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Öffentlicher Raum
Veranstaltungen
Viele koloniale Aktivitäten in Münster richteten sich gezielt an die Stadtbevölkerung. Mit Informationen und Unterhaltung versuchen Vereine, geistliche Orden oder Kameradschaften für ihre kolonialen Interessen zu werben. Neugier und Fernweh trafen dabei auf handfeste politische oder wirtschaftliche Interessen. Schon seit den ersten Überseefahrten im 16. Jahrhundert versuchten Europäer in ihrer Heimat mit Präsenten und Präsentationen für ihre Vorhaben zu werben. Über alle Regionen und alle politischen Zäsuren hinweg finden sich solche den Kolonialismus verklärenden oder gar zurückfordernden Veranstaltungen.
Der Zoologische Garten als exotisches Phantasiereich
Als äußerst beliebter Rückzugs- und Freizeitort brachte der Zoologische Garten Münsters Bevölkerung seit 1875 diese entfernten Welten nahe. Dem wissenschaftlichen Anspruch seiner Gründer um Hermann Landois folgend sollte die heimische Tierwelt lebendig und umfassend präsentiert werden. Die bauliche Gestaltung, die Werbestrategien und die tatsächliche Ausstattung mit Tieren aus allen Erdteilen vermittelten hingegen ein Bild, das Fernweh nach und Neugier auf exotische Welten weckte. Profitdenken, Bildungsansprüche und Unterhaltungskonzepte dürften sich bei den Verantwortlichen miteinander vermischt haben.
Öffentliche Annoncen warben mit Elefanten, Kamelen, Krokodilen oder Löwen. Die Käfige und Gebäude wiesen nicht nur Bezüge zu kolonialen Baustilen auf, sondern sollten ein Abtauchen in ferne Phantasiewelten ermöglichen. So war das Kamelhaus im chinesischen Stil erbaut worden und zur eigenwilligen Gestaltung des Elefantenhauses hieß es im Jahresbericht der zoologischen Sektion von 1899: „So bekommen die Besucher unseres Elefantenhauses - was pädagogisch auch nicht zu unterschätzen ist - ein ansehnliches Bild einer orientalischen Moschee.“
Diese Kulisse machte den Zoo zu einem geeigneten Veranstaltungsort für Kolonialausstellungen und Völkerschauen, indem er den Menschen der Stadt Münster einen suggestiven Kontakt zu der Kultur und den Menschen in den deutschen Kolonien anbot.
Kolonialausstellungen
Offensichtlich mit wirtschaftlichen Interessen verbunden waren Kolonialausstellungen. Anders als bei Völkerschauen wurden bei diesen Veranstaltungen selten Menschen gezeigt. Sie dienten vielmehr der Werbung für deutsche Kolonialvorhaben, oder sie sollten wie auf einer Messe neue Produkte aus Übersee anpreisen. Neben Verkaufszwecken sahen manche Veranstalter auch einen Unterhaltungs- und Bildungsauftrag. Gleichwohl bedienten die Kolonialausstellungen rassistische Klischees, verstärkten europäische Überlegenheitsgefühle und werteten die Kulturen anderer Weltregionen ab. Mindestens 50 solcher Ausstellungen lassen sich für die Zeit zwischen 1890 und 1940 im Deutschen Reich belegen. In Münster fanden nachweislich zwei Kolonialausstellungen statt.
Im zoologischen Garten öffnete die Deutsche Kolonialgesellschaft eine entsprechende Ausstellung, um auch bei denjenigen Menschen Interesse zu wecken, „die sich bisher unseren Kolonial-Unternehmungen abgeneigt gezeigt haben“, wie es in der Eröffnungsrede am 16. Juli 1897 hieß. Der damalige Oberpräsident, Conrad Studt, war bei der feierlichen Eröffnung genauso anwesend wie Zoodirektor Hermann Landois. Inspiration für die Schau in Münster bot vermutlich die große Kolonialausstellung in Berlin 1896, die kurz zuvor über zwei Millionen Menschen angezogen hatte. Am Eingang begrüßte die Besucher ein klares Bekenntnis: „Dem deutschen Geiste, dem deutschen Fleiß - geben die Völker die Ehre - Wenn deutsche Kraft die Neider zwingt - Sind unser - Länder und Meere.“
Präsentiert wurden Tiergeweihe aus Afrika, Waffen, das „Zelt eines Forschungsreisenden“ in einer Dschungelumgebung, Schiffsmodelle und die ethnologische Sammlung von Otto Finsch aus Delmenhorst, die er im Bismarck-Archipel und in Neuguinea erwarb. Auch Fotografien illustrierten das Leben der „Einheimischen“ in den Kolonien. Begleitend zur Ausstellung warben Händler in den münsterischen Tageszeitungen für entsprechende Schnitzereien, Lederschmuck, Pflanzen oder Lebensmittel.
