Seiteninhalt
Re-Education
Ein Zitat aus einer Direktive der Militärregierung macht deutlich, was die Briten unter Demokratie verstanden. Für sie war Demokratie nur möglich, wenn jeder Mann und jede Frau für sich selbst zu denken lernte und verstand, dass lokale und nationale Belange für das eigene Leben von Relevanz waren:
„Democracy (…) requires that every man and women should think for themselves and should be taught and encouraged to understand that everything in their local and national life concerns them vitally…”
(Aus: Military Government Directive on Administration Local and Regional Government and the Public Services v. 10.9.1945, Part I, Abs. 4, in: The National Archives Kew, FO 1032/316, unfol., zitiert nach Erdmann, Kommunales Krisenhandeln, S. 237).
Britische Militärs und Zivilisten bei der konstituierenden Sitzung des ersten - ernannten - Stadtvertretung nach Kriegsende, 30.1.1946
Erziehung zur Demokratie
Demokratie erfordert Engagement und Information. Dafür wollte die britische Besatzungsmacht die strukturellen Voraussetzungen schaffen, so dass demokratische Ideen entwickelt werden und politisch urteilsfähige Bürgerinnen und Bürger die Demokratie tragen konnten. Die Demokratisierungsvorhaben orientierten sich dabei am britischen System. Das politische System der Weimarer Republik wurde dagegen als negatives Gegenbeispiel herangezogen.
In den ersten Monaten der Besatzungszeit hatte der personelle Austausch Priorität. Da zahlreiche Beamte aufgrund ihrer NS-Vergangenheit entlassen wurden, musste die Militärregierung zuverlässige Personen rekrutieren. Die neue Verwaltungselite entstammte in erster Linie Demokraten der Weimarer Zeit. In Münster griffen die Briten vorzugsweise auf ehemalige Zentrumspolitiker zurück, die nach der NS-Machtübernahme aus dem Dienst entlassen worden waren. Im Sommer 1945 setzte die Militärregierung provisorische Verwaltungsleiter ein. Als geschäftsführender („acting“) Bürgermeister wurde der langjährige Zentrumspolitiker Dr. Fritz Carl Peus von April bis Juni eingesetzt; aufgrund von Peus' fortgeschrittenem Alter wurde im Juni Dr. Karl Zuhorn zum Oberbürgermeister berufen, der bereits vor der NS-Machtübernahme das Amt inngehabt hatte. Genauso sah es auf Regionalebene aus, wo Franz Hackethal zum Regierungspräsidenten und Dr. Rudolf Amelunxen zum Oberpräsidenten ernannt wurden.
"Doppelspitze" Oberbürgermeister Franz Rediger mit Amtskette, rechts daneben Oberstadtdirektor Karl Zuhorn, 1947
Umbau der Verwaltung
Ein wichtiger Baustein der Demokratisierung bestand von britischer Seite im Umbau der deutschen Verwaltung. Zum einen wurde die im Rahmen der Potsdamer Konferenz beschlossene Dezentralisierung umgesetzt und den Regional- und Kommunalbehörden deutlich mehr Entscheidungsbefugnisse und Aufgaben übertragen. Zum anderen planten die Briten die Kommunalverwaltung zu entpolitisieren. Sie beurteilten es als problematisch, dass sich in der Person des Oberbürgermeisters, die Kompetenzen eines politischen Entscheidungsträgers mit dem eines Verwaltungsbeamten überschnitten. In der NS-Zeit waren Kompetenzen des Oberbürgermeisters mit Einführung des Führerprinzips maximal ausgebaut worden.
Damit die Unabhängigkeit zwischen Entscheidung und Umsetzung zukünftig gewahrt wurde, führte die Militärregierung mit der revidierten Deutschen Gemeindeordnung vom 1. April 1946 die Doppelspitze ein. Von nun an übernahm der Oberbürgermeister die politische Repräsentation einer Kommune und blieb Mitglied des Rates, während die Leitung der Verwaltung von einem 'unpolitischen' Oberstadtdirektor übernommen wurde.
Projekt der Re-Education
Im Gegensatz zur Demokratisierung wurde die Re-Education von der Besatzungsmacht als ein langjähriges Projekt verstanden, dessen Auswirkungen sich erst nach Jahren zeigen würden. Die Deutschen sollten mit gezielter Informationspolitik und Bildungsangeboten ein positives Bild von Großbritannien und von Demokratie erhalten, während die gesellschaftliche Akzeptanz für nationalsozialistische, nationalistische und kriegsverherrlichende Ansichten verringert und beseitigt werden sollten. Um dies zu erreichen, spielten vor allem Zeitung und Rundfunk eine wichtige Rolle.
