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Kolonialmission
Die religiöse Dimension
Der Kolonialismus hatte in Münster - wie sollte es anders sein - eine ausgeprägte religiöse Dimension. Neben militärischen, wirtschaftlichen oder wissenschaftlichen Interessen war es der Glaube, der Europäerinnen und Europäer in die Kolonien lockte: Missionarinnen und Missionare zogen los, das Christentum zu verbreiten. Im katholisch geprägten Münster wurden Ordensleute für ihren Einsatz in den Kolonien ausgebildet. Kehrten sie in ihre Heimat zurück, brachten sie Souvenirs, Erinnerungen oder Überzeugungen mit. Die Westfälische Wilhelms-Universität leistete in den 1910er-Jahren mit der Einrichtung eines eigenen Lehrstuhls Pionierarbeit im Bereich der katholischen Missionswissenschaften. Historische Tageszeitungen und andere Quellen zeugen von zahlreichen Veranstaltungen, die auch in Münster für die Missionstätigkeit in deutschen Kolonien warben.
Mission und koloniale Gewalt
Ein Kernmerkmal des Kolonialismus galt auch für die religiösen Beziehungen: Gleichberechtigt gestalteten sich die Kontakte nicht, souverän war nur die europäische Seite, und oft waren die Beziehungen von Gewalt geprägt. Wenig überraschend verübten indigene Unabhängigkeitsbewegungen auch an deutschen Ordensleuten Vergeltung in Form von Überfällen oder gar Tötungen. Missionarinnen und Missionare äußerten jedoch auch deutliche Kritik an exzessiver Gewalt durch Kolonialherren oder an sexuellen Übergriffen gegenüber einheimischen Frauen.
Die Beziehungsgefüge waren komplex. Konfliktlinien verliefen auch zwischen kolonialen Akteuren selbst. Denn deutsche Missionsvorhaben beschränkten sich nicht auf die deutschen Kolonien und in deutschen Hoheitsgebieten waren auch Missionen anderer europäischer Nationen tätig. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs besetzten alliierte Truppen deutsche Schutzgebiete. Die meisten deutschen Missionarinnen und Missionare kehrten ab 1914 in ihre Heimat zurück.
In den Kolonien: Missionierung und Erziehung
Aus Münster führte es vor allem Angehörige des Herz-Jesu-Ordens in Hiltrup und des Kapuzinerordens in die Kolonien. Viele von ihnen waren auf Inseln in Mikronesien und in Papa-Neuguinea tätig, das zur Kolonialzeit Kaiser-Wilhelms-Land genannt wurde. Schätzungsweise 300.000 Menschen lebten dort, davon galten weniger als tausend als Europäer. In den Kolonien richteten sie Schulen und Kirchen ein, versuchten die Einheimischen zum Christentum zu erziehen, mitunter auch unter Einsatz von Gewalt. Neben den Versuchen, Lebensweisen massiv zu verändern, prägten auch gegenseitige wissenschaftliche Neugier, enge wirtschaftliche oder gar familiäre Beziehungen den Alltag zwischen den "Heiden" und den Missionarinnen und Missionaren. Über die zwei in Münster ansässigen Orden hinaus bestanden enge religiöse Verbindungen zwischen der Region und den deutschen Kolonien. Eberhard Limbrock, ein Steyler Missionar, war etwa einer der führenden Geistlichen in Deutsch-Neuguinea. Seine Schilderungen aus der Südsee wurden auch im Münsterland gelesen.
In Münster: Werbung, Wissenschaft und Unterhaltung
Über Missionsvorhaben berichteten die Geistlichen in der Heimat ausführlich. Zum einen bedienten sie hiermit ein allgemeines Interesse an den Kolonien und exotischen Lebensweisen. Zum anderen versuchten die Missionsgesellschaften mit Vorträgen und Veranstaltungen Spenden für ihren Auftrag zu sammeln. Die Vorstellungen von den Kolonien, die es zu christianisieren galt, waren Motivation für die Reisen in ferne Länder. Eben diese Bilder wurden nach der Rückkehr aus den Kolonien durch diese Form der Öffentlichkeitsarbeit verfestigt. Hierzu gehörten auch Zeitungsberichte oder Ausstellungen in den Ordenshäusern.
Daneben wurde Münster im frühen 20. Jahrhundert ein Zentrum für die katholischen Missionswissenschaften. Den europaweit ersten Lehrstuhl für katholische Missionswissenschaften richtete die Westfälische Wilhelms-Universität 1911 ein. Diesen versuchte Josef Schmidlin in den 1920er-Jahren systematisch auszubauen. In seinen Forschungen, Vorlesungen und wissenschaftlichen Netzwerken beschäftigte er sich auch mit dem Verhältnis von Mission und Kolonialismus. Als Regimekritiker wurde er 1933 zwangspensioniert und später in einem KZ getötet. Nach 1945 richteten sich die Missionswissenschaften in Teilen neu aus.