Eine weitere Kolonialausstellung eröffnete Oberbürgermeister Georg Sperlich mit einer Begrüßungsrede am 18. Oktober 1926:
"... Diese Ausstellung in ihrer Reichhaltigkeit, in ihrer Übersichtlichkeit, gibt ein klares Bild davon, welcher Leistungen deutsche Tatkraft in den deutschen Kolonien fähig war. Sie gibt zugleich ein Bild von dem schweren Verlust, den die deutsche Volkswirtschaft durch den Raum der Kolonien als wichtigster Rohstoffgebiete erlitten hat. Möge sie dazu beitragen, die in der Bevölkerung der Stadt Münster schon weithin verbreitete Überzeugung zu festigen und in immer weitere Kreise zu tragen, dass ... die Verwaltung der deutschen Kolonien und die Arbeit unserer Kolonialdeutschen wertvollste Kulturarbeit waren und dass je eher je besser für das deutsche Volk nicht nur, sondern ebenso für die Kolonialvölker und schließlich die gesamte Weltwirtschaft das Unrecht von Versailles wiedergutgemacht und dem deutschen Volke sein Kolonialbesitz wiedergegebenen werden solle."
(Stadtarchiv, Nachlass Sperlich, Nr. 12)
Kolonialfeste
Die Kolonialveranstaltungen der Deutschen Kolonialgesellschaft hatten vor allem Mitgliederwerbung und Propaganda zum Ziel. Gänzlich im Dienst der nationalsozialistischen Ideologie organisierte die Münsteraner Abteilung des Frauenbunds der Deutschen Kolonialgesellschaft am 16. Februar 1935 ein „Kolonialfest“ im Hauptbahnhof. Ein großer Funkmast mit „Richtstrahler nach Afrika“ sendete Radiobeiträge und Werbung für „die Erhaltung des Deutschtums und die deutschen Schulen in Afrika“. Vordergründig richtete sich der Strahler in die alten Kolonialgebiete, tatsächlich aber adressierte er die Bevölkerung Münsters. Solche Feiern waren keine Seltenheit; auch die NSDAP-Ortsgruppe Münster hielt 1934 ein ähnliches Fest ab.
Abendgesellschaft des Zoologischen Gartens
Zur Finanzierung des 1875 eröffneten Zoos gründete Hermann Landois die „Abendgesellschaft des Zoologischen Gartens“ (AZG). Mit Veranstaltungen versuchten sie Geld für den Zoo zu erwirtschaften. Die ehrenamtlichen Laiendarsteller führten selbst geschriebene Theaterstücke und Gedichte auf. Alle Charaktere, auch weibliche, wurden von Männern gespielt und es wurde plattdeutsch gesprochen. In den Aufführungen verarbeitete die AZG Legenden und Erzählungen aus dem Münsterland, griff nach seinem Tod 1905 die Mythen um den Zoogründer Hermann Landois auf oder arbeitete sich an westfälischen Stereotypen ab. Den Neubau des Wildschweingeheges etwa finanzierte die Abendgesellschaft mit einem Stück über Münsters Wiedertäufergeschichte.
