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Konflikte und Kontakte
Viele Münsteranerinnen und Münsteraner nahmen die britische Besatzung insbesondere in den ersten Monaten als Fremd- und Zwangsherrschaft wahr. Die Briten wurden häufig nicht als Befreier, sondern als Kriegsgegner angesehen, der für die zahlreichen Bombardierungen der Stadt während des Krieges verantwortlich war. Daher wurden auch gelegentliche Hilfsangebote von Soldaten nicht unbedingt von der Bevölkerung angenommen.
Die Zeitzeugin Frau R.S., Jhg. 1922 berichtet von einer Begegnung mit britischen Soldaten:
"Dann haben wir eine Prozession gemacht, eine Wallfahrt nach Telgte, zum Dank, daß nun alles vorbei war. Es ist ja schon ein ganzes Stück zu Fuß dahin zu laufen und dann in dem Trott! Auf dem Rückweg hatten wir einen englischen Lastwagen vor uns. Die warfen uns Apfelsinen herunter. Wir haben die nicht aufgenommen, nein. Also, ich glaube, wir wären lieber noch verhungert oder verdurstet oder sonst was als das. Ich bin bestimmt kein Nazi gewesen, aber ich hatte so eine Stinkwut."
(Zitiert nach Heise: Geschichte im Gespräch, S. 47)
Die Besatzungsumstände und Besatzungspolitik lösten negative Gefühle gegenüber den Briten aus oder verstärkten sie. Die Unterversorgung mit Nahrungsmitteln wurde der Besatzungsbehörde angelastet, auch wenn europaweiter Mangel herrschte. Hinzu kamen die zahlreichen Verbote, Beschlagnahmen und drohende Demontagen. Das Fraternisierungsverbot, das den britischen Soldaten jeglichen Kontakt zu Deutschen untersagte, stieß auch unter denjenigen auf Unverständnis, die die Besatzungsmacht eigentlich unterstützten.
Die als Übersetzerin für die Briten tätige Elisabeth Hoemberg berichtet in ihrem Tagebuch, dass die neuen Vorschriften die Offiziere der Alliierten zwingen würden, wie "Schweine" zu erscheinen und die Sensibilität der besten Deutschen zu verletzen.
Schutz vor Gewalt
Ein großes Problem für das Verhältnis zu den Besatzern war außerdem das fehlende Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Sie fand keinen ausreichenden Schutz vor Gewalttaten von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern – Displaced Persons genannt – und gelegentlichen Übergriffen von alliierten Soldaten. Die Besatzungsbehörde bewertete die Gewalt der Displaced Persons einerseits als logische Konsequenz jahrelanger Zwangsarbeit und Misshandlung in Deutschland, andererseits fehlten ihr die Mittel, den Überfällen, Vergewaltigungen und Diebstählen Einhalt zu gebieten.
Allmähliche Verbesserung
Die Beziehungen zwischen den Münsteranern und der Besatzungsmacht verbesserten sich nach und nach. Ein erster Schritt zur Normalisierung trat mit Aufhebung des Fraternisierungsverbots im September 1945 ein. Unter dem Kreis-Resident-Officer Major Haslock entspannte sich die Lage weiter. Das lag zum einen an seiner verhältnismäßig langen Amtszeit von Juli 1946 bis Mai 1948, die es ihm erlaubte, die Bedürfnisse der Bevölkerung besser einzuschätzen und eine persönliche Bindung zu den deutschen Verwaltungsbeamten aufzubauen. Zum anderen hatte sich auch die Versorgungslage 1948 stark verbessert und die deutschen Behörden konnten bereits unabhängiger agieren.
In seinem Abschiedsbrief formulierte der scheidende Stadtkommandant Major Haslock, dass sich die Beziehungen zwischen Briten und Deutschen allmählich bessern würden:
"We had our ups and downs. Now I can see signs of improvements in all directions. They may only be slight improvements but they are improvements. (…) In spite of my leaving Munster I shall continue to take a keen interest in all your activities and when I return to the United Kingdom I shall continue that interest and I hope we may correspond. (…) I should like to thank you, Herr Oberburgermeister, the Stadt Councillors and Officials of the Stadt Administration for the friendly relations and co-operation we have had in the past and to wish you all the very best of luck to yourselves and to Munster in the future."
