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Über die Schulter geschaut
Das Team der Stadtarchäologie gibt aktuelle Einblicke in ausgewählte Projekte:
Dezember 2023:
Ein Dreikönigspfennig
Bei einer Sichtung der Münzen aus der großen Ausgrabung 2014 bis 2016 im Bereich der heutigen Gesamtschule Mitte wurde vor kurzem ein besonders kleines Objekt „wiederentdeckt“. Es handelt sich nicht um eine Münze, sondern ein winziges achteckiges „Plättchen“ mit den Maßen 1,9 x1,6 cm aus Kupferblech. Ursprünglich befand sich an der oberen Kante eine kleine Öse. Beide Seiten sind mit unterschiedlichen, sehr feinen Prägungen versehen.
Das Objekt stammt nicht aus einem eindeutigen Grabungsbefund, sondern ist ein sogenannter Streufund aus einem Bereich ganz im Nordosten der damaligen Grabungsfläche. Es wurde zusammen mit einigen anderen archäologischen Funden entdeckt, die sich grob die Zeit des 18. – 19. Jahrhunderts datieren lassen.
Auf der Vorderseite des „Plättchens“ lassen sich bei genauerem Hinsehen mehrere Personen erkennen. Offenbar handelt es sich um eine Szene der Anbetung des Jesuskinds durch die Heiligen Drei Könige. Rechts im Bild sind Maria und Josef im Profil unter einem angedeuteten Dach sitzend dargestellt und auf Marias Schoß sitzt aufrecht das Jesuskind. Einer der Könige kniet etwa mittig im Bild, die anderen beiden stehen dahinter. Auf der Rückseite steht ein mehrzeiliger lateinischer Text. Er ist nach Auskunft von Herrn Dr. Bernd Thier vom Stadtmuseum Münster folgendermaßen zu rekonstruieren:
“S.(anctus) 3 REGES
CASPAR.MELCH
IOR.BALTHASAR
ORA.PRO.NOBIS
NUNK IN HORA
MORTIS NOSTRAE
A(Amen)
Übersetzt heißt dies: „Heilige Drei Könige Caspar Melchior Balthasar bittet für uns jetzt und in der Stunde unseres Todes Amen“
Bei unserem Fund handelt sich um einen sogenannten „Dreikönigspfennig“. Er war ein Wallfahrtsandenken aus Köln und datiert in die Zeit um 1700. Im Kölner Dom werden seit dem Jahr 1164 Reliquien aufbewahrt, bei denen es sich um die Überreste der Heiligen Drei Könige handeln soll. Sie zogen über mehrere Jahrhunderte Pilger an, die sich vom Kontakt mit den heiligen Gebeinen Schutz und Hilfe versprachen. Von Anfang an wurden für diese Pilger verschieden Arten von Andenken hergestellt. Im Mittelalter waren es zunächst vor allem gegossene Abzeichen aus einer Blei-Zinn Legierung, die aufgenäht und sichtbar an der Kleidung getragen wurden. Diese Abzeichen hatten für die damaligen Menschen eine doppelte Bedeutung: Zunächst erhielten sie ein greifbares Objekt, mit dem sie etwas von der spirituellen Kraft des besuchten Ortes mit nach Hause nehmen konnten. Hinzu kam aber auch, dass die Reisenden sich dadurch für andere Menschen als Pilgernde kennzeichnen konnten und auf ihren oft langen und beschwerlichen Wegen besonderen Schutz und Rechte genossen.
Nach einer großen Blütezeit vor allem im 14. und 15. Jahrhundert kam es mit der Reformation zu einem vorübergehenden Einbruch im Pilgerwesen. Im Laufe des 16. Jahrhunderts begann man, statt der Abzeichen aus Blei-Zinn-Legierungen nun kleine Medaillen aus Bronze und aus geprägtem Kupferblech herzustellen. Im Laufe des 17. Jahrhunderts kamen einfache Andachtszettel aus Papier hinzu.
Das in Münster gefundene Wallfahrtsandenken aus Köln bietet einen interessanten kleinen Einblick in die Veränderung des Wallfahrtswesens und der persönlichen Frömmigkeit der Menschen in der Frühen Neuzeit. Das sieht man allein schon an der Art des sogenannten „Dreikönigspfennigs“, denn er ist viel zu klein und fragil, um außen an der Kleidung getragen zu werden. Diese kleinen geprägten Medaillen wurden zumeist an Rosenkränzen befestigt. Damit dienten sie nicht mehr der sichtbaren Repräsentation der geleisteten Pilgerfahrt, sondern eher der privaten Erinnerung und Andacht.
Der Kölner Dom bietet auf seiner Homepage eine schöne und ausführliche Erläuterung zur Geschichte der Dreikönigsreliquien.
Münster,19.12.2023
Ute Buschmann
Dezember 2023:
Eine eisenzeitliche Opferniederlegung? Zu einem besonderen Fund der archäologischen Prospektion in Hiltrup
Im Dezember des letzten Jahres berichteten wir an gleicher Stelle über erste Ergebnisse der archäologischen Prospektion der Stadtarchäologie Münster aus dem Jahr 2022 im Baugebiet Hiltrup-Ost, nördlich der Straße Osttor. Dort stellten wir den damals erst oberflächlich freigelegten Fund eines senkrecht im Boden stehenden Gefäßes vor. Erkennbar war im Boden zunächst nur die kreisförmige „Gefäßwandung“ (Abb.1), die bereits oben vom Pflug angeschnitten war, aber vom Umfang her erhalten blieb. Über die überraschenden neuen Erkenntnisse bei der Bergung des Stückes Anfang Januar 2023 und die anschließende vorsichtige Freilegung im Depot der Stadtarchäologie in Coerde berichten wir nun in Fortsetzung.
Bergung in der Fläche
Um den Fund vollständig im Block bergen und abtransportieren zu können, wurde zunächst der umgebende Sand so weit wie möglich abgetragen, um einen guten Zugang zu ermöglichen (Abb.2). Dabei zeigte sich, dass die nach unten einziehende Wandung noch in einer Höhe von ca. 15 m erhalten war. Um die Grundstabilität zu gewährleisten, wurde das Gefäß dick mit Frischhaltefolie umwickelt. Anschließend wurde eine „Pufferschicht“ aus Zeitungspapier aufgebracht und ebenfalls mit Folie fixiert (Abb.3). Zum Schluß wurde das Gefäß mit feuchten Gipsbinden umwickelt, die nach dem Aushärten als kompakte Außenhülle die Stabilität des Gefäßes gewährleisteten (Abb.4). Unter den so entstandenen Block wurde schließlich mit einem Hammer vorsichtig eine Eisenplatte getrieben, auf der das Gefäß wie auf einem Tablett liegend in das Fundmagazin zur weiteren Bearbeitung transportiert werden konnte (Abb.5).
Freilegung im Fundmagazin in Coerde
Im Magazin wurde der Gipsmantel mit einem kleinen Trennschleifer geöffnet. Anschließend musste der Block einige Tage gut durchtrocken. Vorgeschichtliche Keramik wurde meist bei relativ schwacher Hitze gebrannt und wird daher bei längerem Kontakt mit der Feuchtigkeit im Boden sehr weich und empfindlich. Gibt man ihr aber etwas Zeit bei stabilen Bedingungen zu trocknen, verbessert sich ihr Zustand deutlich.
Schließlich konnte dann mit einer Art Mini-Ausgrabung im Gipsblock begonnen werden. Dabei wurde der Sand nach und nach mit feinen Spateln und Pinseln entfernt. Statt des zu erwartenden Gefäßbodens fand sich innerhalb des „Ringes“ aus Keramik aber tatsächlich erstmal nichts! (Abb. 6) Bei genauerem Hinsehen wurde dann klar, dass es sich bei der Unterseite des „Ringes“ nicht um eine Bruchkante, sondern den ursprünglichen Gefäßrand handelte. Wir hatten es demnach mit einem wirklich großen Gefäß zu tun, dass offenbar bewusst kopfüber mit der Öffnung nach unten in einer Grube deponiert worden war.
Nach der Freilegung des Gefäßes musste entschieden werden, was mit den erhaltenen, aber durch den Erddruck in sich gebrochenen Keramikteilen geschehen sollte. Eine vollständige Rekonstruktion wäre technisch sehr schwierig, schon da die unteren zwei Drittel des Gefäßes fehlen. Wir entschieden uns für einen Kompromiss. Die teilweise verrutschten und zerdrückten Keramikstücke wurden abschnittsweise abgenommen, gereinigt und soweit möglich wieder in ihrer ursprünglichen Anordnung geklebt. So blieben am Ende statt vieler kleiner Puzzleteile nur einige größere übrig.
Gefäßansprache und Datierung
Bei dem umgestülpt im Boden gefundenen Gefäß handelt es sich ursprünglich um ein großes Gefäß mit hoher, stark gewölbter kurzer Schulter und fast senkrechtem, oben mit Fingertupfen verziertem Rand von ca. 0,30 cm Durchmesser. Das Unterteil wurde kurz in eine Tonemulsion getaucht, so dass nach dem Trocknen eine dünne, raue Schlickerschicht auf der Oberfläche zurückblieb, die die Griffigkeit des Gefäßes erhöhte. Vergleichbare große, dickwandige und grob gearbeitete Gefäße werden allgemein als Vorratsgefäße (Abb. 7) gedeutet und aufgrund der groben Machart und der Randgestaltung in die vorrömische Eisenzeit (800/700 v. Chr. bis 100 v. Chr.) datiert.
