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"Erzähl mal..." Spurensuche zur NS-Familiengeschichte
Recherchen der eigenen Familiengeschichten
Eine Zwischenbilanz
Seit Anfang Februar 2023, also seit knapp neun Monaten, läuft unser familiengeschichtliches Blogprojekt „Erzähl mal…“ mit mittlerweile 14 Beiträgen. Jetzt war Zeit für eine Zwischenbilanz, die wir in einer Runde von Mitarbeitenden und Ehrenamtlichen der Villa ten Hompel anstellten. Zwischen den Projektteilnehmenden ergab sich dabei eine Diskussion, an der sich wesentliche Aspekte der Erforschung der eigenen Familienbiografie ablesen lassen:
„Allen Beiträgen ist doch gemein, dass man so vieles nicht weiß. Je mehr man herausfindet, desto mehr Fragen tun sich auf“, so ein Projektteilnehmer. An einigen Stellen zeigten sich Lücken, die sich nicht so einfach mit Archivrecherchen füllen ließen: Zum Beispiel blieben Beweggründe der Eltern, Großeltern oder Urgroßeltern, in die NSDAP oder andere NS-Organisationen einzutreten, häufig offen.
Eine weitere Projektteilnehmerin stieg in die Diskussion ein: „Das liegt ja in der Natur der Sache, dass man nicht alles erfahren kann. Mit jedem Versatzstück fallen mehr Lücken auf, aber am Ende hat man doch einiges an Wissenszuwachs. Zumindest in der Auseinandersetzung mit der NS-belasteten Familienbiografie sind wir alle ein Stück weitergekommen.“ Immerhin konnten die meisten Autor*innen auf Basis von überlieferten historischen Quellen Vermutungen anstellen und möglichen Intentionen und Lebensrealitäten auf die Spur kommen.
„Stimmt auch wieder“, meinte der erste Projektteilnehmer. „Es ist schön, sich mit anderen Menschen auszutauschen, und zu fragen: ‚Wie geht ihr eigentlich mit eurer Familiengeschichte um?‘“ In der gemeinsamen Beschäftigung mit den NS-Familienbiografien wurde nämlich schnell deutlich: Die Frage nach der Verstrickung der eigenen Familien ist keine rein wissenschaftliche, sondern hat auch Konsequenzen für die Gegenwart und das eigene Selbstverständnis.
Die Beschäftigung bedeutete bei vielen auch eine Stärkung familiärer Bande, wie eine Projektteilnehmerin ergänzte: „Lange haben wir das Thema in unserer Familie ausgespart. Aber als ich proaktiv das Gespräch mit meinem Vater über den Groß- und Urgroßvater gesucht habe, habe ich gemerkt, wie offen er ist. Er hat selbst versucht, Erinnerungen wieder hervorzuholen und Antworten zu finden.“ Bei einigen Autor*innen gab es noch Ansprechpersonen in der eigenen Familie, andere arbeiteten vor allem mit historischen Unterlagen. Beides sind Wege, um sich der Geschichte anzunähern. Im besten Fall ergänzen sie sich.
Dabei bedeutete insbesondere die Frage des Alters und der Generation, auf die man blickte, Konsequenzen für die Positionierung zum historischen Geschehen. Das Handeln des eigenen Vaters oder der eigenen Mutter zu beurteilen, ist viel herausfordernder, als es bei Großeltern oder Urgroßeltern zu tun, die man vielleicht nicht einmal kennengelernt hatte. Die Frage danach, ab welcher Schwelle man jemanden als Nazi oder als NS-Täter bezeichnet, trieb mehrere Projektteilnehmende um: Reicht das Stützen des Regimes, beispielsweise in Form einer Parteimitgliedschaft, oder muss es eine aktive Beteiligung bei einer verbrecherischen NS-Organisation wie der SS, SA, Polizei oder Wehrmacht? Die Autor*innen fanden eigene Antworten, bei anderen blieb die Frage offen.
Angesichts der positiven Resonanz haben wir uns als Mitarbeitende entschieden, das Projekt im nächsten Jahr fortzuführen und auf größere Füße zu stellen: Familiengeschichte wird das Schwerpunktthema der Veranstaltungen im ersten Halbjahr sein, weitere Blogbeiträge können dann eingereicht und veröffentlicht werden. Und eine Workshopreihe für interessierte Bürger*innen ist auch schon in Planung. Wir werden an dieser Stelle zu gegebener Zeit darüber informieren.
Denjenigen, die sich in der Zwischenzeit weiter mit dem Thema beschäftigen wollen, legen wir unsere Übersicht über mögliche Recherchewege ans Herz. Wir wünschen in der Zwischenzeit ein ertragreiches Recherchieren!