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Kolonialmission
Missionswissenschaften
Ein Pionier in Münster: Joseph Schmidlin war der erste missionswissenschaftliche Lehrstuhlinhaber an einer katholischen Fakultät im deutschsprachigen Raum. 1911 genehmigte das preußische Kultusministerium die Gründung eines solchen Lehrstuhls an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Schmidlin, seit 1907 als Privatdozent an der Universität, bot bereits seit dem Sommersemester 1909 regelmäßig Veranstaltungen zur katholischen Missionsgeschichte an, wie etwa "Neuere Geschichte der auswärtigen Missionen, mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Kolonien". Später gründete er noch die "Zeitschrift für Missionswissenschaft" und schrieb Standardwerke für die missionarische Theorie und Praxis, wie etwa die 1919 erschienene "Katholische Missionslehre im Grundriss".
Münsteraner Netzwerk um Schmidlin
Schmidlin versuchte in den 1920er-Jahren intensiv seinen Lehrstuhl zu einem missionswissenschaftlichen Institut und eigenem Diplomstudiengang auszubauen und warb bei verschiedenen Missionsgesellschaften um Studierende. Obwohl dieses Vorhaben letztlich scheiterte, gilt er dennoch als Pionier der Missionswissenschaften in der katholischen Theologie. So ging die Gründung des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche Forschungen 1911 auch auf seine Initiative zurück. Neben der Geschichte der christlichen Mission widmete er sich auch der aktuellen Situation der Mission. Die Positionen der Kolonialvölker nahm er in seinen Forschungen nicht ein. Ganz im Gegenteil waren diese geprägt von seiner nationalen, den Kolonialismus bejahenden Haltung. Missionsreisen 1913 und 1930 in die (ehemaligen) deutschen Kolonien verstärkten seine vorurteilsbehaftete Abneigung gegenüber "Heiden". Mission und Kolonialpolitik sollten seiner Meinung nach formal getrennt werden, hätten aber viele gemeinsame Interessen und Schnittmengen.
Er bemühte sich darüber hinaus aktiv um die Vernetzung mit Lehrenden der anderen kolonialwissenschaftlichen Fächer: Ab 1917 bildete Schmidlin etwa mit dem Kolonialgeographen Prof. Ludwig Mecking und dem Historiker Anton Wätjen einen "Ausschuss für Auslandsvorlesungen".
In einem autobiographischen Beitrag von 1927 berichtet Schmidlin, dass er mit seinen Vorlesungen über das katholische Missionswesen in den deutschen Kolonien auf eine Bitte seiner Fakultät reagiert hätte, das Kolonialwesen stärker in der Lehre zu berücksichtigen. Zwar richtete sich diese Bitte in Folge einer Aufforderung des preußischen Kultusministers zunächst nur an die Theologische Fakultät, zeitgleich schuf die Universität jedoch auch die disziplinübergreifende Rubrik der Kolonialwissenschaften in den Vorlesungsverzeichnissen.
Schmidlins Ende durch die Nationalsozialisten
Mit Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft endete Schmidlins Wissenschaftskarriere abrupt. Er weigerte sich, zu Beginn seiner Vorlesungen ab 1933 den Hitlergruß auszuführen. Da er schon früh gegen die nationalsozialistische Ideologie argumentierte und mehrfach auf inhaltliche Widersprüche der Nationalsozialisten hinwies, wurde er 1934 zwangspensioniert. Darüber hinaus erhielt Schmidlin ein Betretungsverbot universitärer Räumlichkeiten. Nach seiner Verhaftung und Internierung wegen Kritik am NS-Regime starb Schmidlin 1944 im als Sicherungslager bezeichneten KZ Schirmeck-Vorbruck.
Die von Schmidlin aufgebauten Organisationen wie etwa sein Lehrstuhl oder das Internationale Institut für Missionswissenschaftliche Forschungen nahmen nach 1945 die Arbeit ihres Gründers wieder auf. Im Lauf der letzten Jahrzehnte haben etwa Fragen des missionswissenschaftlichen Dialogs, des Kulturtransfers oder zur Entwicklung der katholischen Weltkirche unter Eindruck der Migration die frühen kolonialwissenschaftlichen Schwerpunktsetzungen abgelöst.