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Kämmerei-Rechnungen
Unterlagen der städtischen Finanzverwaltung aus der Zeit vor 1809 (Stadtkämmerei)
Die Finanzen der Stadt Münster wurden seit dem späten Mittelalter in weiten Teilen von der Stadt-Kämmerei verwaltet. Sie war auch formal für die Eintreibung landesherrlicher Steuern und dafür erforderliche Schatzungen zuständig. In Münster standen ihr zwei Ratsmitglieder als Kammerherren vor. Diese waren verpflichtet jährlich dem Rat, Vertretern der Gilden bzw. nach 1661 fürstbischöflichen Beamten als Kontrollinstanzen eine umfangreiche Abrechnung ihrer Einnahmen und Ausgaben vorzulegen. Die offizielle Rechnungslegung markierte den Abschluss einer Amtsperiode des Rates und fand unmittelbar vor dessen Neuwahl statt.
Da unter der Täufer-Herrschaft auch die Dokumentation der städtischen Finanzverwaltung weitgehend zerstört wurde, hat das Stadtarchiv nur wenige, bereits edierte Kämmerei-Rechnungen aus der Zeit vor 1534. Durchgehend erhalten sind die Rechnungen dagegen von 1541 bis 1809, also über das Ende des Fürstbistums hinaus bis in die preußische bzw. bergische Zeit.
Die Kämmerei-Rechnungen werden im Bestand Ratsarchiv A VIII, Nr. 277 aufbewahrt und sind vollständig digitalisiert zugänglich.
Die Kämmerei-Rechnungen stellen einfache Verzeichnisse hintereinander aufgeführter Einnahmen und Ausgaben dar, deren Anordnung sich aus heutiger Sicht nicht immer intuitiv erschließt. Das ist nicht unüblich für vormodernes Rechnungswesen. Verweise auf (nicht-existente) Budgets, Voranschläge oder sonstige Finanzplanungen fehlen.
Seit den 1770er Jahren finden sich mit der Festlegung fixer Rechnungsposten, größerer Überkategorien für Ausgaben und Angaben zur Gegenfinanzierung Ansätze zu einer Rationalisierung der Rechnungsführung, die im napoleonischen Großherzogtum Berg, etwa mit der Einführung von Tabellen weitergeführt wurden.
Einnahmen
Die Kämmerei-Rechnungen verzeichnen als Einnahmen:
- Transfer-Zahlungen aus Überschüssen des Grutamts oder anderer Kassen der Stadt, die oft am Beginn der Rechnungen stehen. Seit ca. 1670 sind in der Regel die Einnahmen der monatlichen Steuer-Schatzungen und das für die Stadtverteidigung bestimmte Stadtwerk-Geld die ersten Rechnungsposten.
- Einnahmen aus städtischen Abgaben, aus Grundabgaben wie dem Zehenten (Decima) oder dem Woortgeld oder Akzisen, etwa auf Waren wie Branntwein, aus Brücken- und Tor-Zöllen, aber auch Abgaben von in die Bürgerschaft neu aufgenommene Personen.
- Einnahmen aus Grund- und Immobilienbesitz in Stadt- und Umland etwa Häusermieten, Renten und Pachten, etwa für Bier- und Wein-Keller der Stadt verzeichnet. Mieten für Verkaufsbuden oder Stand-Gelder (Stedegelt) für Markthändler und seit dem 18. Jahrhundert auch Gebühren für Auslagen im Schohus der Stadtgilden.
- Einkünfte aus offiziellen Funktionen der Stadt und ihrer Einrichtungen, etwa aus Gerichtsgebühren, Gebühren für die Verwendung des Stadtsiegels, Gelder aus der städtischen Qualitätskontrolle für Waren oder der Stadtwaage. Hierunter lassen sich auch die als Brüchten bezeichneten Strafgelder für Ordnungswidrigkeiten fassen.
- Sonstige, insgemeine Einnahmen, die zumeist chronologisch geordnet sind.
Einnahmen aus Strafgeldern aus Ordnungswidrigkeiten sind für die Jahre 1591 bis 1659 in zwei Brüchten-Protokollbüchern dokumentiert, die digital verfügbar sind.
Ausgaben
Die Kämmerei-Rechnungen verzeichnen als Ausgaben:
- Personalkosten der Stadt. Darunter fallen vor allem vierteljährlich gezahlte Entlohnungen für Amtsträger, wegen des vierteljährlichen Zahlungstermins oft als Quatertemper (bzw. Quatember) Gelder bezeichnet, ebenso Zulagen (Offergeld) und Sachhilfen für niedere Stadtdiener oder etwa Boten (Kundschafft)-Gelder aufgeführt.
- Ausgaben für Bauarbeiten und Beschaffung von Baumaterial sowie für Ankauf und Einfuhr von steinerem Baumaterial und dessen Transportkosten und von Bauholz (Tymmer, Zymmer) werden häufig sehr ausführlich dokumentiert.
- Ausgaben für die Verteidigung und die Sicherheit der Stadt, ebenso wie Gelder für Befestigungen, Beschaffung und Unterhalt von Geschützen oder die Besoldung von Stadtwachen. Mit dem Autonomie-Verlust nach 1661 verschwinden einige dieser Titel. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts spielt jedoch die Finanzierung von Brandschutz-Logistik eine zunehmend wichtige Rolle.
