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Entnazifizierung
Für einen erfolgreichen und demokratischen Neubeginn nach der Diktatur war die Entnazifizierung, das heißt die Säuberung aller Lebensbereiche vom Nationalsozialismus, ein notwendiger Schritt. Zu den ersten Maßnahmen der Briten gehörte die Tilgung nationalsozialistischer Symbolik aus dem öffentlichen Raum. Am 14. Mai 1945 gab der britische Stadtkommandanten die Anweisung an Bürgermeister Peus, das sämtliche NS-Symbole zu entfernen seien. Die Anweisung wurde in der englischen Sprache erteilt und auf deutsch übersetzt:
"All insignia of the N.S.D.A.P. must be removed. Where these are carved in stone, they must be covered up. You will instruct your Public Works officials to carry out this work on all public buildings. You will have the Police instruct private citizens to remove or obscure such signs on private or business premises. The above work will be completed by 20 June 1945, after which dates owners or occupants of premises still displaying NSDAP signs will be liable to prosecution."
Entfernung von NS-Symbolen
Hakenkreuze, Hitlerbilder, Schilder und Plakate der Partei und ihrer Organisationen – all das sollte entfernt werden. Die städtischen Hakenkreuzfahnen wurden von den Briten beschlagnahmt und auf Vorschlag der Stadtverwaltung zu Kleidungsstücken für Bombengeschädigte umfunktioniert. Militärische Kopfbedeckungen wurden ebenfalls verboten. Im Juni 1945 folgte die Aberkennung der Ehrenbürgerschaften für Hitler und Hindenburg, die Münster wie die meisten Städte nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verliehen hatte. Straßen, die NS-Persönlichkeiten gewidmet worden waren, wurden umbenannt. Mit dem Gesetz Nr. 1 (Law No. 1) des Alliierten Kontrollrats wurden im Herbst 1945 schließlich sämtliche nationalsozialistische Gesetze aufgehoben, um "für das deutsche Volk Recht und Gerechtigkeit wiederherzustellen und den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz wiedereinzuführen."
Politische Säuberung
Der langwierigste und komplizierteste Teil der Entnazifizierung war die politisch-personelle Säuberung. Die Alliierten setzten sich das ambitionierte Ziel, jeden Erwachsenen individuell auf seine Belastung hin zu prüfen. Direkt nach der Befreiung hatten die Besatzungstruppen nationalsozialistische Amtsträger verhaftet und interniert. Den NS-Oberbürgermeister von Münster, Albert Hillebrand, ließen die US-Amerikaner einige Tage im Bunker vom Franziskushospital mit einigen anderen Verwaltungsmitarbeitern weiterarbeiten, bevor er am 4. April gefangen genommen wurde. Ende April 1945 legten dann die US-Amerikaner mit der Direktive JCS 1067 fest, dass sämtliche NSDAP-Mitglieder, Unterstützerinnen und Unterstützer des Nationalsozialismus zu entlassen und NS-Organisationen und -einrichtungen zu schließen waren. Bis Sommer 1945 folgte auch die britische Militärregierung dieser Direktive, da die britische Regierung keine eigenen Anweisungen herausgegeben hatte. Wer eine verantwortliche Funktion in der NSDAP oder ihrer Gliederungen innegehabt hatte, wurde dementsprechend aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern entfernt.
Fragebögen
Führende Personen in Politik, Verwaltung und Wirtschaft, die nicht sofort entlassen wurden, mussten Fragebögen für die Militärregierung ausfüllen. Auf deren Grundlage wurde entschieden, in welchem Maße eine Person im NS-System involviert gewesen war und ob eine Entlassung notwendig war. Anfänglich bezog die Militärregierung die deutsche Seite in die Entnazifizierung nicht mit ein, weshalb die Bevölkerung viele Entscheidungen als willkürlich wahrnahm. Darüber hinaus verzichteten die Briten damit auch auf die Kenntnisse der Bevölkerung zu lokalen Strukturen und Personen. Im Frühjahr/Sommer 1946 setzte die britische Militärregierung deshalb deutsche Entnazifizierungsausschüsse ein, die Informationen sammelten und der Militärregierung eine Einschätzung zu den Personen gaben, die überprüft wurden. In Münster wurden 39 politische Sichtungsausschüsse für Verwaltungsbehörden, Berufsstände und Betriebe eingerichtet.
Seit Herbst 1946 gab es fünf Kategorien zur Einteilung der Überprüften, die auch das Strafmaß bedingten. Für die Entnazifizierungsausschüsse waren für die Kategorien III (geringer Übeltäter) bis V (Entlastet) zuständig. Personen der Kategorie IV (Mitläufer) wurde unter anderem das passive Wahlrecht entzogen. Die Einstufung in die Kategorien I und II (Kriegsverbrecher und Übeltäter) war der Militärregierung selbst vorbehalten. Hier drohten Sanktionen von sofortiger Entlassung bis hin zur Todesstrafe.
Innerhalb der Stadtverwaltung Münsters kam es im Laufe der Entnazifizierung zu zahlreichen Entlassungen. Bereits im Mai 1945 schickte Stadtkommandant Jackson der Stadtverwaltung Fragebögen für neue Mitarbeiter zu. Bis August 1945 wurden 183 Mitarbeiter der insgesamt 1800 städtischen Bediensteten entlassen. Bis Jahresende 1945 waren es 300 Personen.
Entnazifizierungsverfahren
Auch bei Einstellungen waren die Entnazifizierungsfragebögen auszufüllen. Die Militärregierung gab beispielsweise Bürgermeister Busso Peus im Mai 1945 genaue Anweisungen, als es um die Einstellung eines neuen Schulrates ging. Das Ausfüllen des Fragebogens war ein zentraler Schritt für das Auswahlverfahren.
Insgesamt wies das Entnazifizierungsverfahren einige Mängel auf, was der öffentlichen Wahrnehmung des Prozesses schadete. Zum einen war es möglich, das Verfahren zu umgehen, da nur Personen überprüft wurden, die im öffentlichen Dienst oder in verantwortungsvollen Positionen in der Privatwirtschaft tätig waren oder sich in Parteien und Vereinen engagierten. Zum anderen kam es häufig vor, dass sich ehemalige Nationalsozialisten Entlastungsschreiben ausstellen ließen. Häufig entlasteten sich Personen gegenseitig oder boten Dritten Gegenleistungen für ein vorteilhaftes Leumundszeugnis an. Die Entlastungsschreiben gerieten somit schnell in Verruf und wurden auch als Persilscheine bezeichnet, da sie eine Person von ihrer Schuld "reinwaschen" konnten. Es war nicht unüblich, Kollegen oder Mitarbeiter nur deshalb zu entlasten, um einem Mangel an Fachkräften vorzubeugen.
Die Verantwortung ging seit 1947 zunehmend in deutsche Verantwortung über, wodurch das Verfahren nach und nach ausgehöhlt wurde und 1952 in Nordrhein-Westfalen größtenteils abgeschlossen war. Die Sehnsucht nach einem Schlussstrich war zu diesem Zeitpunkt in der deutschen Bevölkerung weit verbreitet. Etliche ehemals belastete Personen wurden automatisch in Kategorie IV oder V herabgestuft und konnten fortan wieder öffentliche Ämter bekleiden. Zahllose im NS-System verstrickte Personen machten so noch in der Bundesrepublik Karriere.