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Öffentlicher Raum
Train-Cluster
Seit den 1980er-Jahren bildet das Traindenkmal an der Promenade einen Schwerpunkt kolonialismuskritischen Protests. 1925 weihte der Traditionsverein der Westfälischen Train-Abteilung Nr. 7 im Beisein des Oberbürgermeisters und ranghoher Militärs das Kriegerdenkmal nahe am heutigen Ludgeriplatz ein. Es sollte an 855 im Ersten Weltkrieg gefallene Soldaten erinnern. In der Weimarer Republik galt der Verlust der Kolonien so wie der Versailler Friedensvertrag weithin als Schande. Entsprechend revisionistische Motive sind hinter dem Denkmal und der Neuverlegung der Tafeln zu vermuten.
Anlass zu Kritik an der nicht aufgearbeiteten Kolonialgeschichte der Deutschen boten vor allem zwei Tafeln, die schon früher entstanden waren und vermutlich nachträglich 1928 neben das Train-Denkmal verlegt wurden. Sie erinnern an Soldaten, die bei der Niederschlagung des Boxer-Aufstands in China 1901 beziehungsweise des Vernichtungskriegs gegen die Herero und Nama 1905/06 im heutigen Namibia ums Leben kamen. Nur Freiwillige der Train-Abteilung nahmen an diesen militärischen Aktionen teil, nicht die gesamte Einheit. Diese Einsätze im heutigen Namibia bezeichnete die UNO schon 1948 als Völkermord. Die deutsche Bundesregierung übernahm diese Einschätzung 2015. Denn zwischen 1904 und 1908 trieben die deutschen Kolonialtruppen unter Leitung von Generalleutnant Lothar von Trotha zehntausende Hereros in die wasserlose Wüste Omaheke und nahmen ihre vollständige Vernichtung in Kauf. Dabei starben mehrere zehntausend Hereros. Die konkrete Rolle der dabei zu Tode gekommenen Train-Angehörigen ist nicht bekannt.
Gerade diese steinernen Überreste aus der Kolonialzeit provozieren heute Diskussionen, wie angemessen an die deutsche Verantwortung für koloniale Verbrechen wie den Völkermord der Herero und Nama erinnert werden kann. Die Gedenktafeln für die in Kolonialkriegen getöteten Angehörigen des Train-Bataillons lenken das Augenmerk darüber hinaus auf die Fragen nach den potenziellen Tätern und einer würdevollen Erinnerung an die Opfer deutscher Kolonialherrschaft.
Weitere Informationen zur Geschichte des Train-Denkmals auf der Website "Erinnern im Öffentlichen Raum" des Stadtarchivs
Protest und Ort von Diskussionen bis in die Gegenwart
1982 verhüllte der Arbeitskreis Afrika (AKAFRIK) das Denkmal und machte mit einem Flugblatt auf die inhaltlichen Bezüge der Tafeln zum Völkermord in Namibia aufmerksam. Anschließend erfolgte ein Antrag auf Anbringung einer zusätzlichen Mahntafel. Weil die Stadt diesen ablehnte, überreichte der AKAFRIK der Stadt 1984 kurzerhand eine eigens angefertigte Mahntafel. Die Grünen-Alternative Liste (GAL) unterstützen die Aufstellung, doch es erfolgte eine erneute Absage und Abräumung durch die Stadt. In den Folgejahren sollten vereinzelte Protest- und Erinnerungsaktionen von gesellschaftlichen Initiativen folgen. Erst ab 2009 sorgte die SPD-Fraktion in der Bezirksvertretung Mitte auf Initiative der Friedensbewegungen in Münster für die Anbringung einer kleinen Informationstafel. Nach einem neuerlichen Diskussionsprozess seit 2019 folgt mit einem entsprechenden Beschluss des Rats der Stadt 2022 die Installation einer gut sichtbaren Stele, die den breiten gesellschaftlichen Wandel der Heldenverehrung zum Opferdenken deutlichen Nachdruck verleihen soll.
Die öffentlichen Aktionen am Train-Denkmal werden indessen fortgesetzt. Zuletzt hatte die Werkstatt Gruppe Politik anlässlich des Weltflüchtlingstags am 20. Juni 2021 eine öffentliche Mahnwache am Traindenkmal abgehalten. An einem mit kolonialem Unrecht verbundenen Ort erinnerte die Initiative mit einer „Liste der Toten“, die Namen und Todesursachen enthält, an über 40.000 Menschen, die seit den 1990er-Jahren auf der Flucht nach Europa ihr Leben verloren haben.
