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„Erzähl mal...“ Spurensuche zur NS-Familiengeschichte
Dandy , Nazi, Opa?
Annina Hofferberth ist wissenschaftlich-pädagogische Volontärin der Villa ten Hompel. Sie ist 1990 geboren und beschäftigt sich mit der Geschichte ihres Großvaters, der vor ihrer Geburt verstarb.
Mein Großvater Hermann Hofferberth starb vor meiner Geburt. Ich kannte ihn also nur aus Erzählungen und von Fotos. Die erste Aufnahme, die ich als Sechsjährige von ihm sah, prägte auch mein Bild von ihm: Es war ein Hochzeitsfoto von ihm und meiner Großmutter Klara. Sie blickte im weißen Kleid und bodenlangem Schleier weit an der Kamera vorbei, mein Opa, in Naziuniform mit Hakenkreuzbinde hingegen blickte starr hinein. Ich fragte mich früh: Inwiefern konnte dieses Foto etwas über die politische Überzeugung meines Opas aussagen? Die Vieldeutigkeit, die dadurch entstand, dass ich als Kind nicht wusste, welche Uniform er trug, ließ diese Erkenntnis schwerer wiegen. NSDAP, SA, SS? Welche der NS-Organisationen würde ich als die schlimmste empfinden, der mein Großvater hätte angehören können? Tatsächlich zeigt die Uniform zusammen mit dem Kragenspiegel, dass er zum Zeitpunkt der Hochzeit im März 1934 Sturmmann bei der SA war.
Mehrere Jahrzehnte später, nachdem ich das Foto zum ersten Mal gesehen habe, haben weitere Fakten dieses Bild ergänzt: Hermann Hofferberth wurde 1901 in Darmstadt geboren. 1920 machte er an der Baugewerksschule Darmstadt seinen Studienabschluss im Tiefbau, 1924 im Hochbau. Danach arbeitete er erst als Zeichner und Bauführer, dann auch als Bauleiter für Architekten, ab 1926 war er für das hessische Kulturbauamt als technische Hilfskraft tätig.
In den wenigen erhaltenen Unterlagen – ein paar Fotos, ein Heft voll selbst verfasster Liebesgedichte, einige Ausweise – findet sich bis 1926 kein Hinweis auf seine spätere politische Zuordnung. In einem der frühen Fotos kommt er ganz bürgerlich daher: Das Foto ist 1921 aufgenommen worden, da war Hermann Hofferberth gerade einmal um die 20 Jahre alt. Darauf präsentierte er sich lässig, geradezu dandyhaft, gegen ein Fahrrad lehnend. Er trägt Anzug, die Füße hat er überschlagen, das Haar ist akkurat gekämmt, sein Blick geht zur Seite. Alles an diesem offensichtlich bewusst eingesetzten Gestus strahlt Lässigkeit und Bürgerlichkeit aus.
Mit der Person auf einem anderen Foto scheint er nur sehr wenig zu tun zu haben: Darauf blickt ein Mann in die Kamera, die Augen wirken – wahrscheinlich wegen der Sonne – zusammengekniffen, eine Falte um seinen Mund ist dazugekommen. Beide Beine, mit Lackstiefeln versehen, stehen breit aufgestellt auf dem Boden. Aber das auffälligste: die Uniform, die auf dem Foto fast schwarz wirkt. Mit dem Dolch an der Hüfte und dem langen Mantel sieht mein Großvater Hermann Hofferberth aus wie jemand, der präsentieren wollte, wer er war, und zwar: ein Nazi.
Nun gibt es immer die Mär, man sei genötigt gewesen, in NS-Organisationen einzutreten. Doch ganz davon abgesehen, dass sich diese Erzählung durch die Forschung relativiert hat, beweist der silberne Streifen an den Ärmeln meines Großvaters, ein sogenannter SA-Ehrenstreifen, dass er vor 1933 der NS-Organisation beigetreten war – also zu einer Zeit, als die NSDAP noch keine Regierungsposten besaß, mit der sie Druck auf die Bevölkerung hätte ausüben können. Tatsächlich war er kurz vor der Machtübernahme, am 7. Oktober 1932, offiziell der SA beigetreten. Das spricht für einen Eintritt aus Überzeugung. Aber warum? Wie konnte aus dem feschen jungen Mann von 1921 ein Nazi in dunkler Prachtuniform werden?
