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Öffentlicher Raum
Ketteler-Cluster
In den Diskussionen um koloniale Spuren in Münster seit den 1980er-Jahren blieb das Ketteler-Denkmal im südlichen Teil des Schlossgartens bemerkenswert unbeachtet. Dabei gibt es wenige Erinnerungszeichen, die so eng mit der Hochphase der deutschen Kolonialpolitik verflochten sind. Das 1903 eingeweihte Denkmal steht in unmittelbaren Bezug zur Niederschlagung der so genannten Boxer in China, die ab 1901 gegen die europäischen Besatzer kämpften. Über das Denkmal hinaus finden sich mit einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof und einer Straßenbenennung im Kreuzviertel weitere Formen der öffentlichen Erinnerung an einen der Protagonisten dieses Kolonialkriegs: Freiherr Clemens August von Ketteler hatte seine familiären Wurzeln im Münsterland. Seine Ermordung als Gesandter des Kaisers in Beijing (Peking) löste einen deutschen Rachefeldzug gegen die chinesische Bevölkerung aus.
Ein Münsteraner im kolonialen China: Freiherr Clemens August von Ketteler
Bis zur Jahrhundertwende hatte die Reichsregierung unter Kaiser Wilhelm II. die deutschen Kolonialbesetzungen massiv ausgebaut. Auf die Gewalt und Ausbeutung durch Deutsche reagierten Einheimische zunehmend mit Aufständen. Um seinen Machtanspruch in China durchzusetzen, sandte Wilhelm II. wie andere europäische Oberhäupter bewaffnete Expeditionen in die Region. In der chinesischen Bevölkerung formierte sich breiter und aggressiver Widerstand gegen die Imperialisten und Missionare aus Europa, den USA und Japan. Die Lage spitzte sich zu, als 1900 die so genannten Boxer zusammen mit der chinesischen Armee das Botschaftsviertel in Beijing (Peking) belagerten, in dem sich unter anderem europäische Diplomaten, Soldaten oder auch chinesische Christen verschanzt hatten.
Als der Diplomat und deutsche Minister Clemens von Ketteler ohne militärischen Begleitschutz nur in einer Sänfte getragen den chinesischen Kaiser aufsuchen wollte, wurde er am 20. Juni 1900 von Widerstandskämpfern ermordet. Diese Tat veranlasste Kaiser Wilhelm II. zu einem Rachefeldzug. Er entsandte mehrere tausend Soldaten nach China und verabschiedete sie in Bremerhaven mit der berüchtigten Hunnenrede, in der er rücksichtsloses Vorgehen gegen die Chinesen forderte. Das so genannte Expeditionskorps befreite nicht nur die Gesandten, sondern verbreitete Terror, tötete mehrere tausend Zivilisten und plünderte Peking.
Clemens August von Ketteler stammte aus einer alten Adelsfamilie im Münsterland. Er besuchte unter anderem das Gymnasium Paulinum in Münster, trat nach dem Abitur ins Militär und später in den diplomatischen Dienst ein. Mit 45 Jahren wurde er 1899 zum deutschen Gesandten in Beijing (Peking) ernannt.
Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof
Nach seiner Ermordung wurde von Kettelers Leichnam zunächst provisorisch auf dem deutschen Botschaftsgelände bestattet. Erst 1902 fand die Überführung nach Münster statt. Neben dem Grab an sich ist auf dem Zentralfriedhof am 23. September 1902 ein zusätzliches "Grabdenkmal" aufgestellt worden, wie die zeitgenössische Presse das Marmorkreuz des Bildhauers Anton Rüller nannte. Der Sockel trug die Inschrift "Hier ruht Clemens Freiherr v. Ketteler, kaiserlich deutscher Gesandter, gefallen zu Peking, China, 20. Juni 1900 im 47. Lebensjahr. R.I.P." Heute erinnert eine Platte mit ähnlichem Text an den im Dienst getöteten Diplomaten.