(Brief des KRO Haslock im Ratsprotokoll vom 26. Mai 1948)
Besatzer als Helfer in der Not
Auch Münster traf im Februar 1946 eine verheerende Flutkatastrophe, die Innenstadt war fast komplett überschwemmt. Die Notlage durch fehlende Brennstoffe und Lebensmittel verschärfte sich noch einmal dramatisch. Das Februarhochwasser 1946 bedeutete zwar eine weitere Verschlechterung der Lebensumstände; sie stellte aber auch einen ersten Wendepunkt in der Beziehung zu den britischen Besatzungsbehörden dar. Erstmals traten die Besatzer als rettende Helfer auf. Britische Soldaten bargen Menschen aus dem Hochwasser und kümmerten sich um die Versorgung der vom Wasser eingeschlossenen Personen. Britisches Militär und deutsche Hilfskräfte unterstützten sich gegenseitig bei den Hilfsmaßnahmen.
Annäherung
Den Konflikten und Antipathien zum Trotz kam es bereits in den ersten Besatzungsmonaten zu Annäherungen zwischen Briten und Deutschen. Insbesondere Arbeitskontakte spielten eine wichtige Rolle beim Aufbau persönlicher Beziehungen zu den Besatzungssoldaten. Viele deutsche, vor allem weibliche, Arbeitskräfte waren bei der Besatzungsbehörde angestellt, vor allem als Übersetzerinnen und Übersetzer, Sekretärinnen und Sekretäre. Die enge Zusammenarbeit und die für die Anstellung notwendigen guten Englischkenntnisse erleichterten naturgemäß das Verständnis füreinander.
Die Münsteranerin V. Y., Jhg. 1920, die bei der Finanzabteilung der Militärregierung als Übersetzerin tätig war, urteilte:
"Die Offiziere waren sehr nett, sehr höflich. Ich muß sagen, die britische Besatzungsmacht war wahrscheinlich die angenehmste von allen. Ich habe nie auch nur den geringsten Ärger gehabt, weder mit einem Soldaten noch in dem Office da."
(Frau V. Y., Jhg. 1920, Heise S. 229)
Die britische Einheit 45 I GSO richtete 1952 eine Weihnachtsfeier für die deutsche Bevölkerung aus. Neben zahlreichen Kindern und Eltern nahmen auch der Oberbürgermeister Busso Peus sowie britische Militärangehörige an der Feier teil.
Sport
Der Sport brachte beide Seiten früh zusammen. Im Oktober 1945 fand vor fast 2.000 Zuschauern ein Fußballspiel des SC Münster 08 gegen eine englische Soldatenmannschaft statt. Der SC gewann mit 4:2 und die Neue Westfälische Zeitung kommentierte:
"Die Zuschauer hatten ihre helle Freude an diesem fairen Spiel."
Außerdem fand ein Wettkampf des Boxclubs Münster gegen den Boxclub der britischen Armee statt, der den Titel "Maisbrot gegen Weißbrot" trug. Der Titel spielte darauf an, dass den Briten Weißbrot zur Verfügung stand, den Deutschen dagegen nur Maisbrot. Außerdem wurden Tischtennisturniere gegen die britische Offiziersmannschaft abgehalten, wie 1947 im Offizierskasino an der Grevener Straße.
Debating Club
1946 wurde der Debating Club gegründet, dessen 20 bis 30 englische und deutsche Mitglieder sich einmal in der Woche in einer kleinen Wirtschaft trafen. Während der Zusammenkünfte durfte nur Englisch gesprochen werden und jeder musste zu einem bestimmten Thema ein Referat halten, das im Anschluss diskutiert wurde.
Zwei Jahre später wurde das britische Informations- und Kulturinstitut "The British Centre" – "Die Brücke" von den Briten eingerichtet. In Münster war "Die Brücke" beliebt. Sie wurde zu einem zentralen Treffpunkt der Universität, der Bevölkerung und der Besatzungsoffiziere. Die Brücke beherbergte außerdem die English Society Münster bzw. den English Club, der im November 1946 vom Leiter des englischen Seminars Prof. Hermann Heuer ins Leben gerufen worden war. Regelmäßig wurden hier Vorträge und Konzerte veranstaltet und berühmte britische Persönlichkeiten eingeladen, darunter T.S. Eliot oder der Ökonom und Politiker Lord Beveridge. Die Brücke besaß außerdem um die 10.000 englischsprachige Bücher und Zeitschriften.
Jubel bei der Krönungsparade
Die punktuellen Kontakte und die Zusammenarbeit mit den Briten trugen zu einem Wandel in der gegenseitigen Wahrnehmung bei. Die Stadtverwaltung beurteilte die Kooperation mit den britischen Dienststellen als harmonisch und auch ein großer Teil der Bevölkerung schien in den fünfziger Jahren ein recht positives Bild von der britischen Besatzung zu haben. Als im Juni 1953 Queen Elizabeth II. gekrönt wurde, strömten viele tausend Münsteranerinnen und Münsteraner auf den damaligen Hindenburgplatz (heute: Schlossplatz) und säumten die Straßen für die Parade der britischen Truppen.