Picasso – und westfälischer Adel
Ob der große Spanier sich das hätte träumen lassen? Dass das einzige Picasso-Museum Deutschlands sich in einem ehrwürdigen westfälischen Adelshof wiederfinden würde – mitten in Münsters Altstadt?
Tatsächlich – das Kunstmuseum Pablo Picasso Münster ist deutschlandweit das einzige seiner Art. Hinter seiner stilvollen Barockfassade beherbergt es die weltweit größte Sammlung von Lithographien Picassos sowie bedeutende Grafikreihen von Georges Braque, Marc Chagall und Henri Matisse – und das nunmehr schon seit zwei Jahrzehnten. Um diesen kostbaren Kern herum spannt das Museum in Wechselausstellungen immer wieder erhellende Querverbindungen hin zu wichtigen Zeitgenossen, etwa zu Joan Miró oder auch zu den Meisterfotografien der Magnum-Gruppe.
Doch zeitgenössische Kunst hinter barocken Fassaden – das ist in Münster gar nicht so ungewöhnlich. Gerhard Richters „Zwei Graue Doppelspiegel für ein Pendel“ in der profanierten Dominikanerkirche haben sich in kurzer Zeit – nur unterbrochen von einer Renovierungsphase im ersten Halbjahr 2020 – zu einem absoluten Besuchermagneten entwickelt. Ein Foucaultsches Pendel, frei und mächtig schwingend vom Deckengewölbe, reflektiert in sechs Meter hohen Spiegeln, bildet einen Ort der meditativen Ruhe und des Rückzugs, mitten im Herzen des städtischen Getriebes.
Deutlich belebter geht es zu in Münsters größtem Museum, dem LWL-Museum für Kunst und Kultur. Kein Wunder: Schon seine Höfe-Architektur bildet ein verlockendes Ambiente, das zum Nähertreten einlädt. Auf 7.500 qm Ausstellungsfläche zeigt das Museum – neben hochkarätigen Einzelausstellungen – seine beeindruckende Sammlung von mittelalterlicher bis hin zu avantgardistischer Kunst. Bester Anlaufpunkt für historisch Interessierte ist wiederum das Stadtmuseum mit einer Fülle an informativen Zeugnissen zur Geschichte Münsters. Insgesamt sind es über 30 Museen, die für Kulturgenuss sorgen, darunter solche Kostbarkeiten wie der jahrtausendalte Domschatz oder (ein Geheimtipp!) staunenswerte Meisterwerke der asiatischen Lackmalerei – im europaweit einzigen Museum für Lackkunst. Parallel dazu gibt es in der Kunsthalle Münster am Hafen hochaktuelle zeitgenössische Kunst zu sehen, ebenso wie in den Galerien der Stadt – für ständig neuen Input sorgt hier nicht zuletzt eine vitale Kunstszene, die rund um die Kunstakademie Münster entstanden ist. Besonders erlebnisreiche Ein- und Überblicke bietet der „Schauraum“, das jährliche Fest der Museen und Galerien – mit langer Nacht und cooler Lounge-Atmosphäre mitten in der Stadt.
Bei all den besuchenswerten Museen und Galerien – berühmt geworden ist Münster in der internationalen Kulturszene eigentlich für etwas anderes: für „Kunst im öffentlichen Raum“. Unter diesem Leitthema verwandeln die „Skulptur Projekte“ seit 1977 alle 10 Jahre Münster in ein Mekka der Kunstwelt und ziehen ein riesiges internationales Publikum in die Stadt. Und natürlich hat das Thema Spuren überall im Stadtbild hinterlassen, mittlerweile über 60 Skulpturen, darunter Werke von Henry Moore, Eduardo Chillida, Claes Oldenburg, Rosemarie Trockel, Ilija Kabakov, Thomas Schütte oder Koki Tanaka. Darüber hinaus hat sich eine Eigendynamik entwickelt: Auch im zehnjährigen Intervall dazwischen wird der öffentliche Raum immer wieder mit aktuellen künstlerischen Interventionen bespielt, etwa, wenn Tobias Rehberger profane Schaltkästen in verspielte Mond-Installationen verwandelt.
Aber Münsters Stadtraum ist nicht nur ein Erlebnis fürs Auge – er bietet immer wieder auch Feste für die Ohren. Erst kürzlich brachte sich die Musikstadt Münster mit einem rauschenden Dreiklang zu Gehör und erinnerte daran, dass hier seit 100 Jahren ein eigenes Sinfonieorchester, die Musikhochschule und die Westfälische Schule für Musik für Klangerlebnisse sorgen. Dazu ein Theater mit eigener Musiktheatersparte – und natürlich eine riesige freie Szene von Chören und Ensembles. Schöne Kostproben neben dem reichhaltigen Konzertkalender: Die ebenso beliebten wie hochkarätigen Aaseerenaden mit Open-Air-Feeling oder die „Grünflächenunterhaltung“, wenn zahllose Gruppen auf dem Promenadenring das städtische Grün zu lebhaftem Wachstum und das flanierende Publikum zu mindestens ebenso lebhaftem Applaus animieren. Und Jazzfans wissen sowieso Bescheid: Sie pilgern alle zwei Jahre für ein Januar-Wochenende zum renommierten Internationalen Jazzfestival Münster. Oder in den Jahren dazwischen zu dessen nicht minder hochkarätiger „Shortcut“-Ausgabe.