Ein Denkmal in Münster und eins in Beijing
Nach der Niederschlagung des Widerstandes gehörte es zu den Auflagen an die Chinesen, Ketteler in China ein "Sühnedenkmal" zu errichten. Die Einweihung dieses Tor-Denkmals in Beijing (Peking) fand am 19. Januar 1903 statt. Nach Ende des Ersten Weltkriegs wurde das Ketteler-Tor unter anderem Namen wieder aufgebaut.
In seiner Heimatstadt Münster weihten auf Initiative der Mutter des Getöteten hochrangige Vertreter des westfälischen Adels, der regionalen Behörden und der Universität im Schlossgarten am 25. Oktober 1903 ein weiteres Denkmal ein. Sogar der Kaiser war in die Denkmalsplanungen involviert. Zunächst plante ein eigens gegründetes "Komitee zur Errichtung eines Ehrengrabes für Clemens von Ketteler" ein monumentales Grabmal in der Nähe des Zentralfriedhofs. Als Ort für solch ein Ehrengrab fand sich schließlich eine Halbinsel im kaiserlichen Schlossgarten. 1902 gab der Kaiser die Erlaubnis, den Entwurf eines überdimensionalen Ehrengrabs des Berliner Architekten Hermann Hiddings zu realisieren. Zur Finanzierung sammelte das Komitee für den "Märtyrer" der deutschen Kolonialpolitik Spenden.
Erst 1903 wurden die Stadt Münster und der Regierungspräsident in die Denkmalplanungen einbezogen. Der Plan Hiddings war aus finanziellen Gründen und auf Wunsch der Mutter des Verstorbenen mehrfach überarbeitet worden. Schließlich kam mit Zustimmung der Behörden und des Kaisers ein stark reduzierter Entwurf zur Ausführung. Seit Oktober 1903 steht im Schlossgarten ein Obelisk mit Bronzereliefs, auf denen das Motiv des Gemäldes "Völker Europas, wahrt eure heiligsten Güter" von Hermann Knackfuß aus dem Jahr 1895 dargestellt wurde: In der Auftragsarbeit Kaiser Wilhelms II. rief Erzengel Michael umgeben von allegorisch für die europäischen Nationen stehenden Kriegerinnen zum Kampf gegen die "gelbe Gefahr" auf.
Heute ist das Ehrenmal nur noch teilweise vorhanden: Die Metallplatten an den Seiten entfernten die Nationalsozialisten 1942 als eine "Metallspende" im Rahmen der Kriegsführung.
Weitere Informationen zum Denkmal auf der
Website "Erinnern im öffentlichen Raum" des Stadtarchivs
Eine Straße für den Diplomaten
Mit Ehrengrab und Denkmal sollte die öffentliche Erinnerung an Clemens von Ketteler nicht enden. Noch am 7. Dezember 1903 beschloss die Stadtverordnetenversammlung, einer Straße im noch jungen Kreuzviertel den Namen "Ketteler" zu geben. Ebenfalls 1903 wurden mit der Melchersstraße und der Raesfeldstraße sowie bereits 1898 mit der Ferdinand- und der Hoyastraße vier benachbarte Straßen nach ehemaligen Bischöfen mit Geburtsort oder Tätigkeiten in Münster benannt. Es ist nicht auszuschließen, dass die Kettelerstraße dementsprechend auch nach Wilhelm Ketteler, Bischof von Münster 1553 bis 1557, benannt ist. In diesem Fall bestünde zwischen der Benennung der Straße und den Denkmalseinweihungen für Clemens von Ketteler nur ein zufälliger zeitlicher Zusammenhang. Die entsprechenden Akten der Stadtverordnetenversammlung und der Straßenkommission lassen hierüber keine eindeutige Aussage zu. Ausdrücklich betonte der Rat der Stadt jedoch seit 1900 seine Verbundenheit zum getöteten Diplomaten. Noch 1906 erklärten die Stadtverordneten, die entsprechenden Straßen seien nach "Männern benannt, welche sich um das Wohl der Stadt besonders verdient gemacht haben oder deren Namen zu der Stadt Münster in besonderer Beziehung stehen." Zudem hatten die Verordneten schon 1900 nicht nur ihre Solidarität mit der Mutter des getöteten Soldaten erklärt, sondern auch ihre Spendenbereitschaft für verletzte deutsche Soldaten in China betont.