Beliebt waren auch die Karnevalsfeiern mit entsprechenden Possen, die die AZG traditionell an den Wochenenden vor Rosenmontag selbst aufführte. Dass bei diesen Aufführungen rassistische und koloniale Stereotype aufgegriffen wurden, ist kein Einzelfall. Überall fanden sich bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts abwertende Darstellungen von schwarzen Menschen, die von weißen Europäern im Karneval als „Eingeborene“ gespielt wurden. Auch aus Münster sind zahlreiche solche Inszenierungen bekannt, die in der NS-Zeit eine neue Dimension annahmen.
Das Drama um "King Bell"
Ein Beispiel, wie bereits zur Zeit der deutschen Kolonien das Geschehen in den europäisch besetzten Gebieten Afrikas verarbeitet wurde, ist das Theaterstück "King Bell". Im Nachlass der AZG im Stadtarchiv ist das Drehbuch überliefert: "King Bell, oder: Die Münsteraner in Afrika" griff im Januar 1886 die Geschichte des Königs der Duala in Kamerum zur deutschen Kolonialzeit als "große Scandal- und Colonialposse" auf. Vorurteile kannibalischer Stammeshäuptlinge und exotischer weiblicher Schönheiten wie auch skurriler Kolonialherren finden sich im Text wie in den Illustrationen zum Drehbuch. Ende des 19. Jahrhunderts waren im deutschrachigen Raum verschiedene rassistische oder satirische Darstellungen King Bells verbreitet. Berühmt wurde ein so genanntes Kongolied, das vermutlich auf Hermann Landois und das Stück "King Bell" zurückgeht:
König Aqwa und King Bell
Sagten unlängst: 'Very well',
Schenkten für sechs Pullen Rum
Uns ihr ganzes Königtum.
Diesem Theaterstück folgte ein bemerkenswertes Ereignis. Ein Mitglied der deutschen Kolonialverwaltung in Kamerun sendete im Jahr 1888 eine ganze "Karawane" lebender Tiere nach Münster. Nach einem Zwischenhalt im Zoologischen Garten in Hamburg kamen sie mit einigen Verlusten in Münster an. Laut Landois habe der kamerunische König "King Bell" mit den Tieren aus seinem persönlichen Hausstand der AZG für das Theaterstück danken wollen, das ihm in Münster gewidmet worden war. Ob es sich hierbei um eine der vielen von Landois bewusst gestreuten Legenden handelt, oder ob diese Verbindung von Münster in die westafrikanische Kolonie tatsächlich bestand, bleibt dahingestellt. Zumindest zeigt sie, wie auch in der westfälischen Provinz die koloniale Weltpolitik wahrgenommen und verarbeitet wurde.
Traditionspflege nach 1945: Afrika-Korps-Treffen in Münster
Im September 1960 trafen sich in der Halle Münsterland tausende ehemaligen Wehrmachtsoldaten des Afrika-Korps und deren Angehörige. Eingeladen hatte der "Verband Deutsches Afrika-Korps", auch ehemalige Kriegsgegner aus den britischen und französischen Armeen kamen nach Münster oder sendeten zumindest Grußbotschaften. Im Kalten Krieg stand die Verständigung mit den militärischen Partnern über den ehemaligen Frontverläufen. Auch waren sich die Beteiligten einig, auf nordafrikanischem Boden einen "sauberen" Krieg geführt zu haben.
Neben dem Austausch von Erinnerungen und Kontakten standen Spendenaufrufe im Mittelpunkt der Veranstaltung. Für die Gräberpflege in Afrika oder Unterstützung des "Rommel-Sozialwerks" wurde gesammelt. Dieses versuchte Kindern zu helfen, deren Väter während des Afrikafeldzugs gefallen waren.
Die nationalsozialistische Propaganda stilisierte Generalleutnant Erwin Rommel zu einem erfolgreichen Kriegshelden. Dieses Image verlor durch die Kapitulation der deutschen Armee 1943 in Afrika nicht an Strahlkraft. Der Mythos wirkte bis weit in die Bundesrepublik. Als Ehrengäste waren der Regierungspräsident und der Oberbürgermeister zum Treffen 1960 geladen. Die Witwe des ehemaligen Generalleutnants Erwin Rommel, Lucie-Maria Rommel, wurde von beiden im Friedenssaal empfangen, bevor sie vor den Anwesenden in der Halle Münsterland sprach.