kurzerhand zur Landstraße herabgestuft, um Hitler als „Schöpfer der Autobahn“ zu profilieren. Dass der Ausbau in der Folgezeit so schnell möglich war, lag insbesondere daran, dass wesentliche Vorplanungen schon in den 1920er Jahren, teilweise sogar vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, entwickelt worden waren. Die NSDAP positionierte sich wegen der hohen Kosten bis zur Machtübernahme sogar noch entschieden gegen den Bau von Autobahnen. Schon kurz nach der Berufung zum Reichskanzler stellte Hitler die ambitionierten Ausbaupläne vor, und nutzte diese vor allem, um Tatkraft angesichts der hohen Arbeitslosigkeit zu beweisen.
Von geplanten 6.900 Autobahnkilometern waren bis Kriegsbeginn 3.300 Kilometer fertiggestellt. Ab 1940 wurden KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeitende bei den kriegsbedingt stagnierenden Bauarbeiten eingesetzt. All diese historischen Nuancen gehen mit Blick auf das Image der Autobahn, bei dem man immer noch die Nachwirkungen der NS-Propaganda merkt, meist verloren.