Deutung
Die Lage des vermutlich ursprünglich vollständigen Gefäßes in einer passgenauen Grube spricht für eine absichtliche Niederlegung. Einen vergleichbaren Fall gab es bei der Stadtarchäologie Münster bislang erst einmal. Bei den Ausgrabungen zum Bau des neuen Bürgerbades in Handorf (2019/20) wurde ebenfalls ein verkehrt in einer Grube stehendes Gefäß gefunden. Dieses war jedoch deutlich kleiner und schlechter erhalten. Vergleichbare Deponierungen finden sich in Mittel- und Nordeuropa immer wieder in eisen- und kaiserzeitlichen Siedlungen. Dort werden sie meist als obere Abdeckungen von Speiseopfern gedeutet, um diese vor dem Erddruck zu schützen und symbolisch dem Zugriff der Lebenden zu entziehen. Unter dem Hiltruper Gefäß konnten jedoch keine Reste einer solchen organischen Opfergabe mehr nachgewiesen werden. Dies ist jedoch nicht verwunderlich, da die Erhaltungsbedingungen für organisches Material in den mineralischen, kalkarmen Sandböden von Hiltrup schlecht sind. Entsprechende Deponierungen von großen, umgedrehten Gefäßen fanden sich in Castrop-Rauxel Ickern und Dorsten-Holsterhausen, beide Kreis Recklinghausen, in der Nähe von Feuerstellen von Wohnstallhäusern, weshalb sie dort auch als Herdopfer gedeutet werden. Pfostenstellungen eines Hausgrundrisses um die Gefäßdeponierung konnten in dem schmalen Suchschnitt von Hiltrup zwar nicht nachgewiesen werden, ihr Fehlen könnte aber an der tiefgründigen Störung durch den Pflug oder an dem kleinen freigelegten Ausschnitt im Suchschnitt liegen.
Fortsetzung
Neben den eisenzeitlichen Siedlungsspuren, konnten in den Suchschnitten von Hiltrup-Osttor noch umfangreiche Reste einer bronzezeitlichen und einer mittelalterlichen Siedlung nachgewiesen werden. Über diese wird aber noch zu berichten sein…
Münster, 13.12.2023
Jürgen Pape, Vincent Niestlé und Ute Buschmann
September 2023:
800 Jahre Siedlungsgeschichte in der Krummen Straße
Von Mai bis August 2023 wurden auf dem rund 640 m2 großen Grundstück Krumme Straße 9 Ausgrabungen durchgeführt. Anlass war der Abriss des teilunterkellerten Bestandsgebäudes und die geplante Neubebauung mit Tiefgarage, durch die die archäologische Substanz auf einer Fläche von 250 m2 von der Zerstörung bedroht war. Da weite Teile des Grundstücks im 20. Jahrhundert als Parkplatz und Grünfläche genutzt wurden, war mit einer guten Befunderhaltung in den unbebauten Bereichen zu rechnen.
Aus Karten und schriftlichen Quellen ist bekannt, dass die Parzellenstruktur an der östlichen Seite der Krummen Straße vom 16. Jahrhundert bis zum Ende des 19. Jahrhunderts deutlich kleinteiliger war, als es die heutigen Grundstücke vermuten lassen. Im jetzigen Grundstück Nr. 9 sind die Parzellen 33 bis 38 des frühen 19. Jahrhunderts vereinigt (Abb. 1). Hier stand vermutlich schon seit der Täuferzeit, spätestens aber in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, eine Reihe aus drei Doppelgademen, die auch auf dem Alerdinck-Plan von 1636 eingezeichnet sind (Abb. 2). Die Gademe – kleine Mietshäuser mit Grundflächen von meist nur 25 m2 bis 35 m2 – dienten als Wohnungen für Menschen mit geringem Einkommen. Eigentümer der drei Doppelgademe an der Krummen Straße waren die Besitzer des Grundstücks Königsstraße 45, zu dessen rückwärtigen Bereich auch das untersuchte Areal an der Krummen Straße gehörte.
Im Zuge der Ausgrabungen wurden Fundamente der beiden nördlichsten Gademe freigelegt, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch standen und auf einem Foto aus dieser Zeit als zweigeschossige Bauten erkennbar sind. Ihre Bauweise deutet auf eine Errichtung im 18. Jahrhundert hin. Mit Grundflächen von knapp 30 m2 verfügten sie im Erdgeschoss über zwei Räume. Bei den Grabungen wurden auch die Fundamente der rückwärtigen Grundstücksmauern angetroffen. Im Nordprofil (Abb. 3) zeigte sich, dass in einem späten Abschnitt der frühen Neuzeit – wahrscheinlich im 18. Jahrhundert – ein Abriss und Neubau der Grundstücksmauer stattgefunden hatte. Vermutlich wurde gleichzeitig ein neues Gadem gebaut und dabei Spuren des älteren, durch den Alerdinckplan belegten Gadems zerstört. Im 14 m2 großen Hinterhof des nördlichsten Gadems wurde ein Abort angeschnitten, der etwa eine Fläche von 5 m2 beanspruchte, so dass die verbleibende Nutzfläche weniger als 9 m2 betrug.
Nach dem Abtrag der Mauern wurde hier in der untersten Kulturschicht über dem gewachsenen Boden ein hölzerner Kasten gefunden (Abb. 4), dessen Funktion sich noch nicht sicher identifizieren lässt. Hierüber werden hoffentlich Funde und naturwissenschaftliche Analysen des Erdreichs aus dem Inneren des Kastens Aufschluss geben. Die Füllung wird zurzeit Schicht für Schicht in der Restaurierungswerkstatt entnommen. In wenigen Wochen wissen wir hoffentlich mehr und melden uns dann an dieser Stelle mit den neuesten Ergebnissen.
Der östlich an die Gademe angrenzende Bereich gehörte zum rückwärtigen Teil des Grundstücks Königsstraße 45, das sich im 17./18. Jahrhundert wohl im Besitz der Familie Droste befand. Während der vordere Bereich des Grundstücks dem repräsentativen Wohngebäude vorbehalten war, fanden im hinteren Bereich alltägliche Arbeiten und Verrichtungen statt, und hier befanden sich auch Einrichtungen zur Ver- und Entsorgung wie Brunnen und Aborte. Die zahlreichen Funde, die dort aus einem Kloakenschacht des 18. Jahrhunderts geborgen werden konnten (Abb. 5), versprechen Einblicke in das Alltagsleben der wohlhabenderen Schichten jener Zeit.
Zwei weitere Kloakenschächte in diesem Bereich zeigen, dass der Zuschnitt der Parzellen und die unterschiedlichen Nutzungsareale wohl schon seit dem späten Mittelalter bestanden. Hier wurde ein rechteckiger Schacht, der Fundmaterial vom Übergang des späten Mittelalters zur frühen Neuzeit enthielt, von einer etwas jüngeren Fasskloake geschnitten (Abb. 6).
Ob die Grundstücksaufteilung im hohen Mittelalter ähnlich oder doch ganz anders gewesen ist, lässt sich beim derzeitigen Stand der Arbeiten noch nicht sagen. Im gewachsenen Boden zeichneten sich zahlreiche Gruben und Pfostengruben ab, die auf eine Besiedlung des Areals im 12./13. Jahrhundert zurückgehen (Abb. 7). Bebauungsstrukturen jener Zeit werden sich aber erst im Zuge der nun begonnenen Nachbearbeitung rekonstruieren lassen.
Münster, 08.09.2023
Esther Lehnemann, Annemarie Reck
Juni 2023:
Ausgrabungen in Wolbeck
Im März/April sowie Mai/Juni dieses Jahres führte die Stadtarchäologie zwei archäologische Untersuchungen in Wolbeck durch, die neue Erkenntnisse zur spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Stadtentwicklung erhoffen ließen. Die betroffenen Grundstücke lagen einander gegenüber östlich und westlich der Straße Am Steintor, die zusammen mit der Münsterstraße die Hauptverkehrsverbindung bildet, die in Nord-Süd-Richtung durch den westlichen Teil der mittelalterlichen Stadt führt. Im näheren Umfeld der beiden Untersuchungsflächen werden von historischer Seite mehrere spätmittelalterliche Burgmannshöfe verortet. Direkt südlich bzw. südöstlich der beiden Flächen befand sich seit dem Ende des 13. Jahrhunderts ein Burgmannshof, an dessen Stelle die Familie von Merveldt im 16. Jahrhundert den noch heute erhaltenen Drostenhof errichten ließ.
