Wächterin der Nacht – und der Täufer
Eine junge Musikerin in einem der ältesten Ämter der Stadt – und im „höchsten“ noch dazu: Münsters Türmerin wacht über die nächtliche Stadt. Und über die Erinnerung an eine blutige Episode der Stadtgeschichte.
Drei gibt es nur in ganz Deutschland – und eine davon tutet in Münster: Martje Saljé ist die Türmerin auf der Lambertikirche, im höchsten Dienstzimmer der Stadt. Gefragt ist hier oben eine Persönlichkeit, die mit Einsamkeit umgehen, aber auch medienwirksam auftreten kann: Für ihre ungewöhnliche Tätigkeit als städtische Türmerin interessieren sich Medienvertreter aus aller Welt. Ihr Horn, das ein wenig nach Nebelhorn klingt, hört man allnächtlich, zwischen 21 Uhr und Mitternacht, über den Dächern der Altstadt Münsters. Längst warnt es nicht mehr vor heranrückenden Feinden, aber es gehört trotzdem zu Münster wie Rathaus und Dom. Und sogar mögliche Brände hat die Türmerin im Blick – mit Fernglas neben sich und direktem Draht zur Feuerwehr.
Zugleich wacht sie hier oben über eine der schauerlichsten Sehenswürdigkeiten der Stadt: Am Kirchturm unterhalb ihrer Stube hängen jene drei Eisenkörbe, in denen einst die Leichen dreier hingerichteter Täufer-Anführer zur Schau gestellt wurden – zur Abschreckung künftiger Missetäter und Rebellen. Dass der siegreiche Bischof die Körbe ausgerechnet hier aufhängte, hatte seinen guten Grund. St. Lamberti war die Marktkirche der Bürgerschaft – und die hatte während der Täuferrebellion nicht zum ersten Mal gegen den bischöflichen Oberherrn aufgemuckt.
Begonnen hatte alles als religiöser Protest und als Bürgeraufstand gegen die Stadtherrschaft des Bischofs. Es endete 1535 in einer blutigen Katastrophe. Als Bischof Franz von Waldeck anrückte, um seine rebellischen Untertanen wieder zu Gehorsam und altem Glauben zurück zu zwingen, radikalisierte sich der Widerstand: Das zunächst gemäßigt-protestantische Münster verwandelte sich in eine Stadt der „Wiedertäufer“. Unter dem Druck von Krieg und Belagerung erlangten die Täufer, eine radikale protestantische Bewegung, unter ihrem Anführer Jan van Leiden die Oberhand und errichteten in Münster das „Täuferreich“. Damit nun machte die Stadt europaweit Furore: Für manche als „Neues Jerusalem“ und Zeichen der Erlösung. Für die meisten jedoch als Sündenpfuhl, dessen Sitten- und Gottlosigkeit durch Gemeineigentum, Vielweiberei und angemaßtes Königtum bewiesen war.
Nach rund einjähriger Belagerung mit einem Heer von 7.000 Landsknechten nahm Franz von Waldeck schließlich im Sommer 1535 die Stadt ein und richtete unter der verteidigenden Bevölkerung ein Blutbad an. Drei Täufer-Führer, unter ihnen Jan van Leiden, wurden nach ausgiebiger Folter hingerichtet und schließlich in eisernen Körben an der Lambertikirche zur Schau gestellt. Als „Wiedertäuferkäfige“ hängen sie dort noch heute und sind ein beliebtes Fotomotiv.
Übrigens: Mit den Täufern war die Geschichte der Bürger-Auflehnung gegen den Landesherrn in Münster keineswegs beendet. Mehr als 100 Jahre später, im Gefolge der westfälischen Friedensverhandlungen, versuchten Münsters Bürger den Status einer freien Reichsstadt zu erlangen. Erneut überzog der Landesfürst, Bischof Christoph Bernhard von Galen, Münster mit Krieg und Belagerung. Als „Bommen-Berend“ (Bomben-Bernd) erlangte er Berühmtheit – mit der Beschießung seiner eigenen Stadt.
Ohne es zu ahnen, schuf der Fürstbischof nach seinem Sieg einen Grundstein für das heutige junge Münster: Seine Zitadelle, mit freiem Schussfeld auf die Stadt angelegt, baute Münsters berühmter Baumeister Johann Conrad Schlaun später zum prächtigen Barockschloss um. Und das wurde dann zum zentralen Sitz der münsterschen Universität – heute eine der größten Deutschlands.
Interessante Daten & Fakten (vielleicht zum Nachhaken?)
- Der erste Türmer in Münster ist 1383 urkundlich erwähnt. Noch 1777 befand der Stadtrat, „die ganze Wohlfahrt der Stadt“ hänge von ihm ab. Heute tutet seine aktuelle Nachfolgerin – die erste Frau im Amt! – täglich (außer Di) zwischen 21 und 24 Uhr jede halbe Stunde in ihr Horn. Angestellt ist sie bei Münster Marketing.
- Die Türmerstube, „Münsters höchstes Dienstzimmer“, liegt 75 m hoch über dem Prinzipalmarkt, hinauf führt eine enge Treppe mit 298 Stufen. Aus Sicherheitsgründen ist der Aufstieg für Touristen nicht möglich. Immerhin ein Trost: Die Türmerin berichtet in einem eigenen Blog regelmäßig über ihre Weit- und Einblicke.
- Die Täuferherrschaft entstand als Radikalisierung der Reformation in Münster. Im März 1533 war Münster eine evangelische Stadt geworden, gegen die nun ihr Landesherr und Bischof zu Felde zog. Im Zuge dieses Konflikts erhielten die radikalen Täufer immer mehr Zulauf, gewannen im Februar 1534 die Mehrheit im Stadtrat und erklärten Münster zum „Neuen Jerusalem“. Der Belagerungsring zog sich enger, Hilfe blieb aus und so konnte der Bischof – nach mehreren vergeblichen Versuchen – am 24. Juni 1535 die Stadt schließlich durch Verrat einnehmen.
- Im Volksmund heißen sie „Wiedertäufer-Käfige“, aber eigentlich handelt es sich um drei Eisenkörbe, dazu gedacht, die sterblichen Überreste der Täuferführer Jan van Leiden, Bernd Knipperdolling und Bernd Krechting auszustellen, die nach ausgiebiger Folter am 22. Januar 1536 auf dem Prinzipalmarkt hingerichtet wurden. Münsters führender Reformator und Täufer-Theologe Bernd Rothmann hingegen wurde trotz intensiver Fahndung nie gefunden.
- In den Körben brennen in den Abendstunden die im Rahmen der Skulptur Projekte 1987 dort von Lothar Baumgarten angebrachten „Drei Irrlichter, als Erscheinung von drei Seelen oder inneren Feuern, die keine Ruhe finden können“.
- Es fehlte nicht viel – und Münster wäre heute eine holländische Stadt: Während der Westfälischen Friedensverhandlungen hatte Münster den Status einer quasi reichsunmittelbaren Stadt erhalten. In dem Versuch, diese Selbstständigkeit auf Dauer und gegen den Widerstand des Fürstbischofs festzuschreiben, erwog die Bürgerschaft sogar kurzzeitig, sich den unabhängigen Niederlanden anzuschließen. Aber die Niederländer hatten andere Sorgen, als sich mit einem streitbaren Nachbar-Fürsten anzulegen, und verwarfen das Ansinnen.
www.stadt-muenster.de/tourismus/sehenswertes/tuermerin.html
www.tuermerinvonmuenster.de