- Sunderliche oder extra-ordinaire Ausgaben machen als Sammelkategorie einen oft substantiellen Teil der Rechnungen aus.
Vorstufen der Kämmerei-Rechnungen
Innerhalb des Bestandes finden sich in verschiedenen Varianten überlieferte Kämmerei-Rechnungen. Für einige Jahrgänge vom spätem 16. Jahrhundert bis in die 1620er Jahre liegen zusätzlich zu den finalen, niedergelegten Rechnungen als Rapiarium (Notiz-Kladde) bezeichnete Vorstufen der Rechnungen vor. Diese bilden einen separaten Teil des Bestandes.
Die vermutlich laufend geführten Kladden weisen Gebrauchsspuren und zahlreiche Streichungen auf, von denen allerdings auch die Abschlussrechnungen nicht ganz frei sind. Sie sind im Gegensatz zu den finalen Rechnungen konsequent paginiert und mit einem Indexblatt versehen. Dies deutet darauf hin, dass später noch auf sie rekurriert werden sollte.
Für die Zeit von 1598-1660 haben sich neben den Reinschriften der Stadtrechnungen noch sog. Rapiarien ("Notiz-Kladden") als Vorstufen erhalten. Sie folgen einer stets gleichen, von der Reinform unterschiedenen Reihung der Einkünfte und Ausgaben und sind bis 1626 mit einem Index ausgestattet.
Überdies befinden sich im Bestand zwei (ebenfalls Rapiarien genannte) halbbrüchige Anschreibe-Bücher aus den Jahren 1651 bis 1656. Sie enthalten provisorische Notizen zu Abrechnungen und anderen Arbeitsvorgängen der Kammerherren bzw. ihrer Buchhalter und vermitteln interessante Einblicke in deren alltägliche Arbeits-Praxis.
Weitere Bestände zu Kämmerei-Rechnungen
Zu den Kämmerei-Rechnungen gehören noch weitere Bestände des Stadtarchiv:
109 Bände buchhalterischer Dokumentation mit Belegen, Kostenaufstellungen und Zahlungsanweisungen aus den Jahren 1670 bis 1802 vor. (Ratsarchiv, A VIII, Nr. 280).
Für die Jahre von 1760 bis 1789 haben sich Dokumentationen und Korrespondenzen zur Rechnungsprüfung durch fürstbischöfliche Beamte erhalten (Ratsarchiv, A VIII, Nr. 278); in knapperem Umfang gilt das auch für die Jahre 1795 bis 1802 (Ratsarchiv, A II. Nr. 15a), sowie bruchstückhaft für die 1660er Jahre (Ratsarchiv A IX, Nr. 6).
In den Berichten des Kriegsrats Ribbentrop finden sich Angaben zum städtischen Finanz- und Schuldenwesen am Übergang zur zwischenzeitlichen preußischen Herrschaft 1802/03. (Stadtregistratur, Fach 37, Nr. 1–2).
Quellenwert
Zur Finanzgeschichte Münsters liegt mit den Kämmerei-Rechnungen ein reichhaltiges, ergiebiges und wegen der Vielfalt der beteiligten Institutionen auch etwas unübersichtliches Quellenmaterial vor. Es stellt eine unverzichtbare Grundlage für Studien zu den städtischen Finanzen und zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Münsters dar und ermöglicht Einblicke in die Schreib- und Rechenpraxis von Finanzverwaltungen.
Typisch für frühneuzeitliche Finanzverwaltungen war die Kämmerei Teil eines komplizierten Institutionen- und Kassengeflechts. Neben der Kämmereibesaß auch das ursprünglich für das Brauereiwesen zuständige Grutamtfiskalische Aufgaben und organisierte die städtische Schuldenverwaltung. Teilweise überschnitten sich die Funktionen der beiden Ämter teilweise.
Darüber hinaus gab es noch weitere Kassen und Institutionen mit Finanzkompetenten. Das Weinamt verwaltete zum Beispiel nicht nur einschlägige Akzisen, sondern übernahm seit Ende des 17. Jahrhunderts die Verwaltung der für Truppeneinquartierungen verwendeten Service-Gelder. (Ratsarchiv A VIII, Nr. 48a und A VII, Nr. 40).
Glossar
Die Lektüre der mit vielen heute fremdartig wirkenden Fachbegriffen befrachteten, bis ins frühe 17. Jahrhundert auf niederdeutsch geführten Rechnungen erleichtert ein Glossar.
Literatur
- Jappe Alberts (Hg.): Die Kämmerei-Rechnungen der Stadt Münster über die Jahre 1447, 1448 und 1458 (Fontes Minores Medii Aevi, XI), Groningen 1960. (Kommentierte und annotierte Edition der aus der vor-täuferischen Zeit erhaltenen Kämmerei-Rechnungen).
- Lahrkamp, Monika, Münster in napoleonischer Zeit 1800–1815 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. 7/8), Münster 1976. (S. 265–282, Überblick über die städtische Finanzverwaltung in fürstbischöflicher Zeit).
- Engler, Bruno, Die Verwaltung der Stadt Münster von den letzten Zeiten der fürstbischöflichen bis zum Ausgang der französischen Herrschaft 1802 – 1813, Hildesheim 1905. (Mit Erläuterungen zum Finanzwesen der Stadt in fürstbischöflicher Zeit). Frei zugänglich über das Online-Angebot der Universitäts- und Landes-Bibliothek Münster: