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Veranstaltungen
In Between Violence, Sexualisation and Intimacy
Frauen und Kinder vor einer Massenerschießung durch Polizisten in Lubny
Genderperspektiven auf Nationalsozialismus und Holocaust
Donnerstag, 21. März und Freitag, 22. März an der Villa ten Hompel und Erbdrostenhof, gefördert von der Sparkasse Münsterland Ost, Förderverein der Villa ten Hompel, United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C.
Die Kategorie Gender/Geschlecht ist in mehrfacher Hinsicht essenziell für ein multikausales Verständnis: Zum einen in Hinblick auf die nationalsozialistische Rassenideologie, die in Massenverbrechen und Genoziden kulminierte. Zum anderen hinsichtlich der alltäglichen Lebensverhältnisse während des Nationalsozialismus sowohl im Deutschen Reich als auch im besetzten Europa, sowie der Handlungsräume von Menschen verschiedenen Geschlechts in sehr unterschiedlichen politischen, gesellschaftlichen und sozialen Settings. In Bezug auf Erinnerungsnarrative, die oftmals stark über stereotype Rollenbilder strukturiert und konstruiert waren und noch immer sind, gewinnt die Genderperspektive über 1945 hinaus weiter an Bedeutung.
Im August 2023 ist in einem US-amerikanisch-deutschen Projekt der internationale Sammelband "Polizei und Holocaust. Eine Generation nach Christopher Brownings Ordinary Men" erschienen, herausgegeben von Thomas Köhler und Peter Römer seitens des Geschichtsorts Villa ten Hompel Münster, Jürgen Matthäus vom United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C. und Thomas Pegelow, Kaplan von der University of Colorado, Boulder. Im Buch setzen sich die Autor*innen mit neuesten Analysezugängen und Perspektiven auseinander. Die Beiträge behandeln einige Schlüsselaspekte der gegenwärtigen Nationalsozialismus- und Holocaustforschung mit einem speziellen Fokus auf die moderne Täterforschung: Ursachen und Erscheinungsformen genozidaler Gewalt im europäischen Kontext, Visualisierungen und Medialisierungen des Holocaust und des Zweiten Weltkriegs, die Bedeutung von Genderperspektiven etwa zum Thema sexualisierte Gewalt oder Liebesbeziehungen. Letztgenannter Analysezugriff findet sich allerdings nur in einzelnen Beiträgen, wodurch nicht explizit einer immer noch verbreiteten Marginalisierung entgegenarbeitet wird.
Ritual der Männlichkeit: Polizisten des Bataillons 305 bei einem inszenierten Trinkgelage
Um dieses Desiderat einzulösen, beschäftigte sich diese zweitägige Tagung im kollegialen Austausch dezidiert mit Genderperspektiven auf Nationalsozialismus und Holocaust .
Die einzelnen Tagungsschwerpunkte setzten sich mit Handlungsräumen, Verzeitlichungen und Gender auseinander: von Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen im Holocaust über sexualisierte Ausbeutung als NS-Herrschaftspraxis sowie kommunale Ausgrenzungspraktiken und 'verleugnete Verfolgte' bis hin zu Gendertradierungen in familiären, transgenerationalen und transnationalen Kontexten. Gerahmt wurde die Tagung durch eine Keynote von Elizabeth Harvey (Nottingham) zu geschlechterhistorischen Zugängen zum Thema und ein öffentliches Abendgespräch mit Elissa Mailänder (Paris) zu Liebe, Ehe, Sexualität, einer Alltagsgeschichte der Intimität und Partnerschaft im Nationalsozialismus.
Die Tagung fand am 21. und 22. März 2024 in Münster statt. Tagungsort war der Geschichtsort Villa ten Hompel mit einer Teilnehmendenkapazität von 70 Personen. Das öffentliche Abendgespräch fand im Erbdrostenhof in Münsters Altstadt statt.
Tagungskonzeption: Karolin Baumann, Annina Hofferberth, Thomas Köhler
In Kooperation mit der University of Colorado, Boulder, und dem LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte Münster
Die Tagung wird gefördert von: Sparkasse Münsterland Ost, Förderverein der Villa ten Hompel, United States Holocaust Memorial Museum Washington D.C.
Ein Bericht zur Tagung findet sich auf der Plattform HSozKult, verfasst von Kathrin Schulte, Kommission Alltagskulturforschung für Westfalen.
Programm
Tag 1 (9.30-21 Uhr)
I. Begrüßung/Einführung
Thomas Köhler, Geschichtsort Villa ten Hompel
II. Keynote
Elizabeth Harvey (Nottingham): Geschlechterhistorische Zugänge zum Thema sexualisierter Erniedrigung und Gewalt während des Holocaust: Fragen, Kategorien, Quellen
III. Panel 1: Weiblichkeits- und Männlichkeitskonstruktionen im Holocaust
1. Marta Havryshko (Worcester, Massachusetts): War against Women's bodies. Sexual violence during the Holocaust in Ukraine
2. Florian Zabransky (Bonn): Agency and Vulnerability: Conceptualising Male Jewish Intimacy during the Holocaust
Moderation: Isabel Heinemann, Universität Bayreuth
IV. Panel 2: Sexualisierte Ausbeutung als NS-Herrschaftspraxis
1. Sarah Frenking (Erfurt): "Frankreich. Zentrale des internationalen Mädchenhandels". Prostitution, Mobilität und die polizeiliche Bekämpfung der 'Unterwelt', 1933–1945
2. Robert Sommer (Berlin): Lagerbordelle. Sex-Zwangsarbeit als integraler Bestandteil der Geschichte der NS-Konzentrationslager
Moderation: Naomi Roth, Geschichtsort Villa ten Hompel
Gesprächsabend (Erbdrostenhof):
Thomas Pegelow-Kaplan (Colorado, Boulder) im Gespräch mit Elissa Mailänder (Paris) zu Thesen ihres Buches "Amour, mariage, sexualité. Une histoire intime du nazisme (1930–1950)", Paris 2021.
Liebe, Ehe, Sexualität: Eine Alltagsgeschichte der Intimität und Partnerschaft im Nationalsozialismus (1930–1950)
Begrüßung: Stefan Querl, Leiter des Geschichtsorts Villa ten Hompel
Grußwort: Georg Lunemann, Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe
Tag 2 (9-15.30 Uhr)
V. Panel 3: Kommunale Ausgrenzungspraktiken und die 'verleugneten Verfolgten'
1. Verena Meier (Heidelberg): Intersektionale Perspektiven auf die Verfolgungspraktiken von Sinti*zze und Rom*nja bei der Magdeburger Kriminalpolizei und dessen Nachwirkungen in der SBZ/DDR
2. Philipp Erdmann, Jan Matthias Hoffrogge (Münster): Münsters „vergessene“ Verfolgte in historischer Forschung und Bildung. Ein Projektbericht
Moderation: Karolin Baumann, Geschichtsort Villa ten Hompel
VI. Panel 4: Gendertradierungen – familiär, transgenerational, transnational
1. Iris Wachsmuth (Berlin): Doing gender in der Tradierungsforschung zum NS
2. Julia Noah Munier (Stuttgart): Sexualisierte Deutungsmuster von Nationalsozialismus und italienischem Faschismus als erinnerungskulturelle Praktiken der Subjektivierung
Moderation: Annina Hofferberth, Geschichtsort Villa ten Hompel
VII. Tagungskommentar und Abschluss
Julia Paulus, LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte