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Fundstück des Monats
November 2024: Verschollen, nicht vergessen – Ein Rotwein als Gedenkort
Vor 80 Jahren, im November 1944, wurde der Wehrmachtsangehörige Franz Xaver Mitterhuber mutmaßlich das letzte Mal gesehen. Seit Ende 1944 galt er als vermisst. Die Rotweinflasche, das Fundstück des Monats November, ist in der Dauerausstellung der Villa ten Hompel ausgestellt, denn anhand der Flasche lässt sich fragen: Wie kann Trauerbewältigung aussehen, wenn jemand im Krieg vermisst bleibt?
Die Flasche Rotwein brachte Mitterhuber, der als 16-jähriger Gärtnerlehrling zur Wehrmacht eingezogen wurde, als Souvenir aus Frankreich für seine Eltern mit. Er übergab sie ihnen im Oktober 1942 bei einem Heimaturlaub. Die Familie hob den Wein bewusst auf, um ihn nach Rückkehr des Sohnes aus dem Kriegseinsatz gemeinsam zu trinken.
Doch Mitterhubers Spur verlor sich 1944 in Rumänien. Zuvor war er noch wegen eines schweren Herzleidens bis zum 1. Juli 1944 in einem Lazarett in Bautzen zur Erholung gewesen. Der nächste Auslandseinsatz führte ihn offenbar ins (noch) verbündete Rumänien, wo deutsche und rumänische Kräfte dem sowjetischen Vormarsch nicht standhielten. Nach der sowjetischen Großoffensive im August 1944 erhielten die Eltern keine Nachricht mehr von ihm. Der letzte Feldpostbrief ist mit dem 12. August datiert. Allerdings erreichte sie danach noch eine Nachricht vom Roten Kreuz, wonach Mitterhuber im November 1944 lebend im sowjetischen Kriegsgefangenenlager Focşani in Rumänien gesehen worden sei.
Der Krieg endete, doch Mitterhuber kehrte nicht zurück. Die Eltern wandten sich an verschiedene Personen und öffentliche Stellen – erfolglos. Die Dokumentation des Suchverlaufs befindet sich in der Sammlung der Villa ten Hompel. Erst 1970 erhielten sie ein Gutachten des Suchdienstes des Roten Kreuzes, nach dem die Überlebenden der 376. Infanterie-Division zunächst in ein provisorisches Gefangenenlager gekommen war, wo ein großer Teil von ihnen innerhalb weniger Wochen an Seuchen verstorben war. Demnach wird vermutet, dass Mitterhuber dort Ende 1944 im Alter von 21 Jahren umkam, bevor er namentlich erfasst werden konnte.
Die Rotweinflasche trägt das Datum des Tages, an dem Mitterhuber zum letzten Mal von seinen Eltern gesehen wurde. Seine Mutter hatte es handschriftlich auf das Etikett geschrieben. Nachdem sich die damit verbundenen Hoffnungen nicht erfüllt hatten, wurde die Flasche als Erinnerungsstück an den vermissten Sohn im elterlichen Treppenhaus auf einem Sockel stehend ausgestellt. Mitterhuber wurde 1968 für tot erklärt und als fiktiver Todestag der 31. Dezember 1945 festgelegt. Auf dem Grabstein seiner Mutter wurde eine entsprechende Plakette zum Gedenken an ihn angebracht. Obwohl Mitterhubers Tod nie Gewissheit und sein Körper nicht beerdigt wurde, lässt sich an dieser Familiengeschichte das menschliche Bedürfnis ablesen, einen konkreten Ort zum Trauern zu schaffen.