Ich vermute eine Erklärung im privaten Umfeld: Denn 1928 lernte er meine Großmutter kennen, der er Liebesgedichte schrieb. Vielleicht dienten sie auch der Vergewisserung ihrer Beziehung, denn er beteuerte in den Gedichten, sie heiraten zu wollen, aber erst, wenn er auch eine gute Anstellung gefunden hätte. Das sollte sich laut Arbeitszeugnissen jedoch in den nächsten Jahren als unmöglich erweisen: 1930 verlor er seine Arbeit als technische Hilfskraft und bis zum 31. Dezember 1933 sollte er arbeitslos bleiben. Erst ab Januar 1934 fand er wieder Anstellung als technischer Angestellter. Das bedeutete fast fünf Jahre Beziehung, ohne zu heiraten, und das zu einer Zeit, in der eine solche ‚wilde Ehe‘ gewiss kritische Fragen aufwerfen konnte.
Als sie im März 1934 endlich heirateten, tat das Hermann Hofferberth in Naziuniform. Womöglich war es eines der besseren Kleidungsstücke, die er besaß. Aus heutiger Perspektive verrät es aber indirekt etwas über die Bedeutung der SA in seinem Leben. Auch wenn es keine Auskünfte seinerseits gab, liegt der Verdacht nahe, dass er in der nationalsozialistischen Regierung, den für ihn erwachsenden wirtschaftlichen Vorteilen und dem propagierten Weltbild den Ausweg aus seinem persönlichen Unglück sah: Ideologisch boten sie ihm möglicherweise ein Feind- und Weltbild, das eine einfache Erklärung für die langjährige Arbeitslosigkeit lieferte; und die SA kümmerte sich oft durch finanzielle und materielle Zuwendungen gerade in der Zeit vor 1933 um die eigenen Mitglieder und half ihm persönlich wahrscheinlich über besondere finanzielle Engpässe hinweg.
Dass Hermann Hofferberth auch über die Ermordung Röhms, über die Novemberpogrome, als die SA Synagogen anzündete und Jüdinnen und Juden misshandelte und tötete, und über Kriegseintritt noch bei einer solchen Organisation blieb, spricht für sich. Aber es zeigt auch, dass die Diktatur und die menschenverachtende SA ihm etwas bieten konnten, was es ihm ermöglichte, ‚guten Gewissens‘ dabei bleiben zu können.
Seit 1936 war er dann als technischer Angestellter für den Reichsautobahnbau bei sechs verschiedenen Dienststellen tätig. Diese Arbeit an einer Stelle, die vom NS-Regime als kriegswichtig eingeschätzt wurde, schützte ihn davor, zum Wehrdienst eingezogen zu werden. Dass er so die Front meiden konnte, trug möglicherweise zu einer weiteren Stabilisierung seines Weltbildes bei.
Im März 1943 wurde er doch in die Wehrmacht zum Bau-Ersatz-Bataillon eingezogen. Während des Krieges geriet er in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er im August 1945 entlassen wurde. Über diese Zeit gibt es keine weiteren Unterlagen oder Aussagen von ihm. Wenige Jahre später sollten meine Großeltern meinen Vater bekommen, dessen Beschreibungen seines Vaters als friedliebender, ruhiger Vater ich kaum mit dem Nazi in Uniform in Deckung bringen kann. Die Geschichte der Familie Hofferberth in der NS-Zeit bleibt damit auf einige Gedichte, wenige Erzählungen und die Fotografien beschränkt. Doch sie dienen zumindest als Brücke, um die beiden scheinbar konträren Persönlichkeiten meines Großvaters zu verbinden.