Seiteninhalt
Objekt des Monats
Oktober 2022: Ernst Beins Urkunde über den apostolischen Segen
Unser Fundstück des Monats Oktober zeigt, wie wichtig es für uns als Historikerinnen und Historiker ist, Legenden zu hinterfragen.
Es handelt sich um eine Urkunde über den apostolischen Segen des Papstes für den ehemaligen Ordnungspolizisten Ernst Bein aus Gelsenkirchen und dessen Familie.
Bein, der auf dem Schwarz-Weiß-Foto mittig auf der Stoßstange des Autos sitzt, wurde mit Kriegsbeginn zum Einsatz beim Polizei-Reserve-Bataillon 61 einberufen. Dieses war 1939/40 unter anderem an Verschleppungen von polnischen Jüdinnen und Juden in die besetzten östlichen Gebiete beteiligt. Bein gehörte zur Kraftfahrstaffel, die dafür zuständig war, Kompaniechefs und den Bataillonsstab an die Einsatzorte zu bringen, auch an die Orte von Massenerschießungen. Im März 1941 wurde Bein zur Kraftfahrtstaffel des Polizei-Bataillons 65 versetzt, das im Herbst 1942 mitverantwortlich für die Räumung des Krakauer Ghettos und die Sicherung der Transportzüge nach Auschwitz und Treblinka war.
Die Unterlagen von Ernst Bein gelangten durch dessen Enkel in unsere Sammlung. Insbesondere die Urkunde, die scheinbar vom damaligen Papst Johannes Paul II. unterzeichnet wurde, sticht heraus. Bein erhielt die Urkunde, die auf den 6.12.1979 datiert ist, durch einen polnischen Priester, der zu dieser Zeit in der katholischen Pfarrgemeinde in Gelsenkirchen tätig war.
Nach Auskunft seines Enkels fand Bein seinen „Seelenfrieden dadurch, dass er bis zu seinem Tod 1987 fest davon überzeugt war, dass ihm der Papst persönlich seine Kriegsschuld vergeben hat.“
Unsere Aufgabe im Geschichtsort Villa ten Hompel ist es, Instrumentalisierungen von Geschichte aufzudecken. So stellt sich die Unterschrift des Papstes nach kurzem Abgleich mit dem Original eindeutig als gefälscht heraus. Neben der abweichenden Handschrift spricht auch der fehlerhafte Zusatz „P II“ am Ende dafür; richtig müsste es lauten „PP II“ als Kürzel für das lateinische ‚Papa‘. Es hat offenbar jemand versucht, den Segensspruch mit der Unterschrift aufzuwerten. So konnte die Urkunde zur privaten Vergangenheitsbewältigung von Ernst Bein herhalten – quasi als handfester „Beweis“ der Vergebung seiner Sünden.
Ob bewusst oder unbewusst für diese Konstruktion genutzt, hat das Dokument damit weniger einen historischen als einen sozialpsychologischen Wert.