Schon beim Abriss der Bestandsbebauung im Herbst 2022 waren auf beiden Grundstücken dicht unter der modernen Oberfläche Fundamente der Vorgängerbebauung zutage gekommen. Auf dem Eckgrundstück Am Steintor 3/Drostenhofstraße 1 waren allerdings aufgrund von späteren Umbauten kaum noch Spuren der auf dem Urkataster von 1829 verzeichneten Häuser erhalten. Dort standen damals zwei Häuser, die mit der Giebelseite zur Straße Am Steintor ausgerichtet waren. An das südliche Haus war an die hintere Schmalseite ein kleines Nebengebäude angesetzt. Dieses wurde der kartographischen Überlieferung zufolge zwischen 1867 und 1880 durch einen größeren Anbau ersetzt, dessen Fundamente im Zuge der Ausgrabungen nachgewiesen werden konnten. Auch die Fundamente eines in dieser Zeit entstandenen Nebengebäudes am östlichen Grundstücksrand wurden bei der Untersuchung freigelegt und als die Überreste einer Kloake identifiziert (Abb.1). An das nördliche Haus wurde zwischen 1867 und 1880 ebenfalls ein Anbau angesetzt, am hinteren Grundstücksrand befand sich vermutlich eine weitere Kloake. Von diesen Bauten wurden keine Fundamente mehr in situ gefunden. Stattdessen wurden im Hinterhofbereich des nördlichen Hauses zwei mächtige, zeitlich aufeinander folgende Gartenhorizonte dokumentiert, die nach einer vorläufigen Datierung aus dem 18. bis 20. Jahrhundert stammen. Sie reichten stellenweise bis auf die geplante Eingriffstiefe hinab.
Unter den ehemaligen Gebäuden am Westrand des Grundstücks befanden sich mehrere Auffüllungen der frühen Neuzeit, aus denen auch umgelagertes Fundmaterial des späten Mittelalters geborgen wurde. Zum jetzigen Zeitpunkt kann noch nicht festgestellt werden, ob es sich um die Verfüllung einer natürlichen Senke handelte, oder ob sich hier zuvor eine Materialentnahmegrube – möglicherweise zur Gewinnung von Sand für den Bau des Drostenhofes – befand. Einzelne Befunde, die auf Bautiefe angetroffen wurden, dürften aus der spätmittelalterlichen Nutzungszeit des Areals stammen, konnten mangels Fundmaterial jedoch nicht sicher datiert werden.
Bei der zweiten Maßnahme auf der gegenüberliegenden Straßenseite (Am Steintor 6) wurden ebenfalls Fundamentreste der ab 1829 kartographisch überlieferten Bebauung freigelegt. Der älteste verzeichnete Bauteil stand im Nordosten des Grundstücks an der Ecke Am Steintor/Marktstraße. Er war traufständig zur Straße Am Steintor ausgerichtet und wurde vor 1877 durch einen Anbau entlang der Straße nach Süden erweitert. Zwei weitere Anbauten wurden in dieser Zeit an die Westseite des Hauses angesetzt, zwischen 1877 und 1890 folgte ein dritter Anbau im Südwesten. Die relativ flach gegründeten Fundamente zeigten kein einheitliches Erscheinungsbild; sie bestanden aus einer Mischung aus Backsteinen, Bruchsteinen und Spolien aus Sandstein. Ein bis zuletzt genutzter Keller war aus Bruchsteinen gemauert. Ein kleiner Raum im ehemaligen Haupthaus wies einen Backsteinfußboden auf. Auch auf diesem Grundstück wurden unter der neuzeitlichen Bebauung vor allem frühneuzeitliche Auffüllungen angetroffen, die jedoch weniger mächtig waren als auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Im anstehenden Boden zeichneten sich zahlreiche Befunde, darunter Gräben, Gruben und Pfostengruben, ab, die nach vorläufiger Einschätzung in das Spätmittelalter oder die beginnende Neuzeit zu stellen sind (Abb.2). Ein zusammenhängendes Bild über diese frühe Nutzungsphase wird sich jedoch nur über einen flächigen Abtrag der jüngeren Schichten in diesem Areal gewinnen lassen. Geplant ist daher, die archäologische Begleitung beim Aushub der Baugruben auf beiden Grundstücken fortzusetzen.
Auch wenn die Baumaßnahmen des 19. Jahrhunderts Teile der älteren archäologischen Substanz zerstört haben, bieten die Einblicke in den Untergrund doch wertvolle Erkenntnisse. So ist für das Grundstück nördlich des Drostenhofs festzuhalten, dass vielleicht schon im Spätmittelalter, sicher aber zu Beginn der frühen Neuzeit massive Bodeneingriffe bzw. Umlagerungen des Erdreichs durchgeführt wurden. Das westlich gelegene Areal war weniger tiefgreifenden Veränderungen unterworfen, so dass sich hier mehr Spuren einer älteren Nutzung erhalten haben.
Münster, 28.06.2023
Esther Lehnemann
Dezember 2022:
Archäologische Prospektion 2022 im Baugebiet Hiltrup-Ost
Im geplantem Baugebiet Hiltrup-Ost, nördlich vom Osttor konnte die Stadtarchäologie Münster nach Ende der Maisernte und Nachuntersuchungen des Kampfmittelräumdienstes am 18.10.2022 mit der archäologischen Prospektion beginnen.
Für das Areal, einem siedlungsgünstigen Sandrücken, zwischen dem Erdelbach im Norden, dem Emmerbach im Süden und der Niederung der Werse im Osten, liegen mehrere archäologische Fundmeldungen vor und damit begründete Anhaltspunkte für Bodendenkmäler gemäß § 2 DSchG NRW.
Um diese in ihrer Größe genauer einzugrenzen und in ihrer Erhaltung zu bewerten, wird hier bis Sommer 2023 auf einer Fläche von 29 ha ein systematisches Raster von Suchschnitten angelegt. Es handelt sich um 2,5 m breite und im Abstand von 20 m parallel verlaufende Baggerschnitte. Die Arbeiten vor Ort werden durch ein Team der Stadtarchäologie (ein wissenschaftlicher Grabungsleiter, ein Techniker und bis zu vier GrabungshelferInnen) begleitet.
In dem ersten Abschnitt der Maßnahme konnten bis Dezember auf einer Fläche von ca. 10,5 ha 20 Suchschnitte aufgebaggert und zum Teil bereits wieder verfüllt werden. In den bis zum anstehenden Boden freigelegten Streifen waren locker gestreut Befunde (Pfostenlöcher und größere Gruben) vorgeschichtlicher Siedlungen zu dokumentieren. Die bislang vorliegenden Gefäßscherben datieren in die vorrömische Eisenzeit (700 v. bis zur Zeitenwende). In einer Grube fanden sich neben vermutlich früh- bis mitteleisenzeitlicher Keramik auch zwei kleine Schlackestücke, die für das nahegelegene Umfeld des Befundes eine Eisenverarbeitung vermuten lassen. Derartige, zumindest indirekte Nachweise für Eisenmetallurgie sind in Westfalen für diese frühen Perioden der Eisenzeit bislang selten. Neben der überwiegend kleinteilig erhaltenen Siedlungskeramik fanden sich an zwei Stellen auch weitgehend erhaltene, senkrecht im Boden stehende große Gefäße, deren Oberteil jedoch durch den Pflug zerstört ist. Ob diese ebenfalls zu einer Siedlung gehören, oder ob es sich um Urnen und damit um Reste eines Brandgräberfeldes handelt, müssen die weiteren Untersuchungen zeigen.
Da bedingt durch den derzeitigen Dauerfrost vor Ort keine Arbeiten möglich sind, werden die verbleibenden Dokumentationsarbeiten noch bis in den Beginn des nächsten Jahres fortgesetzt.
Nach einer anschließenden Winterpause werden ab März 2023 die Restflächen im Bereich des Baugebietes Hiltrup-Ost von etwas mehr als 18 ha prospektiert. Der Abschluss der Baggerarbeiten in diesem zweiten Abschnitt liegt im Sommer 2023.
Münster, 16.12.2022
Jürgen Pape, Vincent Niestlé
Dezember 2021:
Die Stadtarchäologie Münster im Museum
Archäologie findet auf der ganzen Welt statt, denn überall gibt es Kulturgut im Boden, das geborgen wird. Es erzählt die Geschichte der Menschen weltweit und aus der Tiefe der Zeit heraus, lange, bevor die Schriftquellen zu sprudeln beginnen. Eine spannende Zeitreise für Neugierige, und genau das bietet das Archäologische Museum der Universität Münster am Domplatz 22. Auf zwei Etagen können Besucher tief in die antike und vorgeschichtliche Welt der Kulturen der griechisch-römischen Welt eintauchen. Es gibt beeindruckende Modelle zu bestaunen und mit didaktisch aufbereiteten Themenbereichen den Alltag in der Antike zu entdecken.
Im Untergeschoss sind herausragende Fundstücke aus der ägäischen Vorgeschichte und die verschiedenen Disziplinen der Archäologie an der Universität vertreten: Neben der Altorientalistik, der Ägyptologie und der Ur- und Frühgeschichte, den universitären Feldern aus Forschung und Lehre, finden wir hier auch die Archäologie von „nebenan“: Die Stadtarchäologie Münster. Ihre Vitrine mit spannenden Funden aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit sowie die Text- und Informationstafeln zeigen die Lebensbereiche der Menschen in Münster in der Vergangenheit. Sie vermitteln einen Einblick die Stadt mit ihren Bauten und ihrer Entwicklung, den Alltag innerhalb ihrer Mauern, aber auch, was über den Alltag hinausweist: Christlicher Glaube, Bildung und Freizeit der Menschen werden mithilfe der archäologischen Funde lebendig.
Geöffnet ist das Museum am Domplatz 22 von Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, an jedem zweiten Freitag im Monat bis 22 Uhr. Der Eintritt ist frei.
Münster, 10.12.2021
Claudia Holze Tier
Weitere Informationen auf der Homepage des Archäologischen Museums
Juli 2021:
Einer der ältesten Engpässe Münsters: Das Michaelistor
Die Baubeobachtungen durch die Stadtarchäologie an der Baustelle für die Hochsicherheitspoller am Domplatz in Richtung Prinzipalmarkt erbrachten im Juni Teile des Michaelistores und der anschließenden Wehrmauer der Domburg. Das 1778 abgebrochene Tor wurde zuerst 1112 erwähnt und war mit seiner Kapelle von großer Bedeutung für das Münsteraner Bischofsamt: Jeder neu gewählte Bischof betrat seinen neuen Amtssitz durch dieses Tor und sprach ein erstes Gebet in der hier eingerichteten Kapelle, bevor er seine neue Amtstracht anlegen und in den Dom einziehen durfte.
Sehr profan war hingegen die Finanzierungsgrundlage der Kapelle, die mittels der Mieteinnahmen von vier kleinen Ladenlokalen gesichert war, die in den Seiten der Torkammer untergebracht worden waren.
Die Ausgrabungen wurden im Bereich des domplatzseitigen Zuganges durchgeführt. Hier konnten die massiven Fundamente des Tordurchganges freigelegt werden. Ihr Abstand von nur knapp 1,5 m zeigt, dass es sich um ein verhältnismäßig schmales Tor gehandelt hat. Dies wird auch durch ein 1704 aufgesetztes Ratsprotokoll bestätigt, das davon spricht, dass sich im Michaelistor Kutschen und Passanten nicht sicher begegnen konnten.
Aufschlussreich waren die archäologischen Untersuchungen auch im Bezug auf die Abbrucharbeiten. Während des Torfundament im Norden sehr gut erhalten im Boden steckte, war das südliche Gegenstück sauber ausgebrochen worden. Die mit kleinteiligen Reststeinen und Erdreich aufgefüllte Ausbruchgrube zeigt, dass der Baustoff Stein so begehrt in Münster war, dass auch die Fundamente ausgebrochen werden sollten. Offensichtlich kam aber etwas dazwischen oder aber das Ergebnis lohnte den Aufwand nicht, weshalb zumindest der Nordteil erhalten blieb.
Münster, 13.7.2021
Johannes Müller-Kissing
Juli 2021:
„Kleinstbunker“ am Bahnhof Mecklenbeck
Bei Baggerarbeiten am Bahnhof Mecklenbeck wurde im Bereich des Doppelbahnübergangs Heroldstraße eine sogenannte Splitterschutzzelle Bauart Westermann aus dem 2. Weltkrieg gefunden. Zweck des 1,5 m breiten und 2,8 m hohen Stahlbetonkörpers war es, einer bis zwei Personen Schutz während eines Luftangriffes zu bieten. Von ihrem Standort zwischen dem Bahnübergang und dem längere Zeit schon abgerissenen Bahnwärterhaus war die Beobachtung des westlichen Bahnhofsbereichs möglich. Im Ernstfall – einem Bombentreffer im Gleisfeld oder anderen Schäden – sollte der in der Splitterschutzzelle postierte Reichsbahnmitarbeiter Schadensbekämpfungstrupps benachrichtigen oder auch selbst tätig werden.
Die 5,8 Tonnen schwere Splitterschutzzelle besteht aus drei Betonfertigteilen (Boden, Mittelstück, Decke) und einer Betontür, wodurch ein Bewegen der einzelnen Teile besser möglich war. Am Bestimmungsort wurden dann die Sektionen mittels Stahlstäben und Betonmörtel zusammengesetzt.
Die gute Bauausführung der Zelle deutet darauf hin, dass es sich um eine frühe Ausführung handeln dürfte. Das Fabrikschild in der Tür ist leider komplett unleserlich, jedoch konnte aufgrund der Form das in Broistedt bei Braunschweig ansässige Betonwerk Westermann & Co als Hersteller ausgemacht werden.
Die gefundene Zelle ist der dritte bekannte Vertreter der Bauart Westermann auf dem Gebiet der Stadt Münster. Alle drei Objekte stehen im Zusammenhang mit Reichsbahnanlagen, während eine vierte Splitterschutzzelle anderer Bauart, die heute im Südpark steht, als Brandwachenstand der Wäscherei "Edelweiß" diente.
Münster, 8.7.2021
Johannes Müller-Kissing
Mai 2021:
Ein Fund aus dem Alltag der Nonnen im ehemaligen Kloster Niesing
Der Aufmerksamkeit der Magazinverwalterin bei der Stadtarchäologie Münster, Ute Buschmann, ist es zu verdanken, dass ein unscheinbares „UFO“ (= “unbekanntes Fundobjekt“) aus der Ausgrabung „Clemensbögen“ an der Klosterstraße 90 (2016–2017) identifiziert werden konnte.
Das sorgfältig restaurierte t-förmige, etwa 5 cm lange Fundstück wurde aus Buntmetall (Bronze oder Messing) gegossen und besteht aus einer 4,2cm breiten Platte, an die sich im rechten Winkel, leicht von der Mitte versetzt, eine Tülle anschließt. Die Platte endet in einer Reihe von ursprünglich 11 Zähnchen, von denen vier abgebrochen sind. Auf der Oberseite ist sie mit einer eingepunzten doppelten Punktreihe verziert, welche die Kontur ihrer Außenkante ansatzweise nachzieht.
Es handelt sich um eines von ursprünglich zwei Endstücken eines sogenannten „Breithalters“. Er gehört als Zubehör zu Handwebstühlen und wird in ähnlicher Form noch heute verwendet. Auf dem Gewebe zwischen Tuchbaum und Schusseintrag in die Webkanten eingehakt, verhindert er, dass das Gewebe während des Webvorgangs zunehmend schmaler wird. Allen Arten von Breithaltern, sowohl den historischen als auch den modernen, ist gemeinsam, dass das zumeist hölzerne Mittelstück, an dem die Endestücke sitzen, in der Länge verstellbar ist und an die Breite des Stoffstückes angepasst werden kann.
Die Schicht, aus der dieser Fund stammte, kann durch die darin aufgefundene Keramik in das 15./16. Jahrhundert datiert werden und möglicherweise zu den frühen Baubefunden der Klosteranlage des Nonnenklosters Marienthal, genannt Niesing gehört, die sich von 1451 bis zu Aufhebung 1811 an der Stelle der heutigen „Clemensbögen“ befand. Aus der Chronik des Klosters, die während des ersten Jahrhunderts seines Bestehens geführt wurde, geht hervor, dass um 1525 auf elf Webstühlen von den Nonnen gearbeitet wurde – sehr zum Ärger der städtischen Handwerker, die in der Textilproduktion des Klosters eine Konkurrenz sahen. Von einem dieser Webstühle könnte unser Fundstück vielleicht stammen.
Münster, 6.5.2021
Claudia Holze-Thier
April 2021:
Mittelalter, Neuzeit und 2. Weltkrieg auf nur 50 cm Tiefe – Erste Grabungen am Krummen Timpen
Auf dem seit dem Ende des 2. Weltkrieges brach liegenden Grundstück Krummer Timpen 49 bietet sich seit mehreren Wochen der Stadtarchäologie die Möglichkeit, ein relativ ungestörtes städtisches Baufeld in seiner gesamten Entwicklung zu untersuchen.
Im Fokus der Untersuchungen standen als erstes die Reste der Gebäude, die durch Brand- und Sprengbomben von 1941 an zerstört wurden. In den Kellern fand sich diverses Material, dass nicht mehr durch die Bewohner geborgen wurde. Neben mehreren Coca-Cola- und Fantaflaschen aus den 1930er und frühen 1940er Jahren war vor allem der Kohlenkeller eines relativ jungen Gebäudes aus der vorletzten Jahrhundertwende von Interesse: An der Rückwand, versteckt in den Eierkohlen, standen diverse Flaschen für Alkoholika, die offensichtlich dort versteckt worden waren.
Im Kern des Gebäudes steckten noch die Bruchsteinmauern der älteren Bebauung, die nach Auskunft der Schriftquellen und erster Grabungsergebnisse zumindest bis ins 17. Jahrhundert zurück zu verfolgen ist.
Nur wenige Dezimeter unter den Schichten aus der Neuzeit konnte bereits erstes mittelalterliches Material geborgen werden, dass ins 13. und 14. Jahrhundert datiert. In das Hoch- und Spätmittelalter zählen auch die meisten bisher untersuchten Gruben, die interessante Einblicke in die Ernährungsgewohnheiten eines Teils der Stadtbevölkerung geben. So fanden sich in einer Grube ausschließlich Knochenreste von klassischem „Suppenfleisch“, also eher minderwertigen Stücken wie Gelenkresten und Wirbel.
Die in den nächsten Wochen zu untersuchenden Befunde aus dem Mittelalter versprechen noch einige Überraschungen, die es vielleicht ermöglichen werden, die Frühphase Münsters zu fassen.
Münster, 30.4.2021
Johannes Müller-Kissing
April 2021:
Unter dem Domplatz ist viel los – neue Einblicke für die Stadt (-archäologie)
Die Errichtung von Hochsicherheitspollern am südöstlichen Ende des Domplatzes gibt der Stadtarchäologie derzeit wichtige Einblicke in die Geschichte des Areals der Domburg - aber auch zur weitergehenden Nutzung über das Mittelalter hinaus bis in die Neuzeit.
Im Zuge der Bauarbeiten wurden die vom Domplatz in Richtung Prinzipalmarkt vorgehenden Leitungsbauarbeiten seit Anfang Februar archäologisch begleitet. Ergebnis ist ein über 50 Meter langes Profil durch die Stadtgeschichte, indem sich nicht nur die aus Schotter bestehende Oberfläche aus dem 17. Jahrhundert fassen lässt, sondern auch mehrere Keller und Gruben, die Keramik aus dem (Früh-)mittelalter enthielten. Einzelne Stücke könnten sich bei den weiteren Untersuchungen sogar als noch älter herausstellen und damit einen Einblick in die Zeit vor Errichtung der Domburg geben.
Spannend wird es in den nächsten Wochen auch im Bereich der Standortes des Michaelistores, das ungefähr auf Höhe der Adresse Michaelisplatz 6 schon mit erstem Bruchsteinmauerwerk im Leitungsgraben in Erscheinung trat. Die in diesem Bereich einzubringenden Poller ermöglichen es, das im ausgehenden 18. Jahrhundert abgebrochene Tor in Teilen zu untersuchen. Bisher haben die Untersuchungen bereits gezeigt, dass die Domburg von Beginn an in diesem Bereich ein Tor besessen haben wird, da die ansonsten im Verlauf der alten Befestigung zu greifenden Gräben bei den derzeitigen Baggerarbeiten nicht auftraten.
Münster, 26.4.2021
Johannes Müller-Kissing
Oktober 2020:
Die ältesten Handorfer
Im Fundmagazin beschäftigen wir nun schon seit einer Weile mit der Bearbeitung mehrerer Urnen, welche im Zuge der Verlegung einer Wasserleitungstrasse in Handorf in den Jahren 2017/2018 geborgen wurden. Sie gehören zu einem großen bronze- und eisenzeitlichen Gräberfeld, welches schon bei älteren Grabungen der Stadtarchäologie berührt wurde. Die Epoche der Bronzezeit umfasst in Mitteleuropa etwa den Zeitraum von 2200 bis 800 v. Chr. Bei den Toten aus dieser Zeit handelt es sich der damaligen Sitte entsprechend um Brandbestattungen. Nach der Einäscherung wurden die Knochenreste vom Scheiterhaufen aufgelesen und meistens in einem Keramikgefäß unter die Erde gebracht.
Die Urnen mit den darin enthaltenen Bestattungen stellen einen sehr komplexen und empfindlichen Befund dar, der unter den Bedingungen im Feld während der Ausgrabung nicht vollumfänglich dokumentiert werden kann. Sie kamen daher als sogenannte Blockbergungen eingegipst ins Fundmagazin.
Hier geht es uns nun vor allem darum, die erhaltenen Knochenreste vorsichtig zu entnehmen und die Gefäße zu stabilisieren.
Theoretisch können bronzezeitliche Urnen auch durchaus interessante Grabbeigaben enthalten. Dabei handelt es sich oft um kleine Gefäße, die zu den Knochen in die Urne gelegt wurden. Gelegentlich können aber auch Bronzeartefakte wie Schmuck, Trachtbestandteile oder sogar Waffen dabei sein. In Westfalen ist das eher selten der Fall. Die damaligen Bewohner des Münsterlandes besaßen zwar Bronzeartefakte, sie gelangten aber nur äußerst selten in die Gräber.
Daher beschehrte uns „Urne 8“ vor ein paar Wochen eine wirklich freudige Überraschung. Sie enthielt nicht nur ein Beigefäß, sondern auch unser allererstes Bronzeartefakt! Es handelt sich um eine sogenannte Gewandnadel, mit der man Kleidung wie etwa einen Umhang zusammenstecken konnte.
Sobald die Bearbeitung der Urnen abgeschloßen ist, sollen die geborgenen Knochenreste noch anthropologisch untersucht werden. Selbst aus verbrannten Knochen können im Idealfall noch relativ viele Informationen über die damaligen Menschen gewonnen werden. So werden die von uns bearbeiteten Urnen einen wichtigen Beitrag leisten, unser Bild der bislang ältesten Handorfer weiter zu vervollständigen.
Münster, 19.10.2020
Ute Buschmann
Oktober 2020:
Der geschichtliche Kontext ist bekannt – jetzt kommen die Details
Die Archäologie der Moderne, die mittlerweile fester Bestandteil des archäologischen Kanons ist, bietet die Möglichkeit, Einblicke in den Lebensalltag von Menschen zu erhalten, die uns ansonsten nur aus Briefen, Fotografien und manchmal sogar Filmaufnahmen bekannt sind. Im Gegensatz zu diesen Medien, die immer eine gewisse Intention verfolgen – „Was schreibe ich meiner Familie?“/ „Was soll gefilmt und fotografiert werden?“ – gibt das archäologische Fundmaterial unzensierte Einblicke in die Lebenswelt der Menschen und bereichert so unser Wissen der damaligen Lebenswirklichkeit.
Dieser Grundidee folgend wurde im Rahmen einer Grabung, die einen mittelalterlichen Hof im Fokus hatte, auch eine Flugabwehrstellung des Flugplatzes Handorf aus dem 2. Weltkrieg untersucht. Im Zentrum der Nebenuntersuchung lagen die Reste einer Baracke und mehrere nah gelegene Abfallgruben.
Erste Auswertungen ergaben, dass es sich um eine Stellung für Maschinenkanonen handelte. Aufgabe dieser Schnellfeuerwaffen war es, angreifende Jagdflugzeuge zu bekämpfen. Die Gebäude der Batterie waren im Boden versenkte Baracken, die dadurch vor Splittern und Bordwaffenbeschuss geschützt waren. Stromkabel verbanden die einzelnen Gebäude mit einander, während Funde von Kohlebriketts zeigen, dass die Baracken mit Öfen beheizt wurden.
Die runden, etwa hüft- bis brusttiefen Abfallgruben enthielten viele Gegenstände aus dem Alltag der Soldaten. Tintenfässchen kamen mit am häufigsten im Fundmaterial vor, gefolgt von gesplitterten Flaschen. Die intakten Bier- und Mineralwasserflaschen wurden wie Heute wiederverwendet. Hinzu kamen auffällig viele Behälter für medizinische Produkte, was darauf schließen lässt, dass zumindest ein Teil der Besatzung aus älteren Männern bestand.
Die Versorgung der Stellungen erfolgte vermutlich aufgrund der Lage dicht am Flugplatz von dessen Küche aus. Vereinzelt vorkommende große Suppenknochen zeigen, dass zumindest manchmal auf der Stellung selbst gekocht wurde. Für einen regelmäßigen Kochbetrieb sind es aber zu wenige Funde, weshalb davon ausgegangen werden muss, dass sich einzelne Barackenbelegschaften ihren Speiseplan aufzustocken wussten.
Neben diesen Funden aus dem Alltag der Menschen stachen der Fund einer amerikanischen Atemluftflasche und zweier Erkennungsmarken aus dem Material hervor und gaben direkten Einblick in die Kämpfe um den Flughafen. Die Erkennungsmarken gehörten dem Jagdflieger Leland Martin Stoudt. Die P51 Mustang des 1921 geborenen jungen Mannes aus Pennsylvania wurde am 21.9.1944 direkt über dem Flughafen abgeschossen. Kurz darauf erlag Second Lieutenant Stoudt seinen Verletzungen. Die Besatzung der Batterie muss den Verwundeten in ihre Stellung gebracht haben, andernfalls wären weder seine Atemluftflasche, noch seine Erkennungsmarken dort im Abfall gelandet. Im Zuge der Bergung des Verwundeten müssen ihm die Erkennungsmarken abgenommen worden sein, wenn es auch keine sinnvolle medizinische Erklärung für dieses Vorgehen gibt. In der Folge landeten sie zusammen mit der Atemluftflasche im Abfall, weshalb Leland Stoudt zuerst ein Grab ohne Namen erhielt. Nach seiner Exhumierung und Überführung auf den amerikanischen Soldatenfriedhof in den Ardennen 1946 konnte er durch die US-Army identifiziert werden.
Derzeit wird von Seiten der US-Army versucht, Hinterbliebene ausfindig zu machen.
Münster, 12.10.2020
Johannes Müller-Kissing
Oktober 2020:
Ein mittelalterliches Gehöft in Handorf
Bei den archäologischen Untersuchungen im Vorfeld des Sportplatzbaus an der Hobbeltstraße in Handorf wurde kürzlich eine hochmittelalterliche Hofstelle freigelegt. Sie besteht aus einem fast 30 Meter langen Wohnstallhaus mit einer Breite von fast 10 Metern sowie mehreren Nebengebäuden, sogenannten Heubergen, Speichern und Grubenhäusern. Am Ostrand der Untersuchungsfläche konnte die westliche Längsseite eines zweiten großen Gebäudes mit vergleichbaren Ausmaßen erfasst werden. Ob die Gebäude zeitgleich standen oder aufeinander folgten, kann zum jetzigen Zeitpunkt der Untersuchung noch nicht gesagt werden.
Grubenhäuser waren kleinere Gebäude, die zum Teil in den Boden eingetieft waren und in der Regel zu handwerklichen Zwecken genutzt wurden, beispielsweise zum Weben oder Schmieden. Aus wenigen Befunden konnten Reste von Eisenschlacken geborgen werden, die auf Metallverarbeitung innerhalb der Siedlung hindeuten.
Die Speicher und Heubergen waren gestelzte Bauten mit einem erhöhten Boden, in denen Vorräte eingelagert waren. Durch den hohen Boden waren sie vor Feuchtigkeit und Tierfraß geschützt.
Die Hofstelle wurde von zwei flachen Gräben umfasst, welche etwa Nord-Süd verlaufen und nach Osten umbiegen. Im Süden befand sich nach jetziger Interpretation eine Art Durchlass, also eine Unterbrechung des Grabens, durch den man die Hofstelle betreten oder befahren konnte. Es zeichnen sich Fahrspuren ab, die von den Karren zeugen, die von den Bewohnern des mittelalterlichen Hofes benutzt wurden. Von Nord nach Süd erstreckt sich das begrenzte Areal über knapp 80 Meter, von West nach Ost konnten etwa 40 Meter ergraben werden. Nach Osten erstreckt sich die Hofstelle sicherlich weiter, kann aber aufgrund der angrenzenden Lützowstraße nicht weiterverfolgt werden.
Die Umfassungsgräben dieses mittelalterlichen Siedlungsplatzes hatten keine Verteidigungsfunktion, sondern dienten dazu, das Vieh fernzuhalten.
Das bisher geborgene Fundmaterial datiert die Anlage in das 10. bis 12. Jahrhundert. Größtenteils handelt es sich dabei um handgemachte Gebrauchskeramik, die in der Siedlung selbst hergestellt wurde. Vereinzelt findet sich jedoch auch importierte Keramik aus den großen Produktionsstätten im Rheinland, z. B. sogenannte Pingsdorfer Ware.
Münster, 1.10.2020
Gordon Leonhard und Jan Markus
September 2020:
Neuzeitliche Befestigungsanlagen im Leitungsgraben am Schlossplatz
Im Zuge der Verlegung einer Fernwärmeleitung auf dem Schlossplatz wurden von Mitarbeitern der Stadtarchäologie Münster neue Erkenntnisse zur Ausgestaltung der neuzeitlichen Befestigungsanlage im Westen der Stadt gewonnen. Unmittelbar östlich neben dem heutigen Verlauf der Promenade konnten zwei Mauerreste dokumentiert werden, die sich anhand der historischen Stadtansichten und der bisherigen stadtgeschichtlichen Forschungen eindeutig der Außenanlage des Liebfrauentores zuordnen lassen. Die Anlage wurde im Mittelalter und der Neuzeit mehrfach umgestaltet und ausgebaut. Die Niederlegung der gesamten Toranlage erfolgte nach der Belagerung der Stadt durch Fürstbischof von Galen im Vorfeld der Errichtung der Zitadelle 1661-1662, um ein freies Schussfeld von der Festung auf die Stadt zu schaffen.
Bei den nun entdeckten Mauerresten handelt es sich um die seitlichen Wangen eines Zugangs am Liebfrauentor, der in der letzten Ausbauphase der Anlage zwischen 1597 und 1600 errichtet wurde. Beide Mauern wiesen eine Breite von 1,60m auf und waren als zweischaliges Mauerwerk mit einer Mauerfüllung ausgeführt. Die äußere Schale war als Bruchsteinmauerwerk, die innere Schale des Durchgangs als Ziegelmauerwerk in Binder-Läuferlage gefertigt. Die Mauerfüllung bestand aus halbierten und kleiner fragmentierten Mauerziegeln. Zwischen beiden Mauern war eine massive Auffüllung feststellbar, auf der eine beim Abbruch der Anlage entfernte Pflasterung aufgelegen haben wird. Innerhalb der Auffüllung war knapp vor der nördlichen Mauer ein verfülltes Pfostenloch feststellbar, dass wahrscheinlich einem im Alerdnickplan von 1636 verzeichneten Gebäude zugeordnet werden kann.
Im weiteren Verlauf der Baumaßnahme ist damit zu rechnen, dass weitere Überreste der Toranlage im östlichen Bereich des Schlossplatzes freigelegt und dokumentiert werden können. Dies bietet eine der seltenen Gelegenheiten die fast ausschließlich durch historische Stadtansichten überlieferte Ausgestaltung der Stadtbefestigung archäologisch zu überprüfen.
Münster, 23.9.2020
Peter Hessel
Juli 2020:
Bombenalarm der etwas anderen Art
Unter den frisch angelieferten Funden einer aktuellen Grabung an der Neubrückenstraße im Martiniviertel befinden sich mehrere große und auffällig massive Eisenklumpen. Der Ausgräber, Jan Hendrik Vermehren, hatte mich darauf hingewiesen, dass er hier die Reste einer vielleicht etwas älteren Granate vermutete. Im bereinigten Zustand wurden dann die Dimensionen deutlich. An einigen Stellen ist nun trotz der Korrosion die ursprüngliche Form erkennbar.
Wir haben sieben größere und einige kleinere Fragmente eines massiven, runden Eisenobjekts. Es hatte vermutlich etwa die Größe eines Fußballs, war innen hohl und hatte eine Wandstärke von 4cm. Allein eines der Stücke wiegt schon gute 6kg. Es sah so aus, als hätten wir das reale Vorbild der klassischen „Cartoon-Bombe“ gefunden!
Spannend war dann die Frage ihres Alters. Weltkriegsmunition wäre zwar interessant, aber nicht unbedingt spektakulär. Eine kurze Recherche ergab die erhoffte Antwort: Es dürfte sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die Reste einer großen Mörsergranate aus dem 17. oder 18. Jahrhundert handeln!
Für das Martiniviertel sind mehrere ältere Kampfhandlungen historisch überliefert. Bezüglich des Ursprungs unserer Granate kommen zwei Ereignisse in Frage.
Während des Siebenjährigen Krieges wurde Münster mehrfach belagert und erobert. Den schwersten Schaden erlitt die Stadt im Jahr 1759 als das Martiniviertel nach schweren Bombardierungen vollständig abbrannte.
Möglich wären aber auch die Belagerungen durch den Fürstbischof Christoph Bernhard von Galen in den Jahren 1657 und 1660. Der kriegerische Landesherr wollte die unabhängige Stadt wieder unter seine direkte Kontrolle bringen. Dabei war Münster nicht das einzige Opfer. Den Niederländern etwa ist von Galen als „Bommen Berend“ (Bombenbernhard) noch immer ein Begriff.
Aus archäologischer Sicht ist hier wichtig, dass wir nicht nur ein interessantes Objekt in der Hand haben, sondern dass durch die Ausgrabung wahrscheinlich auch der Einschlagsort der Bombe erfasst werden konnte. So können sich historische Überlieferung und archäologische Arbeit sinnvoll ergänzen.
Münster, 17.7.2020
Ute Buschmann
Juni 2020:
Mit der Schlange spielen – ein ungewöhnlicher Spielstein aus Münster
Bereits vor dem ersten Spatenstich der Ausgrabung an der Neubrückenstraße 56-58 kam direkt an der Oberfläche ein äußerst interessantes Fundstück zutage: ein Spielstein des 15./16. Jahrhunderts. Das Objekt stammt aus der obersten Erdschicht, einer großflächigen neuzeitlichen Auffüllung, die im Zuge einer Neugestaltung des Geländes zwischen Neubrückenstraße und Stiftsherrengasse angelegt wurde.
Der aus Knochen (Bein) gefertigte etwa 5 cm große Spielstein ist in der Form wohl bisher ohne Parallele und wirft allerleih Rätsel auf. Zunächst das mit einfachen Mitteln eingeritzte bzw. eingeschnittene Motiv. Im ungereinigten Zustand erinnerte die Darstellung fast an eine Teufelsfratze mit Hörnern, da auch nicht klar war, wie man den Stein drehen musste, um die Abbildung richtig zu sehen. Aber nun erkennt man eindeutig einen Taustab (Stab mit T-förmigem Ende), um den sich eine Schlange wickelt. Es ist nach Vergleichen mit historischen Darstellungen die sog. „Eherne Schlage“ aus einer Geschichte in der Bibel. Moses sollte zum Schutz vor Schlangenbissen eine eherne (aus Erz gefertigte) Schlange errichten. Unten sieht man die Spitzen von zwei Zelten des Zeltlagers der reisenden Israeliten.
Fraglich war auch die Datierung des Fundes. Das Motiv, das eine Vorwegnahme der Kreuzigung Jesu war, kommt im Mittelalter auf Glasfenstern und in der Buchmalerei vor, aber vor allem in der Reformation auf Gemälden, Münzen und Kacheln eben oft in Zusammenhang mit der Kreuzigung.
Der Spielstein gehört auch nicht in den Bereich der meist aus Elfenbein oder Knochen hergestellten reliefförmigen salischen Spielsteine des 12./13. Jahrhunderts sondern scheint deutlich jünger zu sein. Ein in der Technik vergleichbares Stück mit einem einfachen eingeritzten Motiv stammt aus den Niederlanden und wird an das Ende des 15. oder den Anfang des 16. Jahrhunderts datiert. Aus dieser Zeit scheint auch der Neufund von der Neubrückenstraße zu stammen.
Aus dieser Epoche gibt es kaum noch solche einfachen Spielsteine aus Knochen, da man damals begann diese aus Holz zu schnitzten oder später Holz-Brettsteine mit Prägestempeln figürlich zu verzieren. Das Fundstück ist daher ein Bindeglied zwischen den mittelalterlichen und den neuzeitlichen Typen. Gespielt wurden damit vermutlich Backgammon oder Trick-Track.
Münster, 10.6.2020
Bernd Thier, Stadtmuseum Münster
Jan Markus, Stadtarchäologie Münster
Juni 2020:
Spannende Befunde an der Feldstiege in Nienberge
Im Mai 2020 haben Mitarbeiter der Stadtarchäologie Münster Bauarbeiten auf dem Gelände des Hofes Leising begleitet, der saniert und auch in den Außenbereichen neu gestaltet wird. Die von einem breiten Wassergraben umgebene Hofstelle, die bis 1930 den Namen Schulze Hannasch trug, hat eine lange Geschichte, welche sich in den Schriftquellen sicher bis in das 11. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Insofern war damit zu rechnen, dass archäologische Funde und Befunde beim jetzt anstehenden Umbau der Scheune zu einem Mehrparteienhaus auftreten würden.
Die Scheune liegt im östlichen Teil der Hofanlage, neben dem im 18. Jahrhundert errichteten Torhaus und über der in diesem Abschnitt 1909 zugeschütteten Gräfte, deren genaue Entstehungszeit wir nicht kennen. Der älteste Plan des Hofes, der zur Gründungsausstattung des adeligen Damenstiftes St. Marien-Überwasser gehörte und bei dem sich auch eine Kapelle oder Kirche befunden haben soll, ist von 1827 und zeigt die Hofstelle in ihrer letzten Ausbauphase. Davon wie der Hof im Mittelalter ausgesehen hat, haben wir bislang keine Kenntnis, spätestens in der beginnenden Neuzeit lag er wahrscheinlich auf einer von einem Wassergraben umgebenen Insel, die weniger als halb so groß war wie die heutige Insel, die so erst in den 20er Jahren des 19. Jahrhundert entstanden ist.
Als im Zuge der ersten Bauarbeiten in der Scheune der moderne Fußboden entfernt wurde, zeichnete sich schnell ab, dass die Mitarbeiter der Stadtarchäologie fündig werden würden. Im hellen Sand waren zahlreiche dunkle Verfärbungen zu erkennen, bei denen es sich um mehrere Pfostengruben und einen Graben handelte, auch ein Bruchsteinfundament wurde erfasst, das mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Gebäude des 19. Jahrhunderts gehörte, das im Vorfeld des Scheunenneubaus abgebrochen worden war. Das Fundament bestand offensichtlich aus wiederverwendeten Materialien, die von einem noch älteren Gebäude stammten. Das zeigt, wie sparsam auf dem Land mit Rohstoffen gewirtschaftet wurde.
Über das Alter der Pfostengruben, die zu einem ebenerdigen Fachwerkgebäude gehört haben dürften, gibt eine Tonscherbe Auskunft, die mittelalterlich ist. Das Alter des Grabens, der vermutlich Teil einer frühen Hofeinfassung war, zeigt eine weitere Scherbe an, die in etwa in die gleiche Zeit datiert, vermutlich in das 12./ 13. Jahrhundert. Dass so wenig Fundmaterial geborgen wurde, verwundert nicht: Abfälle wurden im ländlichen Bereich in der Vergangenheit eben auf dem Acker oder dem Misthaufen entsorgt und nicht wie in der Stadt in Abfallgruben, die tief in den Boden eingegraben wurden.
Die Felduntersuchungen in der Scheune sind abgeschlossen. Sie haben gezeigt, dass die mittelalterliche Hofstelle nicht zur Gänze durch die neuzeitliche Überbauung zerstört worden ist. Alle weiteren Bodeneingriffe, die im Zuge der Baumaßnahmen noch stattfinden werden, müssen daher archäologisch begleitet werden. Die Ergebnisse können wir mit Spannung erwarten, denn der Hof Schulze Hannasch gehört wohl mit zu den ältesten mittelalterlichen Hofanlagen in der Umgebung von Münster. Seine Entstehungsgeschichte könnte sogar bis in die Zeit um 900 zurückreichen, wie die Lokalforschung vermutet.
Münster, 17.6.2020
Jan-Hendrik Vermehren
Juni 2020:
Frisch aus der Restaurierungswerkstatt – Ein spannender mittelalterlicher Lederfund von der Bergstraße
Bei Grabungen an der Bergstraße 75 wurden große Mengen an Lederfunden geborgen, unter denen jetzt unerwartet ein interessanter Fund aufgetaucht ist. Die Funde kamen nass und voller Schlamm aus dem Boden und wurden in Fundtüten verpackt. Weder Form noch Zustand der Funde waren von außen erkennbar. Es war also nicht klar, ob und welche Objekte sich in dieser Menge verbergen.
Der ausgewählte Fund wurde zunächst vorsichtig mit Leitungswasser abgespült, stärkere Verschmutzungen mithilfe von Pinseln abgebürstet. Danach erfolgte die Spülung mit demineralisiertem Wasser. Nach dem trocken tupfen konnten die Umrisse der einzelnen größeren Lederfragmente auf Papier umgezeichnet werden, sowie die Nähte und sonstige Herstellungsspuren darauf eingezeichnet. Diese Zeichnungen lesen sich wie ein Schnittmuster und können zur Herstellung eines Duplikats dienen.
Damit das Leder beim Trocknen nicht schrumpft und verhärtet, müssen die Zellen der Organik unterstützt werden, wenn das Wasser aus ihnen entweicht. Dies geschah durch die Konservierung in einem PEG (Polyethylen Glykol)-Bad. Im Anschluss wurden die Fragmente wieder trocken getupft und im Kühlschrank, sowie in der Gefriertruhe herunter gekühlt. Die anschließende Gefriertrocknung ist eine schonende Trocknungsmethode für organische Funde: das enthaltene Wasser geht dabei von gefrorenem in den dampfförmigen Zustand über. So wurden Verwerfungen und Risse im Leder verhindert.
Die Umzeichnungen legten nahe, dass die Fragmente einen vollständigen Schuh ergeben könnten. Deshalb wurde eine Rekonstruktion versucht: Zunächst wurden die vier Teile des Oberleders mit einer Rundnadel aneinandergenäht. Ein Modell des Fußes, aus Ethafoam-Schaum geschnitzt, diente im Schuh eingesetzt zur Stabilisierung. Die Sohle wurde dann von unten an einer Seite ans Oberleder genäht, an der anderen Seite mit Stecknadeln im Fußmodell festgesteckt. Der fertig rekonstruierte Schuh wurde kurzzeitig in erhöhter Luftfeuchtigkeit gelagert, um das Leder wieder geschmeidiger zu machen. Dann wurde der Schuh mit Binden fest am Modell fixiert, sodass er seine ursprüngliche Form beim Trocknen wieder annehmen konnte. Die Binden wurden später wieder entfernt.
Es handelt sich um einen spätmittelalterlichen Lederschuh, der ins 14. Jahrhundert datiert werden kann. Der Schuh hat eine Sohle mit verlängerter Spitze und ein 4-teiliges Oberleder. Der Verschluss hat eine in vier Riemen geteilte Lasche. Die Riemen führen durch Öffnungen auf der anderen Schuhseite und enden in einer Lasche, die dann über den Schuhrist festgezogen wurde und die wahrscheinlich mit einer Schnalle befestigt war. Nahtspuren der Schnalle finden sich noch auf dem Oberleder, eine Schnalle ist nicht erhalten.
Der Schaft hat entlang der Abschlusskante eine überwendliche Naht. Daraus kann geschlossen werden, dass ursprünglich eine Art Dekor den Schaft abgeschlossen hat, der nicht mehr erhalten ist.
An den Falten des Oberleders in seiner originalen Form ist immer noch die Trageweise erkennbar: Die unglaublich schmale Sohle unterstützte nicht den gesamten Fuß wie es heute der Fall ist, sondern das Oberleder wurde an seinen Rändern breitgetreten. Diese Art findet sich in vielen Schuhen und war anscheinend nicht unüblich für die Zeit.
Eine weitere Besonderheit ist, dass bei diesem Schuh die Fleischseite des Leders außen liegt (Wildleder) und nicht wie bei den meisten Schuhen die Narbenseite. Dieser schöne Schuh lässt hoffen, dass sich noch mehr spannende Entdeckungen im diesem Fundmaterial finden lassen.
Münster, 8.6.2020
Dorothea Habel, Restauratorin
LWL-Archäologie für Westfalen
Mai 2020:
Bronze- und eisenzeitliche Siedlungsspuren am neu entstehenden Bürgerbad in Münster-Handorf
Parallel zum Hochbau des Bürgerbades in Münster-Handorf findet seit Anfang April 2020 die letzte von drei archäologischen Untersuchungen statt, die im Vorfeld der Errichtung des neuen Schwimmbades nach den Bestimmungen des Denkmalschutzgesetzes durchgeführt werden mussten. Im August und September 2019 hatte das Team der Stadtarchäologie Münster bereits die Baustraße und von November 2019 bis Januar 2020 den Bereich des eigentlichen Baukörpers untersucht, im Frühjahr stand dann die Trasse für die Versorgungsleitungen und die Erschließungsstraße zur Bearbeitung an.
Dass das Areal zwischen Werse und Ems in vorgeschichtlicher Zeit intensiv genutzt wurde, ist seit langem bekannt. Die großflächigen Untersuchungen, die die Stadtarchäologie Münster seit 2006 in Handorf auch im direkten Umfeld der jetzigen Flächen durchgeführt hat, haben viele Belege dafür erbracht. Siedlungsplätze und Gräberfelder des Endneolithikums, der Bronzezeit und der vorrömischen Eisenzeit lassen sich über ein großes Gebiet verfolgen.
In den Untersuchungsflächen am Bürgerbad, die eine Fläche von insgesamt ca. 4.700 Quadratmeter umfassten, wurde - so viel lässt sich bereits jetzt sagen - der Randbereichs eines Siedlungsareals erfasst, das in der Bronze- und Eisenzeit genutzt wurde. Die meisten der mehr als 700 archäologischen Befunde verteilen sich locker über die Fläche, nach Westen und Südwesten hin nimmt die Befunddichte deutlich ab, was darauf hindeutet, dass sich der Schwerpunkt der Siedlung weiter im Norden und Nordosten der untersuchten Flächen befand.
Die aufgedeckten Siedlungsgruben dienten der Vorratshaltung oder der Entsorgung von Abfällen. Pfostengruben begegnen in großer Zahl. Sie ließen sich zu zwei kleineren Wohngebäuden, durchaus typisch für den eisenzeitlichen Hausbau in Westfalen und den angrenzenden Niederlanden, sowie zu drei Nebengebäuden, sogenannten Vierpfostenspeichern, rekonstruieren. Die Speicher waren gestelzte Bauten, die einen erhöhten Boden besaßen, so dass die eingelagerten Vorräte vor Feuchtigkeit und Tierfraß geschützt war. Eine Wasserschöpfstelle lag ebenfalls im Randbereich der Siedlung und diente zur schnellen Wasserversorgung.
Das geborgene Fundmaterial datiert die Überreste der Siedlung in die Zeitspanne von der Frühbronzezeit bis ans Ende der vorrömischen Eisenzeit, 2.200 v. Chr. bis Christi Geburt. Größtenteils handelt es sich um Fragmente von Gebrauchskeramik. Vertreten sind aber auch Bruchstücke von Koch- und Reibsteinen. Darüber hinaus wurden vereinzelt auch Feuersteinartefakte gefunden, beispielsweise Teile von Klingen und eine filigran gearbeitete Pfeilspitze, die in die Bronzezeit datiert.
Die Ausgrabungen im Bereich des neu entstehenden Bürgerbades in Münster-Handorf liefern einen wichtigen Baustein zum Verständnis der Entstehungs- und frühen Entwicklungsgeschichte der Siedlungslandschaft Dorbaum-Hornheide, die im Münsterland eine besondere Stellung einnimmt.
Münster, 25.5.2020
Simon Stamer
Mai 2020:
UFOs in Coerde!?
Nein, um kleine grüne Männchen geht es hier nicht! „UFO“ nennen Archäologen gerne scherzhaft ein Objekt, mit dem man auf den ersten Blick einfach mal gar nichts anzufangen weiß. Ein „Unerklärliches Fund-Objekt“. Ein solches Objekt soll hier kurz vorgestellt werden.
Bei der Bearbeitung der zahlreichen Funde der letzten Ausgrabung an der Salzstraße (Newsartikel im Dezember) fiel mir ein kleines grünes Glas-Objekt auf. Oben eine kleine Öse, dann eine Stelle an der etwas abgebrochen zu sein schien, ein massiver kurzer Stab, unten eine flache Kugel mit einem kleinen Volant? Was sollte das bitte sein? Ich war ziemlich ratlos.
Glasfunde kommen auf archäologischen Grabungen gelegentlich vor, meist handelt es sich aber um Reste von Fensterglas oder Stücke von Flaschen. Das konnte ich hier jedoch auf jeden Fall ausschließen. Wenn man nicht mehr weiter kommt, ist es gut zu wissen, welchen Kollegen man um Rat fragen kann. Bei seltsamen Objekten ist Dr. Bernd Thier vom Stadtmuseum unsere erste Anlaufstelle. Doch selbst Herr Thier konnte mit meinem Ufo zunächst nichts anfangen! Erst einen Tag später bekam ich eine Antwort von ihm: Es handelte sich um den Griff einer Tischglocke! Ich hatte mir das Objekt quasi falsch herum angesehen. An der Öse war ursprünglich der Klöppel befestigt, dann kam der Mantel aus Glas und oben war schließlich der Griff mit der kleinen Kugel als Knauf.
Tischglöckchen aus Glas gibt es zwar heute noch, sie waren aber bereits Bestandteile von reichem Tafelgeschirr im 18. Jahrhunderts. Damit passt das Objekt auch wieder gut in den Befund aus dem es stammt, einem gemauerten Abfallschacht voll mit Resten eines eben solchen Geschirrs! Dabei sind unter anderem farbig bemalte Keramikteller und Schüsseln, Teile eines Teeservices aus feinem asiatischem Import-Porzellan und verschiedenste Trinkgläser. Auch vom Essen selbst fanden sich Spuren in Form von mehreren hundert Austernschalen sowie einer auffällig großen Menge an Kleintierknochen. Dabei dürfte es sich vor allem um Geflügel gehandelt haben. Hier könnte aber eine weitere Analyse noch interessante Ergebnisse produzieren.
Weiterführender Link:
Eine vergleichbare, vollständige Tischglocke im Rijksmuseum Amsterdam.
Münster, 12.5.2020
Ute Buschmann
Mai 2020:
Mitten in der Stadt – Ausgrabungen am Syndikatplatz
Im Bereich des heutigen Syndikatplatzes, dessen Name sich vom nahe gelegenen Amtssitz des städtischen, für die Rechtsgeschäfte zuständigen Syndikus ableitet, werden zurzeit diverse Versorgungsleitungen im Auftrag der Stadtwerke verlegt. Die 2019 begonnenen Arbeiten wurden nach der Winterpause im März 2020 wieder aufgenommen und werden vermutlich Ende Mai abgeschlossen sein.
Wie üblich und auch im letzten Jahr geschehen werden die zugehörigen Aushubarbeiten durch die Stadtarchäologie Münster begleitet, da auch im Rahmen des Leitungsbaus wichtige Erkenntnisse für die Geschichte von Münster gewonnen werden können. Aufgrund der großen Breite von 2,0 m des Leitungsgrabens und seiner Lage waren hier umfangreichere archäologische Untersuchungen notwendig. So befinden wir uns im historischen Stadtkern von Münster und im nördlichen Randbereich des ehemaligen Judenviertels. Dieses existierte hier seit dem 12. Jahrhundert, aber schon 1350 wurden die Juden im Rahmen der Pestpogrome vertrieben. Weil durch nachkriegszeitliche, archäologisch nicht untersuchte Neubauten vieles unwiderruflich zerstört wurde, gilt es, die noch vorhandenen Überreste zu dokumentieren.
Bisher erwies sich die archäologische Begleitung als Glücksfall, weil viele Bereiche ungestört waren und sich so viele Befunde wie Mauern, Gruben und Schichten erhalten haben. Es wurden vor allem viele Bodenschichten ergraben, die neben Tierknochen zahlreiche Scherben des 10. bis 13. Jahrhunderts aufwiesen. Enthaltender Brandschutt (Holzkohle, verziegelter Lehm) lässt auf nahe gelegene Brände schließen, die es früher häufiger gab. Einzelne Pfostengruben, Gruben und eine Feuerstelle sind eindeutige Siedlungsspuren in diesem Areal, die in die gleiche Zeit gehören. In dem 1,50 Meter tiefen Leitungsgraben hat sich zuunterst häufiger eine hellsandige Schicht erhalten, die vielleicht bereits in der römischen Kaiserzeit entstanden ist.
In dem in diesem Jahr untersuchten Abschnitt wurden im Vergleich zum Vorjahr besonders viele archäologische Befunde aus dem Zeitraum zwischen 1700 und 1900 entdeckt. Dabei handelt es sich häufiger um in Hinterhöfen und Gartenbereichen gelegene Abfallgruben, dessen organische Verfüllungen sich zum Teil als braune Streifen im Boden abzeichnen, aber auch um komplexe Mauerstrukturen, die von veränderten Nutzungen und zahlreichen Umbaumaßnahmen einzelner Gebäude zeugen. Viele dieser Mauern finden sich nicht in den historischen Karten. Dies zeigt noch einmal, dass die historischen Karten den Archäologen nur ergänzende Hilfe leisten können und dass Ausgrabungen der baubedingt wenigen ungestörten Flächen notwendig sind, um das Bild von Münsters Stadtgeschichte zu ergänzen und gegeben falls zu korrigieren.
Münster, 7.5.2020
Holger Jakobi