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Koloniale Wertschöpfung
Weiterverarbeitung kolonialer Rohstoffe in Münster
Europäische Staaten und Händler importierten im großen Stil Rohstoffe wie Palmöl, Zucker oder Kakao aus Übersee. Deren An- und Abbau in den Kolonien beruht seit dem 19. Jahrhundert auch auf der Ausbeutung einheimischer Bauern und Arbeiter. Die Weiterverarbeitung dieser Rohstoffe erfolgte in der Regel in europäischen Fabriken. Noch vor der Nutzbarmachung von Erdöl war Palmöl seit Beginn des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten industriellen Fett und Maschinenschmierstoff geworden. Der deutsche Markt war einer der wichtigsten Abnehmer für westafrikanisches Palmöl. Die Textilindustrie im Münsterland stellte sich Mitte des 19. Jahrhunderts von Leinen auf Baumwolle um. Deutsche Kolonien versprachen eine größere Unabhängigkeit vom amerikanischen, auf Sklavenarbeit beruhenden Baumwollmarkt. Bis 1914 ist eine Umstellung auf Baumwolle aus deutschen Kolonien jedoch nicht in dem Umfang erfolgt, wie es die kaiserliche Kolonialpolitik propagierte.
Zu den klassischen Kolonialwaren gehörte der Kaffee. Sein Konsum hat in Münster mit Cafés und Kaffeehäusern seit dem 19. Jahrhundert noch längere Tradition. Im 20. Jahrhundert begannen zunehmend auch münstersche Unternehmen selbst zu rösten: 1923 gründeten Adolf Groneweg und Karl Meintrup in Münster die Kaffee- und Getreiderösterei Münsterländer Korn- und Malzkaffeewerk (Mükorma). Sie änderte später ihren Namen in VOX und wurde in den 1970er-Jahren von Melitta aufgekauft. Heinrich Vollmer begann 1936 im Kolonialwarenladen an der Geiststraße auch Kaffee zu rösten. Wie das Vertriebsgebiet wuchs auch der Betrieb, der in den 1990er-Jahren nach Altenberge zog. Die Münsteraner Kaffeeröstereien, darunter auch die Unternehmer Tengelmann und Stroetmann, bezogen ihre Rohstoffe, die Kaffeebohnen, vor allem über die Großmärkte in Bremen und Hamburg. Auch Zucker und Schokolade wurden in Münster seit Ende des 19. Jahrhunderts weiterverarbeitet, in den 1920er-Jahren zum Beispiel durch die "Gebrüder Wirtensohn" in der Wermlingstraße 3.
Tabakanbau in Münster mit kolonialer Erfahrung
Heinrich Schulte-Altenroxel wanderte Ende des 19. Jahrhunderts von Münster in die damalige Südafrikanische Republik aus und wurde dort Kolonialunternehmer. Mit wirtschaftlichen Geschick, finanzieller Unterstützung aus seiner Heimatstadt und vor allem unter Rückgriff auf die Arbeitskraft der indigenen Bevölkerung baute er die Westfalia Tobacco Plantation auf. In seinen Memoiren "Ich suchte Land in Afrika. Erinnerungen eines Kolonialpioniers" schilderte er 1942 offen die unwürdige Behandlung "seiner" einheimischen Beschäftigten. Nach den Burenkriegen zwischen Großbritannien und der Südafrikanischen Republik kehrte Schulte-Altenroxel 1911 nach Münster zurück und gründete mit dem Gutsbesitzer Wilhelm Zimmermann noch im selben Jahr die "Erste Deutsche Cigarettentabak-Pflanzung" in Uppenberg. Nach ersten Anbauversuchen ab 1908 brachte die Landwirtschaftskammer den Investor und Landgeber Zimmermann mit dem erfahrenen Tabakfarmer Schulte-Altenroxel zusammen. Die gemeinsam gegründete Zigarettenmarke "Dreizehnlinden" produzierte einige Jahre Zigaretten, scheiterte aber schließlich an klimatischen Problemen bei der Trocknung des Tabaks. Auf einer zeitgenössischen Postkarte sind Schulte-Altenroxel und Zimmermann auf ihrer gemeinsamen Tabakplantage im heutigen Stadtteil Kinderhaus zu sehen. Sein Wissen über den Tabakanbau in westfälischen Breitengraden veröffentlichte Schulte-Altenroxel 1920 unter dem Titel "Der Tabakanbau in der Heimat und die Verarbeitung der Ernte" und avancierte zum selbstständigen Tabakhändler und Tabak-Sachverständigen für die Landwirtschaftskammer Münster. In der NS-Zeit versuchte er seine Kolonialzeit in Vorträgen und Veröffentlichungen zu verkaufen.