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Öffentlicher Raum
Exotische Vorstellungswelten und politische Forderungen
Viele koloniale Aktivitäten in Münster richteten sich gezielt an die Stadtbevölkerung. Mit Informationen und Unterhaltung versuchen Vereine, geistliche Orden oder Kameradschaften für ihre kolonialen Interessen zu werben. Neugier und Fernweh trafen dabei auf handfeste politische oder wirtschaftliche Interessen. Das galt nicht nur für die Zeit, in denen es deutsche Kolonien gab, sondern besonders auch für die Zeit ab 1919, nachdem Deutschland alle Überseebesitzungen verloren hatte. Unverhohlen stand die Rückkehr zum Deutschen Reich „alter Größe“ im Raum. Die kolonialpolitische Öffentlichkeitsarbeit hatte zwei Höhepunkte: Anfang des 20. Jahrhunderts rund um die deutschen Kolonialkriege und Mitte der 1920er-Jahre, als auch in Münster angesichts der mehrheitlich als Schande empfundenen Versailler Friedensbedingungen die kolonialistischen Rückeroberungsforderungen Konjunktur hatten. In beiden Phasen wurde ein Denkmal mit Kolonialbezügen in Münster eingeweiht, in beiden Phasen finden sich Kolonialfeste und Ausstellungen, aber auch viele Vereinsaktivitäten. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme sollten kolonialrevisionistische Positionen dann zumindest bis Kriegsbeginn 1939 ein weiteres Mal Auftrieb erhalten.
Dieser kurze Abriss zeigt: Im öffentlichen Raum lassen sich geschichtspolitische Deutungen ablesen. Auch koloniale Botschaften wurden bewusst im öffentlichen Raum positioniert, damit sie Wirkung entfalteten. Solche Erinnerungsmotive, Interpretationen und Positionierungen zu Geschichte und Politik wandelten sich im Lauf der Zeit. Dieser Wandel lässt sich mit historischen Quellen nachvollziehen. Und manches davon ist bis heute im städtischen Raum sichtbar.
Sehnsuchtsorte: Der Zoologische Garten und Museen
Auf den ersten Blick scheinen Freizeitangebote wie Zoos oder Botanische Gärten unschuldiger zu sein als Straßennamen oder Denkmäler, die handfeste politische Forderungen transportierten. Für die Präsenz kolonialer Denkmuster in der Öffentlichkeit waren diese nur scheinbar unpolitischen Orte jedoch genauso wichtig wie die offensichtlichen kolonialpolitischen Statements. Tiere, Pflanzen oder Ausstellungsobjekte kamen in kolonialen Handelsnetzwerken nach Westfalen und boten den Besucherinnen und Besuchern von Zoos und Museen die Gelegenheit, zumindest gedanklich in ferne Welten zu reisen. Die Beschaffungszusammenhänge und Geschichte der Dinge wie Lebewesen blieben in der Regel unreflektiert.
Sensationen: Völkerschauen, Ausstellungen und Feiern
Bevor mit den modernen Massenmedien bewegte Bilder um die Welt gingen, boten Veranstaltungen und Ausstellungen den Menschen in Europa eine Möglichkeit, in exotische Fantasiewelten abzutauchen. Weil die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung selbst nie in eine ferne Kolonie reiste, ließ sie sich berichten. Vorträge von Missionaren, Kolonialausstellungen mit Überseeprodukten oder Zoos und Museen mit exotischen Lebewesen zogen auch die Menschen in Münster in den Bann. Kommerzielle Völkerschauen oder Kriegsgefangenenlager im Ersten Weltkrieg boten die seltene Gelegenheit, Menschen aus fernen Ländern selbst zu sehen. Die Nachfrage in der münsterschen Bevölkerung war entsprechend groß. Während des Ersten Weltkriegs 1914-1918 boten darüber hinaus die Kriegsgefangenenlager der Bevölkerung die Gelegenheit, hinter den Lagerzäunen Menschen aus den Kolonien, die als Soldaten für die deutschen Kriegsgegner kämpften, hautnah zu betrachten. Wie bei den Völkerschauen mischten sich auch hier Gefühle der Faszination und Neugier mit rassistischem Überlegenheitsdenken und abwertenden Äußerungen gegenüber den Gefangenen.
Straßennamen und Denkmäler in der Diskussion
Seit 1875 wurden in Münster Straßen verstärkt nach Persönlichkeiten benannt. Neben Staatsoberhäuptern oder Bischöfen kamen nach dem Ersten Weltkrieg Kriegshelden und Generäle auf die Straßenschilder. Auch die Nationalsozialisten erkannten, dass hinter Straßennamen politische Aussagen stehen. Die politische Intention hinter solchen Ehrungen unter Eindruck des zeitgenössisch als „Schande“ empfundenen Versailler Friedensvertrags war offensichtlich. Die Mehrheit der Straßennamen mit kolonialen Bezügen stammt ebenfalls aus der Zeit nach 1918, als es schon keine deutschen Kolonien mehr gab. Heute stehen diese Kriege und Kolonialismus glorifizierenden Ehrungen zur Diskussion, wie der Name der Westfälischen Wilhelms-Universität zeigt.
Neben Straßennamen weisen im öffentlichen Raum heute noch am deutlichsten Denkmäler oder Ehrengräber koloniale Spuren auf. In Münster provozierte seit den 1980er-Jahren vor allem das Train-Denkmal am Ludgeriplatz Kritik, da es in kolonialer Verklärung einseitig drei in Kolonialkriegen gestorbener deutscher Soldaten gedenkt. Daneben rückte das Ketteler-Denkmal im Schlossgarten weniger stark in den Fokus. Gleichwohl hat dieses Denkmal von 1903 zu Ehren des in Peking getöteten Gesandten Clemens Freiherr von Ketteler die wohl eindeutigsten Bezüge zur kaiserlichen Kolonialpolitik um die Jahrhundertwende. Dass beide Denkmäler nicht isoliert im öffentlichen Raum stehen, sondern in ein Ensemble von Erinnerungsorten und damaligen Akteursnetzwerken einzuordnen sind, verdeutlichen die als „Cluster“ dargestellten Erinnerungskomplexe zum Train- und Kettelerdenkmal.