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Ratsprotokolle 1564-1802
In Münster wie auch in anderen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Städten war der Rat die oberste Instanz der städtischen Regierung. Der jährlich gewählte Rat, der sich in der Regel aus einem relativ kleinen Kreis untereinander verflochtener Familien zusammensetzte, hielt die Fäden der städtischen Politik zusammen.
Der frühneuzeitliche Rat übernahm zentrale Regierungs, Gerichts- und Verwaltungsfunktionen. Er hatte eine kaum unüberblickbare Vielfalt von Aufgaben und Themen zu bearbeiten und entscheiden. Die Tätigkeit des Rates hielten Ratsprotokolle fest, die vom Stadtsekretär erstellt und für jedes Jahr in einem Band zusammengefasst wurden.
Die Ratsprotokolle sind eine unverzichtbare Grundlage für politik-, rechts- und verwaltungsgeschichtliche Forschungen zur Stadtgeschichte Münsters. Sie dokumentieren die Arbeit des Stadtregiments und der städtischen Justiz in der Frühen Neuzeit. Sie stellen eine Art Wegweiser und ergänzende Überlieferung zu den übrigen städtischen Verwaltungs- und Rechtsquellen dar. Die dokumentierten Gerichtsfälle, Eingaben und die das Alltagsleben betreffenden Verordnungen machen sie auch zu einer wichtigen sozial- und kulturgeschichtlichen Quelle.
Im Bestand "Archive der fürstbischöflichen Zeit bis 1802" befindet sich unter die Signatur A II Nr. 20 die Überlieferung der Ratsprotokolle. Seit 1564 sind die Protokolle bis zum Ende der fürstbischöflichen Zeit 1802 mit wenigen Lücken (unter anderem fehlt das wichtige Jahr 1648!) in 212 Bänden überliefert. Dieser Bestand ist vollständig digitalisiert. Die weitere Auswahl erfolgt über das Portal Archive.NRW:
Seit wann bereits Protokolle in Münster geführt wurden bzw. wie sie sich hier als eigener Dokumententyp entwickelten, lässt sich aufgrund der Zerstörungen von städtischen Dokumenten während der Täuferherrschaft der 1530er Jahre nicht mehr ermitteln. Bruchstückartige Aufzeichnungen zu Beschlüssen des Rates sind erst ab 1536 erhalten (Ratsarchiv, A II, Nr. 19a).
Provisorische Ratsprotokolle 1660-1675
Nach einer Auseinandersetzung mit Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen, die mit der Unterwerfung der Stadt endete, büßte der Rat 1661 viele seiner autonomen Herrschafts-Rechte ein. Für die ersten Jahrgänge nach der Unterwerfung, von 1661 bis 1671 sowie für die Jahre 1673 und 1675, liegen nur auszugsweise provisorische Ratsprotokolle in einer separaten Serie vor.
Im Bestand "Archive der fürstbischöflichen Zeit bis 1802" unter der Signatur A II Nr. 23 befinden sich 14 Bände:
Aufbau
Hinsichtlich Aufbau und Funktion haben die Protokolle wenig Ähnlichkeit mit modernen Sitzungs-Protokollen. Sie dokumentieren selten Sitzungsverläufe oder Voten von Sitzungsteilnehmern, sondern sind vor allem Sach- und Beschlussprotokolle. In Form und Aufbau bleiben die Protokolle über die Zeit relativ konstant. Sie beziehen sich auf die mehrmals wöchentlich stattfindenden Sitzungen und machen (lateinische) Angaben zum Teilnehmerkreis.
"In congreg[atione] Senatus" oder "in (pleno) senatu" bezeichnet zum Beispiel eine reguläre Ratssitzung, mit der Formel "coram d[omi]n[i]s…." wird der Teilnehmerkreis einzelner Sitzungen genauer beschrieben.
Im Bestand "Archive der fürstbischöflichen Zeit bis 1802" unter der Signatur A II Nr. 23 befinden sich 14 Bände
Randvermerke
Randvermerk der besonderen Art von 1797 mit einer Illustration des im Text erwähnten Todesurteils "am Galgen"
Die stichwortartigen Randvermerke zeigen die in den einzelnen Abschnitten verhandelten Materien an. Diese werden für die Protokoll-Bücher seit dem späten 16. Jahrhundert über beigefügte alphabetische Indices erschlossen. Dies erleichtert die Arbeit mit den Protokollen erheblich.
Das Themenspektrum ist, entsprechend der Funktionen des Rates, höchst vielfältig. Auf den ersten Seiten jedes Protokoll-Jahrgangs werden zumeist das alljährliche Ratswahlverfahren und die daraus hervorgehende Ämterverteilung festgehalten.
Als Stadt-Regierung erließ er nicht nur Verordnungen zur Arbeit seiner Amtsträger, sondern auch solche, die den in der Frühen Neuzeit als "Policey" bezeichneten Bereich der Wahrung öffentlicher Ordnung betrafen. Dies betraf die Regulierung von Handel und Handwerk, das Armenwesen, das Alltagsleben, aber auch die Kontrolle von sozialen Randgruppen oder Maßnahmen zum städtischen Brandschutz. Der Rat entschied auch über Eingaben von Einwohnern, sogenannte Suppliken oder Supplikationen, die oft Anlass und Informationsgrundlage für seine Verordnungs-Tätigkeit waren. Darüber hinaus dokumentieren die Protokolle zahllose bürokratische Einzelvorgänge, wie die Regelung finanzieller Ansprüche von Einwohnern oder bspw. die Ausstellung sogenannter Geburtsbriefe, die den Status von Bürgern bestätigten. Letztere sind ausschließlich über die Ratsprotokolle nachweisbar.
