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Fundstück des Monats
März 2025: Ein Pizzakarton als engagiertes Statement
Vor 13 Jahren, am 21. März 2012, beschloss der Rat der Stadt Münster die Umbenennung des Hindenburgplatzes in „Schlossplatz“. Als Geschichtsort der Stadt dokumentieren wir bürgerschaftliches Engagement in der lokalen Erinnerungskultur. Aus diesem Kontext stammt das – für die sonstigen Hausthemen etwas untypische – Fundstück des Monats: Es handelt sich um einen Pizzakarton, den das Künstlerduo JaePas mit einer Fotografie, die Paul von Hindenburg und Adolf Hitler zeigt, bedruckte. Das Foto wurde anlässlich der Totengedenkfeier am 25. Februar 1934 an der Neuen Wache in Berlin aufgenommen. Überschrieben ist das Foto mit dem klaren Statement „NEIN zu Hindenburg!“ Mit der Aktion, die Teil des Kunstprojekts „Pizza, Pasta, Kunst und BASTA!“ des Sozialpalasts Münster war, warben die Künstler in Kooperation mit der Pizzeria Peppino für die Umbenennung.
Die Debatte und der Ratsbeschluss
Vorausgegangen waren dem Umbenennungsbeschluss intensive Verhandlungen rund um Hindenburg und die Frage der mit der Benennung verbundenen Ehrung des Namensgebers. Ein Blick zurück: Der Hindenburgplatz wurde durch Beschluss des Magistrats der Stadt Münster am 3. Oktober 1927 anlässlich des 80. Geburtstages des damaligen Reichspräsidenten benannt. Zuvor hieß er seit etwa 1770 Neuplatz. Die Debatte, die 2012 schließlich zur Umbenennung führte, war geprägt von jahrelang anhaltenden Zuschriften, Leserbriefen und Presseberichterstattungen. Nicht nur Münsteraner*innen setzten sich intensiv mit der Thematik auseinander. Während sich ein großer Teil der befragten Bürgerschaft tendenziell eher gegen die Umbenennung positionierte, empfahlen sowohl der Jugendrat der Stadt Münster als auch eine vom Ältestenrat beauftragte Kommission unter fachwissenschaftlicher Begleitung die Umbenennung des Platzes. Dieser Empfehlung folgte der Ratsbeschluss vom 21. März 2012.
Hindenburgs Rolle in der Geschichte
Neuere Erkenntnisse aus der Geschichtswissenschaft begründeten die Entscheidung: Paul von Hindenburg war General im Ruhestand, als er im Ersten Weltkrieg als Oberbefehlshaber der 8. Armee reaktiviert wurde. Nach dem „Sieg von Tannenberg“ wurde er zum mystifizierten Volkshelden. Nach Kriegsende wies er jegliche Verantwortung für die militärische Niederlage mit der „Dolchstoßlegende“ von sich. Getragen vom Mythos um seine Person wurde Hindenburg 1925 zum Reichspräsidenten gewählt, was er bis zu seinem Tod 1934 blieb. Zuvor hatte er Hitler zum Reichskanzler ernannt und das Parlament in der Bedeutungslosigkeit versinken lassen. Der Untergang der Weimarer Republik war trotz Krisen nicht vorprogrammiert gewesen, und Hindenburg hätte in seinem Amt viel Handlungsspielraum gehabt, diesen zu vermeiden oder wenigstens hinauszuzögern. In Hitler sah er jedoch den besten Partner, um die nationalkonservativen Kräfte des Reichs zu vereinen. Die von Hindenburg seit 1929/30 aktiv betriebene Rückabwicklung der parlamentarischen Demokratie erfuhr mit dem von ihm 1933 unterzeichneten „Ermächtigungsgesetz“ ihren tragischen und folgenreichen Höhepunkt. Ein Hindenburgplatz ehrt somit einen Mann, der seine Befugnisse nutzte, um Hitler an die Macht zu befördern, wissend um die Bereitschaft der Partei, aus Ideologie Wirklichkeit zu machen.
Bürgerentscheid und aktuelle Entwicklungen
Als Reaktion auf den Ratsbeschluss wurde im Juni 2012 ein Bürgerbegehren „pro Hindenburgplatz“ eingereicht, dem der Rat nicht entsprach. Daraufhin waren alle Münsteraner*innen am 16. September 2012 zum Bürgerentscheid aufgerufen, in dessen Kontext auch das Pizzakarton-Projekt stand. Der Aufruf „Nein zu Hindenburg“ setzte sich durch: Eine eindeutige Mehrheit sprach sich dafür aus, dass die Umbenennung Bestand haben sollte. Der Pizzakarton steht für die lebendige bürgerschaftliche Debatte unter Einbezug von lokaler Subkultur, Gastronomie und bildender Kunst.
Auch gegenwärtig führt das Thema Straßenumbenennung zu kontroversen Diskussionen in kommunaler Politik und Verwaltung, Lokalpresse und Bürgerschaft. Am 8. April wird die Bezirksvertretung Münster-Mitte über die Umbenennung von zehn Straßen im Innenstadtgebiet entscheiden (darunter z.B. die Langemarck- und die Tannenbergstraße, die an Schlachten des Ersten Weltkriegs erinnern).