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Fundstück des Monats
Oktober 2024: Zwischen Gebrauchsgrafik und Propaganda: Sammelbilderalben „Olympia 1936“
Die diesjährigen Olympischen Spiele in Paris haben nicht nur die Sportwelt in Atem gehalten. Sportgroßereignisse beschäftigen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft schon lange vor der Eröffnungsfeier und noch lange nach der letzten Siegerehrung. Wie die Nationalsozialisten 1936 die Olympischen Spiele für die eigenen propagandistischen Zwecke nutzten – darüber erzählt das Fundstück des Monats Oktober mehr.
Sammelbilderalben wie das 1936 erschienene, zweibändige „Olympia 1936“ werden noch heute nahezu monatlich bei der Villa ten Hompel abgegeben – meist von Privatpersonen, die das auflagenstarke Massenprodukt aus der NS-Zeit bei Haushaltsauflösungen und Entrümpelungen gefunden haben. Aufgrund der großen Verbreitung haben sich die Bilder über die in Berlin ausgetragenen Olympischen Sommerspiele und die in Garmisch-Patenkirchen veranstalteten Olympischen Winterspiele ebenso wie Leni Riefenstahls Propagandafilm „Olympia“ in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben.
Solche Sammelbilder wurden seit 1932 vom Zigaretten-Bilderdienst mit Sitz in Hamburg herausgegeben und zusammen mit Zigaretten der Marke Reemtsma vertrieben. Der Zigaretten-Bilderdienst entwickelte sich in der NS-Zeit zu einem der größten Verlage des Deutschen Reichs: Bis 1943 wurden etwa 4 Milliarden Bilder und 19 Millionen Alben verkauft.
Die Deutschen sollten sich durch das Sammeln der Bilder einbezogen fühlen. Das Sammeln als gemeinschaftliche Tätigkeit wurde Teil der Alltagskultur: Ziel war es, das eigene Sammelbildalbum durch Kauf und Tausch mit allen Bildern zu füllen. Zugleich wurden sowohl wirtschaftliche Interessen der Zigarettenfirma als auch politische Interessen der NS-Diktatur erfüllt: Vom ursprünglichen Gedanken dieses Mediums, breitenwirksam Bilder und kurze Texte zur Kultur- und Naturgeschichte zu vermitteln, waren ideologisch durchtränkte Bände wie „Deutschland erwacht“ (1933) und „Raubstaat England“ (1941) weit entfernt. Und auch die beiden Olympia-Bände sind voller propagandistischer Bilder und Texte, die das Sportereignis als große PR-Show eines vermeintlich weltoffenen, politisch geeinten Deutschlands inszenieren. Hinter dieser Fassade griff die rassistische und antisemitische Politik der Nationalsozialisten schon längst um sich: Vor den Spielen wurden Obdachlose, Roma* und Sinti* in Randgebiete Berlins verbannt. Zeitgleich mit den Wettkämpfen errichteten Häftlinge unweit des Olympiastadions das KZ Sachsenhausen. Und trotz verschiedener Auflagen des Internationalen Olympischen Komitees wurden jüdische Sportler*innen benachteiligt oder kurzfristig ausgeschlossen.
Die deutschen Dressurreiter in Uniformen der Wehrmacht, darüber die Überschrift: 'Deutsche Reiter auf deutschen Pferden siegreich'.
Die dahinterstehende Ideologie spiegelt sich in dem Sammelbildalbum eher unterschwellig wider: zum Beispiel durch zahlreiche Darstellungen von weißen, maskulinen, soldatisch anmutenden Körpern, durch kämpferische und chauvinistische Texte, durch Auslassen oder Herabstufen von jüdischen und Schwarzen Athlet*innen. Bilder des US-amerikanischen Leichtathleten und viermaligen Goldmedaillengewinners Jesse Owens werden von rassistischen Texten und Zeichnungen begleitet – sein Erfolg passte natürlich nicht zur nationalsozialistischen Rassenideologie und war Hitler und Goebbels ein Dorn im Auge.
Trotz der immensen Rezeption, die sich in den Auflagezahlen zeigt, ist die Mediengattung der Sammelbilderalben wissenschaftlich sehr unterbelichtet – dabei birgt die Schnittstelle zwischen Gebrauchsgrafik, Wirtschafts-, Politik- und Alltagsgeschichte eigentlich ein großes Forschungspotential. Wie lange die Inanspruchnahme der Olympischen Spiele für die Darstellung der Diktatur nachwirkte, zeigt eine Diskussion der letzten Jahre: Der Vorschlag einer deutsch-israelischen Bewerbung mit Berlin und Tel Aviv als Austragungsorte für die Olympischen Spiele 2036, 100 Jahre nach den Spielen in NS-Deutschland, wurde kontrovers als eine Art Wiedergutmachungsversuch diskutiert.