In Münster erschien in der frühen Besatzungszeit nur die Neue Westfälische Zeitung (NWZ), die von der Militärregierung herausgegeben wurde. Zumindest in der frühen Nachkriegszeit kontrollierte die Militärregierung noch ihre Inhalte, da Kritik über die Besatzungsmächte und ihre -politik sowie nationalistische oder militaristische Aussagen verboten waren. Bis Mitte 1946 berichtete die NWZ über das tagespolitische Geschehen in Münster und im Rahmen der Re-Education auch über die Lage in Großbritannien und die Vorteile des britischen Wahlsystems. In einigen Beiträgen wurden die deutschen Leserinnen und Leser dazu aufgefordert, die eigene Schuld an Krieg und Holocaust einzugestehen. Außerdem wurde in Münster wie in zahlreichen anderen Großstädten der britischen Besatzungszone ein Informations- und Kulturzentrum ("Die Brücke") eingerichtet. Das Zentrum hatte die Aufgabe, die deutsche Bevölkerung mit der angelsächsischen Kultur und Denkweise – und dem Leben in der britischen Demokratie - bekannt zu machen.
- Zur Webseite von Henning Stoffers: Münster. Menschen, Geschichten und Erinnerungen mit dem Beitrag von Dr. Frank E. Skrotzki: Die Brücke - The British Centre
Programm der Re-Education
Zum Re-Education-Programm gehörten zudem Kurse und Fortbildungen für Erwachsene. In den Lagern in Gremmendorf und Mecklenbeck konnten zum Beispiel internierte Wehrmachtsmitglieder seit Februar 1946 Englischkurse sowie Kurse zu Fragen von Religion und Allgemeinbildung besuchen. Für Verwaltungsbeamte wurden seit 1946 und 1947 deutsch-englische Summer Schools sowie mehrwöchige Besuche in britischen Gemeinden angeboten, damit diese die britische Verwaltung kennenlernen konnten. Ende 1949 schickte die Militärregierung drei Beamte zur Ausbildung nach England.
Darüber hinaus war das Schulwesen ein zentraler Träger der Re-Education-Politik. Dieses hatten die Nationalsozialisten während ihrer Herrschaft stark nach der eigenen rassistischen Ideologie ausgerichtet. Die Briten sahen deutsche Kinder und Jugendliche deshalb einerseits als Opfer der nationalsozialistischen Erziehung, andererseits als gefährliches Produkt derselben an. Ziel der britischen Besatzer war es aus diesem Grund, die nationalsozialistischen Einflüsse aus dem Bildungssystem zu beseitigen und gleichzeitig die Schulen zu nutzen, um der jüngeren Generation demokratische Werte zu vermitteln.
Nach den Besatzungsrichtlinien der Potsdamer Konferenz sollte das deutsche Erziehungswesen "so überwacht werden, daß die nazistischen und militaristischen Lehren völlig entfernt werden und eine erfolgreiche Entwicklung der demokratischen Ideen möglich gemacht wird." Direkt nach Besatzungsbeginn mussten nationalsozialistische Lehrkräfte und Schulbücher aus den Schulen entfernt und für beides Ersatz gefunden werden.
Lehrerinnen und Lehrer, die Parteiämter ausgefüllt oder vor 1933 der NSDAP angehört hatten, wurden aus dem Dienst entfernt und sollten nach Willen der Briten im Juli 1945 nie wieder eine Lehrerlaubnis erhalten. Gewöhnliche Parteimitglieder, die sich aktiv an Tätigkeit und Wirken der NSDAP beteiligt oder die nationalsozialistische Ideologie aktiv im Unterricht verbreitet hatte, verloren ebenfalls ihre Anstellung. In Münster wurden in den ersten Besatzungsmonaten 79 Lehrkräfte entlassen. Gleichzeitig fehlte es in der britischen Zone an Lehrern. Im Mai 1946 bestand für 15.000 Lehrerinnen und Lehrer Bedarf, weshalb emergency teacher trainings beziehungsweise spezielle Ausbildungskurse für Menschen zwischen 28 und 40 Jahren angeboten wurden.
Die Wiedereröffnung der Schulen wurde durch den Mangel an Lehrkräften erschwert. Problematischer war jedoch, dass wegen Kriegszerstörung geeignete Schulräume fehlten. Teilweise musste der Unterricht im Freien abgehalten werden. In der britischen Zone begann der Unterricht dennoch mehrheitlich Ende August 1945.