Olga Schleiter

Illustration: Olga Schleiter

Olga Schleiter 1920-1980

 

"Die Beratungsstelle der LVA hat am 27.1.1941 die Unterbringung der Ehefrau Schleiter geb. van Führen beantragt, da bei der Genannten [...] wieder Go[norrhoe] festgestellt wurde. Sie steht in dem Verdacht mit mehreren Männern Geschlechtsverkehr zu unterhalten. Sie wohnt nicht mit ihrem Ehemann zusammen. Bis zum 28.12.40 hatte Frau Sch. eine gute Arbeitsstelle, die sie ohne Grund aufgegeben hat."

Aktennotiz des Gesundheitsamtes Münster-Stadt zur Einweisung Olga Schleiters in das Arbeitshaus Benninghausen, Januar 1941 (Stadtarchiv Münster, Amt 53, Nr. 151).

Olga Schleiter wird am 13. Februar 1920 als Olga van Führen in Münster geboren. In einem Wohnbarackenlager am Stadtrand wächst sie in prekären sozialen Verhältnissen auf. Einer geregelten Beschäftigung geht ihr Vater nicht nach. Die Familie ist auf Wohlfahrtsunterstützung angewiesen. In der Schule hat Olga van Führen Probleme. Als sie zwölf Jahre alt ist, wird sie von ihrem Vater sexuell missbraucht und dabei mit der Geschlechtskrankheit Gonorrhoe angesteckt. Das Jugendamt bringt sie daraufhin in einem Kinderheim unter. Zwei Jahre später ordnet das Vormundschaftsgericht ihre Fürsorgeerziehung an.

Mit Vollendung des neunzehnten Lebensjahres wird Olga van Führen 1939 aus der Fürsorgeerziehung entlassen und arbeitet zunächst als Hausgehilfin. Doch verliert sie wegen angeblich ungehörigen Verhaltens immer wieder nach nur kurzer Zeit ihre Anstellungen. 1940 bringt sie einen Sohn zur Welt und heiratet kurz darauf den Vater des Kindes, den Landarbeiter Klemens Schleiter. Da dieser jedoch außerhalb Münsters arbeitet, lebt die Familie nicht andauernd zusammen.

"Zwangsheilung" im Arbeitshaus

Anfang 1941 wird Olga Schleiter in das Provinzialarbeitshaus Benninghausen bei Lippstadt eingewiesen. Seit ihrer Entlassung aus der Fürsorgeerziehung war sie immer wieder von verschiedenen Männern als Ansteckungsquelle für Gonorrhoe gemeldet worden. So auch jetzt, was zu ihrer Einweisung führt. Im "Sonderkrankenhaus" des Arbeitshauses soll sie "zwangsgeheilt" und mit körperlicher Arbeit zu einer geordneten Lebensführung erzogen werden. Ihren Sohn bringt das Jugendamt in einem Waisenhaus in Hamm unter.

Mit einer Frau "spazieren gegangen"

Nach ihrer Entlassung aus dem Arbeitshaus wohnt Olga Schleiter in verschiedenen städtischen Obdachlosenunterkünften. Zeitweise hält sie sich bei ihrem Mann in Mülheim an der Ruhr und im Münsterland auf. Kurz nachdem das Paar Ende 1943 von Nottuln nach Münster kommt, muss sich Olga Schleiter wegen einer Typhuserkrankung in stationäre Behandlung begeben. Gerade genesen, wird sie im Februar 1944 von der Polizei verhaftet und in das Frauenkonzentrationslager Ravensbrück gebracht – wie sie nach Kriegsende sagen wird, weil sie mit einer anderen Frau "spazieren gegangen" sei.

Im Konzentrationslager muss Olga Schleiter bei unzureichender Verpflegung, katastrophalen hygienischen Bedingungen und unter den Misshandlungen der SS-Aufseherinnen Sklavenarbeit verrichten. Ihr möglicher Tod wird dabei billigend in Kauf genommen. Doch sie überlebt. Mit Kriegsende kommt sie frei und kehrt nach Münster zurück. Unterkunft findet sie in demselben Wohnbarackenlager, in dem sie aufgewachsen ist.

Erneute "Zwangsbehandlung" nach Kriegsende

Nur zwei Monate nach Kriegsende wird Olga Schleiter abermals in die Arbeitsanstalt Benninghausen eingewiesen und dort erneut wegen Gonorrhoe "zwangsbehandelt". Ihre Ehe wird alsbald geschieden. Bereits kurz nach ihrer Einweisung ins Konzentrationslager hatte sich ihr Mann von ihr getrennt. Das Scheidungsurteil des Landgerichts benennt sie als die Alleinschuldige wegen Ehebruchs.

1947 heiratet Olga Schleiter ein zweites, 1951 ein drittes Mal. Mit ihrem dritten Mann und ihrem Sohn lebt sie bis Anfang der 1960er-Jahre in verschiedenen Not- und Obdachlosenunterkünften, ehe sie in St. Mauritz schließlich eine feste Bleibe findet. Am 5. Dezember 1980 stirbt sie im Alter von sechzig Jahren im Franziskushospital.