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Öffentlicher Raum
Kriegsgefangenenlager Rennbahn
Wenige Wochen nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs entstand in Münster eines der größten Kriegsgefangenenlager Nordwestdeutschlands. Bei Kriegsende waren in den drei Lagern I (Haus Spital), II (Alte Rennbahn) und III (Infanterie-Kaserne an der Kinderhauser Straße/Grevener Straße) rund 90.000 Gefangene gemeldet. Die meisten waren in Arbeitskommandos in der Industrie oder Landwirtschaft im Münsterland eingesetzt. Im Lager II auf dem Gelände der ehemaligen Rennbahn im Süden Münsters setzte sich die Belegschaft vor allem aus Soldaten aus Frankreich, Russland, Belgien, Italien, Serbien, England und Portugal zusammen. Weniger als ein Prozent der über 8.000 Lagerinsassen waren Offiziere. Unter ihnen befanden sich auch Kolonialsoldaten der Kriegsgegner Deutschlands, vor allem Frankreich, Großbritanniens und Belgiens. Besonders diese Menschen aus entlegenen Erdteilen zogen in Münster die Neugierde der Bevölkerung und die Aufmerksamkeit von Fotografen auf sich.
Koloniale Welten hinter Stacheldraht
Anfänglich waren die ersten Gefangenen bei Haus Spital in Notlagern untergebracht worden. Bereits 1914 wurden dann die Baracken auf der Alten Rennbahn als Arbeitsmaßnahme errichtet und von den Kriegsgefangenen bezogen. Bereits diese Arbeitsmaßnahmen begleitete Münsters Bevölkerung mit Neugier, aber auch Beleidigungen sind überliefert. Besonders das Lager Rennbahn entwickelte sich in den folgenden vier Jahren zu einem beliebten Ausflugsziel, um die Fremden zu sehen, von denen die Kriegspropaganda berichtete. Wie in anderen deutschen Kriegsgefangenenlagern entstanden auch in Münster zahlreiche Fotografien von Gefangenen in den Lagern Spital und Rennbahn. Die Soldaten aus den europäischen Kolonien in Afrika und Asien galten vielen Deutschen als Beleg für das durch die deutsche Kriegspropaganda geschürte Bild der „Kulturschande“ der alliierten Kriegsgegner. Aber nicht nur als Bedrohung nahmen Einheimische die Gefangenen wahr. Die Stadtbevölkerung war auch fasziniert von den Fremden. Die Besucher am Lagerzaun versuchten sich einen Überblick über die verschiedenen Völkergruppen zu verschaffen und mit ihnen zu kommunizieren. Damit knüpfte der Lagertourismus an die noch jungen Wissenschaften der Anthropologie und Ethnologie an, die die Menschen der Welt nach Kategorien wie Kultur, Rasse und Stammeszugehörigkeit zu klassifizieren suchten. Forderte das Aufsichtspersonal von den Kriegsgefangenen, sich „authentisch“ zu zeigen, erinnert das an die Völkerschauen im Alten Zoo, die zu dieser Zeit immer noch Konjunktur hatten.
Fotos von Kolonialsoldaten in Münsters Lagern
Nicht nur die Privatleute machten bei ihren Ausflügen an die Lagerzäune Fotos von den Insassen. Auch professionelle Berufsfotografen oder der erste hauptamtliche Stadtarchiv Münsters, Eduard Schulte, hielten die Kriegsgefangenen in Bildern fest. Diese sind bis heute in der Kriegschronik im Stadtarchiv überliefert. Auch in deutschlandweit vermarktete Bildbände fanden Motive aus Münster Einzug. Auf manchen dieser Fotografien sind Soldaten aus französischen und englischen Kolonien rassistisch-abwertend dargestellt. Die Aussageabsicht solcher sorgfältig inszenierten Bilder war eindeutig: Der Rückgriff der Kriegsgegner auf Soldaten aus Kolonien galt als unangebracht, da er der Kriegsführung des zivilisierten Westens widerspräche. Exotische Sensationsgier mischten sich zudem mit der rassistischen Abwertung der dargestellten Soldaten. Umso schwieriger war es für viele Deutsche, nach 1918 die Kriegsniederlage zu akzeptieren. Für viele Deutsche blieben diese Bilder oder Kontakte am Lagerzaun die einzigen Begegnungen mit Menschen aus Kolonien. Die dabei verfestigten Vorurteile blieben haften.