Überhaupt ist es die Mischung aus etablierten und jungen Akteuren, die Münsters Kulturszene so außerordentlich lebendig und abwechslungsreich macht. Neben elf Theatern, einem Varieté und rund 20 Kinosälen finden sich hier jede Menge Veranstaltungen, für die es große, kleine oder gar keine Bühnen braucht. Die größte Bühne, nämlich wiederum den urbanen Raum, nutzt das Theater Titanick (Münster/Leipzig), international agierend und vielfach ausgezeichnet, für seine mitreißenden Open Air-Inszenierungen. Oder das Wolfgang-Borchert-Theater – eine der ältesten Privatbühnen Deutschlands, die sich mit ihrem spektakulären Spielort, dem alten Flechtheim-Speicher am Stadthafen, mitten in Münsters In-Viertel etabliert hat. Ob man im Theater Münster packendes Schauspiel oder große Oper genießt, mit den mobilen „Freuynden und Gaesdten“ außergewöhnliche Bühnenorte entdeckt oder im Pumpenhaus aktuellste Tanztheater-Avantgarde erlebt, ist also nur eine Frage des Spielplans.
Neue, junge Impulse auch für die Literatur – freilich von einem Ort aus, der wenige Schritte außerhalb der Stadtgrenzen liegt. Schloss Hülshoff, eine besondere Schönheit unter den verträumten Wasserburgen des Münsterlands, ist zugleich Geburtsort der wohl berühmtesten deutschen Dichterin: Annette von Droste-Hülshoff. Nach Jahrzehnten des kulturellen Dornröschenschlafs ist die Burg seit 2018 endgültig zu neuem Leben erwacht – als Sitz der Droste-Stiftung und als Literaturzentrum. Der Berliner Autor Jörg Albrecht geht als Gründungsdirektor mit Elan zu Werke. Hier hat sich ein Ort für den Dialog über die Themen des 21. Jahrhunderts herauskristallisiert – ein Ort für „Literatur als Fest“, zwischen avancierter Literatur und basisdemokratischer Bildung, zwischen lokaler und internationaler Initiative, zwischen analoger und digitaler Welt.
Interessante Daten & Fakten (vielleicht zum Nachhaken?)
- Alle 10 Jahre: „Skulptur Projekte Münster“ (1977 gegründet von Klaus Bussmann und Kasper König) als weltweit bedeutendstes Kultur-Event zum Thema „Kunst im öffentlichen Raum" – die letzte Ausgabe 2017 lief in der Gunst mancher Kritiker sogar der zeitgleichen Kasseler Documenta den Rang ab.
- Konservative Spießer gegen moderne Kunst? Ganz so einfach war das nicht. Die Skulptur Projekte stießen bei ihrem Start 1977 in der Stadt auf erhebliches Unverständnis und wütende Proteste konservativer Kreise. Aber besonders handfest gingen ausgerechnet fortschrittliche Kräfte zu Werke: Nach einem linksalternativen Fest versuchte eine Gruppe von Studenten, in nächtlicher Anstrengung die großen Billardkugeln von Claes Oldenburg aus der Verankerung zu lösen und in den Aasee zu rollen. Es blieb beim Versuch. Heute gehören die Kugeln zu den Wahrzeichen der Stadt.
- Das Theater Pumpenhaus war das erste Freie Theater in NRW, das Wolfgang-Borchert-Theater ist eines der ältesten privaten Theater Deutschlands, das Theater Titanick spielt mit seinen bild- und klanggewaltigen Aufführungen weltweit in der Spitze des Open Air Theaters.
- Über 30 Museen, elf Theater, ein Varieté, 20 Kinosäle
- Vor allem international mit hohem Renommee: Münsters Geschichtsort Villa ten Hompel gilt – in Kooperation u.a. mit der Gedenkstätte Yad Vashem Jerusalem und dem Holocaust Memorial Museum Washington – als Hochburg der „Täterforschung“ zum Holocaust.
- Alle zwei Jahre ein Höhepunkt zum Jahreswechsel: Internationales Jazzfestival Münster, im jeweiligen Zwischenjahr gibt es das Jazzfestival als Shortcut.
- Als Komponist und Musiker enorm einflussreich – in Münster begraben: Louis „Moondog“ Hardin (1916 – 1999). Der blinde Straßenmusiker war in den 40er bis 60er Jahren eine Ikone des New Yorker Stadtbilds, Philip Glass und Steve Reich schreiben ihm entscheidende Impulse für die Entwicklung ihrer Minimal Music zu. Nach einer Konzertreise blieb Moondog 1974 in Deutschland, die beiden letzten Jahre in Münster. Sein Grabmal auf Münsters Zentralfriedhof gestaltete sein Freund, der Wiener Künstler Ernst Fuchs.
www.stadt-muenster.de/tourismus/kunst-und-kultur.html
www.muenstermusik.eu/
www.skulptur-projekte.de
www.kunstmuseum-picasso-muenster.de
www.lwl.org/LWL/Kultur/LWL-Landesmuseum-Muenster
www.museum-fuer-lackkunst.de
www.stadt-muenster.de/museum/aktuelles.html
www.stadt-muenster.de/villa-ten-hompel
www.burg-huelshoff.de