Das Westfälische Train-Bataillon Nr. 7 am Dahlweg
Das Denkmal steht nicht zufällig an der Promenade zwischen Stadtmitte und Hammer Straße. Nicht weit entfernt lagen ebenfalls an die Hammer Straße angrenzend seit 1860 auf dem Gelände des heutigen Südparks die Kasernen des Westfälischen Train-Bataillons Nr. 7. Nachdem sie im Zweiten Weltkrieg teilweise beschädigt wurden, erfolgte ab 1970 ihr Abriss. Train-Einheiten waren im Kaiserreich vor allem für Transporte und Versorgung des Militärs zuständig. Dabei organisierte der Train weniger die unmittelbar im Gefecht notwendigen Materialien wie Munition, sondern den Nachschub und die längerfristige Versorgung. Dazu zählten Kriegskassen und die Feldpost oder auch Handwerker wie Schmiede, Sattler, Bäcker. Jedem Armeekorps unterstand ein Trainbataillon. Als Materiallager errichtete das Westfälische Train-Bataillon Nr. 7 um 1910 einen weiteren Komplex zwischen der Habichtshöhe und der Weißenburgstraße, der auch für den Fuhrpark genutzt wurde. Diese später nach Hindenburg benannte Kaserne verlor nach dem Zweiten Weltkrieg ihren militärischen Nutzen. Auf dem Gelände entstand seit den 1990er-Jahren Münsters erste autofreie Siedlung. Die ersten Bewohnerinnen und Bewohner zogen 2001 ein.
Kolonialkrieger in Münster
Die Spuren der in Kolonialkriegen eingesetzten Soldaten ziehen sich durch die Stadtgesellschaft. Verschiedene Vereine pflegten die Erinnerung an die in den Kolonien eingesetzten deutschen Soldaten. Sie beteiligten sich an Kolonialwerbeveranstaltungen oder versuchten in den politischen Raum zu wirken. Auch die Erinnerung an Karl Adami (gefallen 1901 in China), Gustav Durchholz und Otto Chemnitz (beide gefallen in Deutsch-Südwestafrika 1905/06) ging über die Gedenktafeln am Train-Denkmal hinaus. Bis zum Zweiten Weltkrieg erinnerte eine weitere Tafel in der evangelischen Apostelkirche an die drei Soldaten. Sie wurde zum Schutz vor Bombenschäden ausgelagert und ist seitdem nicht wieder aufgetaucht. Solche Gedenktafeln in Kirchen ehrten nicht nur Soldaten, die in Kolonialkriegen ums Leben kamen, und sie finden sich in vielen Städten.
Traditionspflege war eine wichtige Aufgabe des Vereins ehemaliger Kameraden des Train. Auch die Errichtung des Denkmals ging auf seine Initiative zurück. Er hatte sein Vereinslokal in der Nähe des heutigen Ludgeriplatzes in der Ludgeristraße. Daneben gab es zumindest vorübergehend auch einen lokalen Ableger des Vereins ehemaliger Afrika- und Chinakrieger. Die Ortsgruppe Münster gründete sich mit einem öffentlichen Festakt am 20. Juli 1924. Die Adressbücher nennen als regelmäßigen Treffpunkt ein Vereinslokal am Alten Fischmarkt 3. Vermutlich ging der Verein mit seiner münsterischen Ortsgruppe später im Deutschen Kolonialkrieger-Bund auf, der schon ab 1922 die verschiedenen kleineren Kolonial-Organisationen des militärischen Bereichs unter einem Dach bündelte. Den größten Zulauf erhielt der Bund während des Zweiten Weltkriegs mit über 12.000 Mitgliedern reichsweit. Bis auf dünne Spuren in Adressbüchern oder Tageszeitungen sind heute jedoch keine Informationen mehr zu Mitgliederstrukturen dieser Organisationen in Münster zu finden.
Kolonialfest der Afrikakrieger
Eine große Veranstaltung dieser Vereinigungen war das Kolonialfest der Afrikakrieger, das am 17. Juni 1926 im Garten des Casinos des Generalkommandos am heutigen Schlossplatz stattfand. Der Frauenbund der deutschen Kolonialgesellschaft und der Verein der ehemaligen Afrika- und Chinakrieger organisierten das Fest. Der Münsterische Anzeiger kündigte kurz vorher an, die Gäste würden "ganz vergessen, dass sie in Deutschland sind". Laiendarsteller verkleideten sich als "Farmer, Schutztruppler und Schwarze", außerdem sollten "kleine Negerlein mit Elfchen einen Reigen" tanzen, und in Hütten seien eigens für das Fest eingeschiffte Kameruner sowie ein Kamel und ein Zebra zu sehen, wie es in der Pressemeldung hieß. Der Erlös aus Eintrittskarten und Spenden ging an die deutschen Missionsschulen in Südwestafrika.