Trotz zeitweise relativ großer Autonomie-Rechte der Stadt blieb der Fürstbischof formell oberste Autorität. Insbesondere nach der Unterwerfung Münsters 1661 machte er seinen Einfluss wieder verstärkt geltend. Vor diesem Hintergrund waren auch fürstliche Mandate und vor allem die Organisation von landesfürstlichen Steuer-Schatzungen regelmäßig Thema der Protokolle.
Angaben und Funktion
Bis 1661 war der Rat auch faktisch als oberste Gerichtsbarkeit der Stadt. Dementsprechend finden sich in den Protokollen auch Angaben zu vielen Straf- und Zivilgerichts-Prozessen. Zwar hat das Stadtarchiv zur städtischen Gerichtsbarkeit eine eigene Überlieferung (verlinken zum Beitrag). Für einen vollständigen Überblick insbesondere über die verhandelten Zivilsachen sind die Ratsprotokolle aber oft eine unverzichtbare ergänzende Quelle. Sie können dabei helfen, deren Vorgeschichten und mögliches „Nachspiel“ zu rekonstruieren.
Hauptfunktion der Protokolle war es, die Arbeit des Rates und seine Entscheidungen festzuhalten sowie eine Übersicht über „Arbeitsstände“ oder die Ausstellung von offiziellen Dokumenten zu ermöglichen. Wie ausführlich sie dabei welche Materien verzeichneten, hing von den konkreten Umständen ihrer Erstellung ab, spiegelt aber auch generell Entwicklungs- und Standardisierungs-Prozesse von Verwaltungsschriftgut wider. Die Protokolle waren zwar auf eine dauerhafte Überlieferung hin angelegt. Zumeist waren sie aber wohl mehr Zwischenspeicher als Langzeitgedächtnis der Stadtverwaltung. Inwieweit der Rat in der Praxis wirklich auf ältere archivierte Protokolle zurückgriff, ist nicht erforscht.
Die Protokoll-Texte waren keineswegs ausschließlich für den internen Gebrauch reserviert. Als Protokoll-Auszüge (lat. „Extractus Protocolli“) wurden Anordnungen des Rates, die bspw. einzelne Finanzgeschäfte betrafen, an Einzelpersonen oder Körperschaften übermittelt. Mit ihnen ließen sich etwa finanzielle Ansprüche legitimieren, sie konnten als Zahlungs-Anweisung bzw.-aufforderung fungieren oder die Ungültigkeit von Anleihen der Stadt, die sie zurückgekauft hatte, bestätigen.
Ratsprotokoll-Entwürfe in Notizheften
Neben den Ratsprotokollen ist auch eine von 1697 bis zum Ende des Fürstbistums reichende umfassende Serie von 70 Notiz-Heften - Fachausdruck: Rapiarien - überliefert. Es handelt sich um Entwürfe und Vorstufen der Protokolle. Oft sind ihnen auch Kopien von später in die Protokolle eingearbeiteten Dokumenten beigefügt.
Die Ratsprotokolle sind auch eine personengeschichtliche Quelle von herausragendem Wert. Auf ihrer Grundlage sind im 19. und 20. Jahrhundert Personal-Listen zu den Ratswahlen erstellt worden, die die als Wahlmänner fungierenden Kurgenossen, Bürgermeister und Räte für jedes Jahr verzeichnen. Für die Jahre 1564-1606 wurde handschriftliches Personen- und Sachregister der Ratsprotokolle erstellt. Diese Verzeichnisse sind im Lesesaal des Stadtarchivs einsehbar.
Literatur
- Ernst Pitz, Schrift- und Aktenwesen im Spätmittelalter. Köln – Nürnberg – Lübeck. Beitrag zur vergleichenden Städteforschung und zur spätmittelalterlichen Aktenkunde (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv Köln, 45), Köln 1959 (Überblick zur Entstehung und Ausdifferenzierung von städtischen Verwaltungsschriftguts, auch mit Angaben zur Entstehung der Gattung Rats-Protokoll).
- Helmut Lahrkamp, Der Friedenskongress zu Münster im Spiegel der Ratsprotokolle (Sonderdruck aus Quellen und Forschungen der Stadt Münster, N.F., Bd. 2), Münster 1962. (Edition zur Stadt- und Alltagsgeschichte Münsters während des Westfälischen Friedenskongresses anhand der Ratsprotokolle).
- Helmut Lahrkamp, Geburtsbriefe der Stadt Münster 1548–1809 (Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Münster, N.F. 4), Münster 1968 (Edition der sogenannten Geburtsbriefe von Bürgern der Stadt).
- Martin Scheutz/ Herwig Weigl, Ratsprotokolle österreichischer Städte, in: Josef Pauser/ Martin Scheutz/ Thomas Winkelbauer (Hgg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungband 44), Wien/ München 2004, S. 590–610 (einziger längerer quellenkundlicher Überblick zur Gattung der Ratsprotokolle. Nicht alle Befunde lassen sich auch auf Münster und Nordwestdeutschland übertragen).