Seiteninhalt
Grutamts-Rechnungen
Unterlagen der städtischen Finanzverwaltung 1538 bis 1809 (Grutamt/Gruetamt)
Eine der wichtigsten Finanz-Institutionen der Stadt Münster in der Frühen Neuzeit war das Grutamt oder auch Gruetamt. Das Grutamt verwaltete zwar die Hauptkasse der städtischen Finanzen, rechnete aber nur einen Teil der Ein- und Ausgaben ab. Es war ursprünglich mit der Verwaltung des ehemaligen bischöflichen Biermonopols befasst, das die Stadt 1278 erworben hatte. Es erhielt Einkünfte aus der Bierbesteuerung und erzielte Einnahmen durch Geldverleih (Rentenverkauf). Dem Grutamt standen zwei Ratsmitglieder vor, die Grutherren, die ihre Einnahmen und Ausgaben schriftlich festhielten. Ihre Namen wurden auf dem ersten Blatt der Grutamts-Rechnung vermerkt.
Aufgaben des Grutamtes
Das Grutamt war zunächst vor allem für die Herstellung der für das Bierbrauen im späten Mittelalter genutzten Kräuter- und Getreidemischungen, genannt Grut oder auch Koit, zuständig. Diese Produkte vertrieb es an die städtischen Brauer. Da die Brauer in Münster nicht in einer exklusiven Zunft oder Gilde organisiert waren, durfte jeder Bürger, Handwerkskorporationen und geistliche Einrichtungen bis Mitte des 17. Jahrhunderts gewerblich oder für den eigenen Bedarf Bier herstellen.
Das Geschäft mit Brauerei-Produkten warf auch enorme Gewinne für die Stadt ab, sodass dem Grutamt bzw. den Grutherren bald eine erweiterte Funktion als Finanzverwaltung zukam. Die Grutherren übernahmen spätestens seit dem späten 15. Jahrhundert eine tragende Rolle im städtischen Ausgabenwesens, organisierten die Einnahme von Abgaben und Steuern mit und organisierten vor allem die städtische Schuldenverwaltung. Von 1560 bis 1762 oblag dem Grutamt auch die Verwaltung des städtischen Münzwesens.
Grutamts-Rechnungen
Die jährlich abgelegten Rechnungen des Grutamts gehören wegen des weitläufigen Aufgaben-Profils zu den wichtigsten Quellen der Finanz- und Wirtschaftsgeschichte Münsters in der Frühen Neuzeit. Für das 15. und frühe 16. Jahrhundert sind aufgrund der Zerstörungen von Ratsüberlieferung und Finanzdokumenten während der Täufer-Herrschaft nur zwei Grutamts-Rechnungen aus dem Jahr 1480 und 1533 (Ratsarchiv, A VIII Nr. 188, Band 1 und 2) überliefert. Sie liegen in einer Edition vor. Eine kommunale Rechnungsführung setzte jedoch bereits deutlich früher ein.
Von 1538 bis zum Ende des Fürstbistums 1802 sind die Grutamts-Rechnung nahezu durchgängig erhalten und liegen vollständig digitalisiert vor.
Aufbau der Grutamts-Rechnungen
Aufgebaut sind die Rechnungen zumeist als aufeinander folgende Verzeichnungen von Einnahmen und Ausgaben. Die Gliederung der einzelnen Kategorien und Posten und die Detailliertheit der Dokumentation verändern sich über den sehr langen Überlieferungszeitraum mehrmals.
In den erhaltenen Rechnungen stellt bei den Einnahmen zunächst das Brauereiwesen als Kerngeschäft den wichtigsten Posten dar. Seit dem späten 15. Jahrhundert war das Grutamt auch mit der Verwaltung von indirekten Steuern und Abgaben auf Biergrundstoffe befasst. Vor allem in den frühen Rechnungen erscheinen diese Einnahmeposten nicht voneinander getrennt behandelt worden zu sein. Zwischen 1661 und 1715 wurde die Koit-Akzise verpachtet und fehlt in diesem Zeitraum als Rechnungsposten.
Einnahmen und Ausgaben
Schon im 16. Jahrhundert war das Grutamt auch für die Erhebung weiterer Einkünfte aus Akzisen und weitere Abgaben zuständig, zeitweise etwa aus der städtischen Qualitätskontrolle für Tuchwaren (Legge) sowie später der Getreide-Steuern (Multer), Abgaben auf Branntwein und andere alkoholische Getränke.
Auf der Ausgabenseite schlagen in den frühen Rechnungen vor allem die Grundstoffe für die Bierherstellung und die Verwaltung des Brauereibetriebs zu Buche. Der direkte Bezug zum Brauwesen verliert sich im Laufe der Zeit jedoch deutlich, und die entsprechenden Ausgabenposten verschwinden spätestens um die Mitte des 17. Jahrhunderts aus den Rechnungen. Als weitere zentrale Ausgabenposten übernahm das Grutamt Löhne von Stadtbediensteten, Zahlungen an Ratsherren, Auslagen von Gesandten und auch städtische Bau- und Repräsentations-Kosten (Tymmer/Zimmer und unrayt).
Renten- und Schuldenverwaltung
Einen sehr großen Teil der Rechnungen nimmt in aller Regel die wichtigste Funktion des Grutamts als städtische Renten- und Schuldenverwaltung ein. Sie verzeichnen sowohl Kapital-Aufnahmen als Einkünfte aus eigenen Renten- und Darlehensgeschäften, als auch die (als pensiones bezeichneten) Zins- und Retzahlungen, die säuberlich in am Ende der Rechnungen befindlichen Rentregistern verzeichnet werden.
Als Gläubiger treten wohl hauptsächlich einzelne Bürger oder geistliche Einrichtungen in Stadt und Umland in Erscheinung. Auswärtige Gläubiger waren bis ins späte 18. Jahrhundert vermutlich klar in der Minderzahl. Die Ordnungsprinzipien der Rentregister verändern sich deutlich im Laufe der Zeit. Im 16. Jahrhundert gliedern sie sich nach Wohnort oder geistlichem bzw. weltlichem Stand der Gläubiger. Später werden sie dann zumeist nach den Zahlungsterminen aufgeführt, die nach dem kirchlichen Festkalender datiert werden
Ergänzende Unterlagen zu den Grutamts-Rechnungen
Die Grutamts-Rechnungen werden durch weitere Überlieferungen ergänzt. Ein großer Bestand mit 315 Bänden (Ratsarchiv, A VIII, Nr. 189) enthält neben Rechnungs-Belegen des Grutamts als buchhalterischer Dokumentation auch Dossiers zu Rechtsstreitigkeiten, Nachweise über Exemtionen, Bittschriften und vielfältige andere Materialien. Er umfasst den kontinuierlichen Überlieferungszeitraum der Rechnungen. Die in den Rechnungen verzeichneten Rent-Register haben sich überdies als separate Dokumentation von 1536 bis 1675 erhalten (Ratsarchiv, A VIII, Nr. 188b).
Für den Zeitraum von 1536 bis 1643 liegen mit wenigen Lücken als Grutherren-Register bezeichnete, laufend geführte Rechnungsbücher vor, deren Inhalt später in die Grutamts-Rechnungen übertragen wurde. (Ratsarchiv, A VIII, Nr. 188a). Bis um 1600 verzeichnen sie, anders als die finalen Rechnungen, bisweilen die Personen, die die Brau-Akzisen zu entrichteten.
Im selben Bestand befindet sich auch eine als Memorien-Buch bezeichnete Notizkladde des Henrich Herdinch zu Hiltrup, aus dem Jahr 1639. Sie eröffnet interessante Einblicke in die Routine-Praktiken, die der städtischen Finanz-Verwaltung zugrunde lagen (A VIII Nr. 188a, Band 62).
Für die Jahre 1639 bis 1661 liegen parallel Rechnungsbücher des Grutamts vor, die angesichts der in dieser Zeit knapperen und pauschaleren Verzeichnungen von Einnahmen in den Rechnungen wichtige Ergänzungen dar (Ratsarchiv, A VIII Nr. 188c).
Quellenwert
Insgesamt sind die Grutamts-Rechnungen ein außerordentlich reichhaltiger und umfangreicher Quellenbestand, der unverzichtbare Grundlage für Arbeiten zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Münsters oder für Studien zu den städtischen Finanzen darstellt. Aber auch kulturgeschichtliche Themen lassen sich anhand der Dokumentation zu Rats-Festmahlen oder städtischen Zeremonien mit diesen Quellen erschließen.
Sehr typisch für die Frühe Neuzeit waren in Münster mehrere Institutionen mit parallelen Kassen für die Verwaltung der Stadtfinanzen zuständig. Parallel zum Grutamt verwaltete weiterhin die StadtkämmereiSteuern und Abgaben. Die Zuständigkeiten konnten zwischen beiden Institutionen hin- und herwechseln. Darüber waren auch noch weitere Institutionen mit fiskalischen Kompetenzen und eigenen Kassen an der städtischen Finanzverwaltung beteiligt.
Hier liegt also sehr reichhaltiges, aufgrund der "Kassenvielfalt" aber auch etwas unübersichtliches Quellenmaterial vor.
Glossar
Die Lektüre der mit vielen heute fremdartig wirkenden Fachbegriffen befrachteten, bis ins frühe 17. Jahrhundert auf niederdeutsch geführten Rechnungen erleichtert ein Glossar.
Literatur
- Eberhardt, Ilse, Die Grutamtsrechnungen der Stadt Münster von 1480 und 1533. Edition und Interpretation (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. 19), Münster 2002 (Es handelt sich um eine Edition zweier Grutamts-Rechnungen mit gründlicher Auswertung und Kommentierung; enthält auch hilfreiches Glossar der wichtigsten zeitgenössischen Begrifflichkeiten.).
- Ernst Hövel: Die Gruetamtsrechnungen des Stadtarchivs Münster. Eine personengeschichtliche Quelle von internationaler Bedeutung, in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung 11, Heft 3 (1952), S. 16-25 und Fortsetzung in: Beiträge zur westfälischen Familienforschung 12, Heft 2/3 (1953), S. 59-63.
- Grewe, Josef, Das Braugewerbe der Stadt Münster bis zum Ende der fürstbischöflichen Herrschaft im Jahre 1802. Mit besonderer Berücksichtigung seiner Besteuerung, Leipzig 1907. Frei zugänglich über das Online-Angebot der Universitäts- und Landes-Bibliothek Münster: