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Öffentlicher Raum
Straßennamen als öffentliche Ehrungen
Seit 1875 wurden in Münster Straßen verstärkt nach Persönlichkeiten benannt. In der Frühphase kam diese Ehre vor allem Adeligen und Militärs, ehemaligen Fürstbischöfen oder Oberpräsidenten der Provinz Westfalen zu. Nach dem Ersten Weltkrieg traten Kriegshelden und Generäle auf die Straßenschilder. Auch die Nationalsozialisten erkannten, dass hinter Straßenbenennungen politische Aussagen stehen können: Sie benannten allein im heutigen Stadtbezirk Mitte 66 Straßen nach NS-Führern, Legenden im Sinne ihrer Ideologie oder handfesten Forderungen, wie eindrücklich der Straßenname „Danziger Freiheit“ (Umbenennungsbeschluss 2021) belegte.
In Sinne der staatlichen Kolonialpolitik des Kaiserreichs hätte eine Ehrung von Militärs, Handelsleuten oder Beamten aus kolonialen Kontexten bis 1918 kaum überrascht. Die Mehrheit der Straßennamen mit entsprechendem Bezug stammt jedoch aus der Zeit nach 1918, in der es keine deutschen Kolonien mehr gab. So empfahl der Städtetag bereits 1921 auf Ansinnen der Deutschen Kolonialgesellschaft, Straßen nach Kolonialhelden zu benennen. Dieser Impuls blieb in Münster allerdings ohne Folgen. Erst die nationalsozialistischen Stadtoberhäupter griffen die Vorschläge auf.
Geschichte des Lüderitz- und Woermannwegs
Als kleine Stichstraßen liegen in Gremmendorf der Woermann- und Lüderitzweg zwischen den Bahngleisen und dem Angelmodder Weg, von dem sie abzweigen. Aus heutiger Sicht besteht über die rassistische Gesinnung und eine aggressive kolonialistische Haltung der beiden Kolonialunternehmer kein Zweifel. In einem Verwaltungsakt nannte der nationalsozialistische Oberbürgermeister Albert Hillebrand im November 1938 mit Zustimmung des Polizeipräsidenten 38 Straßen in Münster um. Dazu gehörten auch zwei kleine Stichstraßen des Angelmodder Wegs, dessen Namen sie bis dahin auch trugen.
Die neuen Namensgeber, Adolf Lüderitz und Adolph Woermann, stellte das Adressbuch der Stadt Münster 1941/42 den Bürgerinnen und Bürgern vor. Für den Lüderitzweg steht dort: "Bekannter Kolonialpolitiker (1834-1886), Gründer der ersten deutschen Südwestafrika-Kolonie", und für den Woermannweg: "Mitbegründer der Woermann-Linie, welche den deutschen Ostafrikadienst betreibt; erwarb das Mündungsgebiet d. Kamerunflusses als deutschen Kolonialbesitz."
Adolph Woermann und Adolf Lüderitz
Adolph Woermann (1847-1911) war ein Hamburger Übersee-Kaufmann, Reeder und Kolonialist, der mit seinem politischen Engagement für die Einrichtung der deutschen Schutzgebiete in Übersee sorgte. Das brachte seiner Familie große Gewinne ein, da ihre Rederei den Schiffsverkehr nach Deutsch-Südwestafrika und Deutsch-Ostafrika dominierte. Zur Durchsetzung seiner wirtschaftlichen Interessen und kolonialistischen Positionen betrieb er aktiv Politik, u. a. als Berater des Reichskanzlers Bismarck ab 1883. Unter mindestens fragwürdigen Bedingungen ließ er seinem Unternehmen die Souveränität, Gesetzesgewalt und Verwaltung weiter Teile des heutigen Staatsgebiets Kameruns übertragen. Die brutale Niederschlagung des Aufstands der Herero und Nama im heutigen Namibia ab 1904 hat er als Reeder logistisch unterstützt und wurde hierfür später mit Millionenzahlungen durch die Reichsregierung entschädigt.
Adolph Lüderitz (1834-1886) war ein deutscher Großkaufmann, der durch fragwürdige Vertragsschließungen im Küstenbereich des heutigen Namibia bereits zu Lebzeiten kontrovers diskutiert wurde. Mit Lüderitz begann die Geschichte Deutsch-Südwestafrikas. Sie führte von eigenmächtiger Landnahme über die Entsendung kaiserlicher Schutztruppen bis zum Völkermord an den Herero und Nama in den Jahren 1904-1908, bei dem ein Großteil der betroffenen Bevölkerungsgruppen ermordet wurde. Als Begründer deutscher Besitzansprüche in Südwestafrika ehrten die deutsche Kolonialgesellschaft, Reichsregierung oder verschiedene Städte ihn nach seinem Tod unter anderem mit Straßennamen. In Bochum oder Berlin sind diese Straße mittlerweile umbenannt worden.
Über die Benennung der beiden Straßen während des Nationalsozialismus 1938 in Münster informiert diese nachbarschaftliche Initiative: www.muenster.org/iuw-ms
Umbenennung der Universität Münster
Im Zusammenhang mit den Debatten um koloniale Belastungen nahmen Studierende, wissenschaftliche Mitarbeitende oder die politischen Gremien der Universität Münster auch den Namen der damaligen Westfälischen Wilhelms-Universität in den Blick. Mit dem Kaiserbesuch 1907 erhielt die Universität ihren umstrittenen Namen. Schon sieben Jahre früher ehrte die Stadt Münster das deutsche Staatsoberhaupt mit der Benennung des Kaiser-Wilhelm-Rings.
Die Regierungszeit Wilhelms II. als letzter Deutscher Kaiser von 1888 bis 1918 fiel zusammen mit der Hochphase des europäischen Kolonialismus. Als oberster Befehlshaber der deutschen Streitkräfte und Staatsoberhaupt trieb Wilhelm II. die Besetzung von Gebieten in Afrika, Südost-Asien und im Südpazifik voran. Die Unterdrückung der lokalen Bevölkerungen durch Missionen, staatliche Kontrolle, eigenmächtiges Handeln wirtschaftlicher Akteure oder durch militärische Gewalt bis hin zum Genozid nahm er wissentlich in Kauf. Ausbeutung und Vernichtung gehörten zum Kern der kaiserlichen Kolonialpolitik.
Wilhelm II. war bereits seinen Mitmenschen als Imperialist und Antisemit bekannt. Gleichzeitig stand er - so eine gängige Annahme - für die Förderung der Wissenschaften und eignete sich zumindest durch letzteres als Namensgeber für die münsterische Universität. Wie weit sein Engagement für die münsterische Universität tatsächlich reichte, wurde im Rahmen der jüngeren Namensdebatte kritisch untersucht. Die kaiserliche "Weltpolitik" fand jedenfalls breite Unterstützung auch in der münsterischen Bevölkerung und Professorenschaft. Mit der Namensänderung wurde die alte Königliche Akademie zu einer vollwertigen Universität erhoben. Die kaiserliche Kolonialpolitik unterstützte die Wilhelms-Universität mit umfangreichen Vorlesungsprogrammen.
Am 5. April 2023 beschloss der Senat, Wilhelm II. aus dem Namen der WWU zu streichen und sie zukünftig nur noch "Universität Münster" zu nennen. Die Änderung trat am 1. Oktober 2023 in Kraft.
Hier informiert die Uni Münster über ihren Namen: www.uni-muenster.de/ZurSacheWWU