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Funde
Ein ungewöhnlicher Schlüsselhalter des 15./16. Jahrhunderts aus Münster
Die Auswertung der Grabungsergebnisse und die Bearbeitung des meist sehr umfangreichen Fundmaterials bei mehrjährigen archäologischen Untersuchungen braucht ihre Zeit. Erst 2021 wurde unter den Funden der bereits 2016 durchgeführten Ausgrabung an der Jüdefelderstraße ein interessantes und ungewöhnliches kleines Buntmetallobjekt entdeckt, das nachfolgend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden soll.
Das Brautpaar am Haken
Das nur wenige Zentimeter große, aus gegossenem Messing bestehende Objekt hat die Form von zwei stilisierten Personen. Das lange Kleid der rechten Figur und das kurze Wams in Kombination mit einer langen Hose bei der linken lassen erahnen, dass es sich um ein Paar handelt, das eng zusammensteht und sich scheinbar auch umarmt. Gesicht und Haare sowie Teile der Oberkörper wurden nach dem Gießvorgang, der vermutlich in einer zweiteiligen Form aus Stein oder Keramik erfolgte, mit einer Feile grob nachbearbeitet, sodass zumindest zu erahnen ist, dass es sich um eine Frau und einen Mann handeln soll. Zwischen beiden Figuren wurde etwa auf Hüfthöhe eine ovale Bohrung angebracht. Auf der Rückseite, die ebenfalls stark nachbearbeitet wurde, ist ein langer, schmaler, leicht geschwungener Haken erkennbar, der über das Fußende der Figuren hinausgeht. Unter dem Paar ist eine schmale runde Hülse mitgegossen worden, die durch Kerben verziert wurde. Es scheint so, als ob dort etwas fehlt.
Vergleichsfunde
Sucht man nach Vergleichsfunden zu diesem Objekt, um dessen Funktion, Herkunft und Datierung zu bestimmen, wird man weder in Münster noch in ganz Westfalen fündig. Die einschlägige Literatur liefert nur wenige ähnlich gestaltete Gegenstände, die meist als spätgotische Schlüsselhaken, Schlüsselringhalter, Schlüsselhalter, Schlüsselbundhaken, Gürtelhaken oder figürliche Gürtelklemmen bezeichnet werden. Aus Mitteleuropa sind bisher erst etwa 50 bis 60 Exemplare dieser Haken in Menschengestalt bekannt, die bei Ausgrabungen zutage traten oder sich in alten kunstgewerblichen Museumssammlungen befinden. Auch bei ihnen dürfte es sich mehrheitlich um ehemalige Bodenfunde handeln.
Diese Haken oder Klemmen lassen sich in zwei große Gruppen unterteilen: (Liebes-)Paare von sich umarmenden (tanzenden?) Männern und Frauen sowie einzelne Männer, die den Betrachter anschauen und in häufigen Fällen ihre Hände in die Hüften stemmen. Aufgrund der Fundumstände sowie Untersuchungen zu den teilweise deutlich detaillierter dargestellten Kleidungsbestandteilen werden sie meist in die zweite Hälfte des 15. oder die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts datiert. Dies dürfte auch für den Fund aus Münster gelten.
In der Fachliteratur wird meist Nürnberg als Herstellungsort vermutet, denn dort gab es eine florierende und auf den Export orientierte Messingfabrikation durch sogenannte „Blechschläger“ und „Gelbgießer“, die u. a. Fingerhüte, Rechenpfennige, Münzwagen, Gewichtssätze, Messingdrähte, „Flitter“ (Zierbelche), Musikinstrumente oder Zapfhähne in großen Stückzahlen für den internationalen Markt produzierten.
Frühe Massenproduktion
Von den Haken mit der Darstellung eines Paares sind bisher über 30 Stücke bekannt. Man kann trotz der heutigen Seltenheit dennoch von einer damaligen Massenproduktion sprechen. Ein fast identisches Exemplar wurde vor wenigen Jahren im Johanniskloster in Stralsund gefunden, das sicherlich aus der gleichen Werkstatt stammt wie der Fund aus Münster. Weitere ähnliche Haken stammen z. B. auch aus Rostock, vom Gleichberg in Thüringen oder befinden sich in der Sammlung des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg.
Die meisten dieser figürlichen Haken wurden bisher in den östlichen Bundesländern gefunden. Entweder waren sie im Westen u. a. in Westfalen damals nicht so begehrt oder sie gelangten vornehmlich nach Osten, sodass sie hier nicht erworben werden konnten.
Aufgrund besser bzw. vollständig erhaltener Exemplare wissen wir, dass durch die unten quer zu den Figuren verlaufende hülsenartige Öffnung eine am Ende schraubbare Achse befestigt war, an der wiederum beweglich ein meist ovaler Bügel hing, wie in ähnlicher Form noch heute bei manchen Schlüsselringen oder Schlüsselanhängern. Dies führte auch zu der Interpretation, dass solche Haken an kräftigen Ledergürteln (angeklemmt) getragen wurden, aber eben auch jederzeit abnehmbar waren. Am Bügel konnten Schlüssel oder aber auch Beutel oder kleine Taschen aus Stoff bzw. Leder befestigt werden. Aus Kupferstichen und Holzschnitten des 15. und 16. Jahrhunderts ist zu sehen, dass Männer und Frauen allerlei Dinge an ihren Gürteln trugen, auch Messer, Essbestecke oder einzelne Löffel.
Theorien zur Entstehungsgeschichte der Schlüsselhaken
Warum gestaltete man damals aber solcher Gürtelhaken in der Form von Männern oder Paaren? Hierzu gibt es verschiedene Theorien, die vielfach auf die sogenannte Schlüsselgewalt der – verheirateten – Hausfrauen anspielen. Unbekannt ist allerdings, ob diese Haken von Männern, von Männern und Frauen oder eben nur von Frauen getragen wurden. Bekannt ist, dass verheiratete Frauen die „Gewalt“ (Verwaltung) über das heimische Haus und den Hof hatten, während sie sonst in der Gesellschaft nur wenige Rechte besaßen. Sie verwahrten demnach auch die Schlüssel zum Haus und – was fast noch wichtiger war – zu den Vorratsräumen, Schränken und Truhen.
Man kann nun weiter spekulieren, dass solche Schlüsselhaken Brautpaare darstellen und die neue Hausfrau solch ein Stück mit den Schlüsseln des Hauses zur Hochzeit – gewissermaßen als Morgengabe – vom Bräutigam oder dessen Mutter, die damit ihre Schlüsselgewalt an die Schwiegertochter weiterreichte, übergeben wurde. Die Haken, die in der Gestalt eines einzelnen Mannes gefertigt wurden, könnten dann vielleicht auch spöttisch anzeigen, dass die Hausfrau nun zu Hause sogar mehr Rechte hatte, als der am Gürtel ironisch getragene Ehemann und sozusagen „die Hosen an hatte“. Der bisher einzige Fund eines solchen Schlüsselhakens in Westfalen regt die Fantasie an: Stammt die Hausfrau, die ihn trug, vielleicht aus dem Osten oder der Ehemann oder die Schwiegermutter oder war es „nur“ ein Mitbringsel von einer Reise dorthin oder ein Geschenk von entfernten Verwandten?
Ob dieser sicherlich nicht kostbare, aber immerhin nützliche Haken damals an der Jüdefelderstraße verloren wurde oder im Rahmen einer Ehestreitigkeit nach der Entfernung der Hausschlüssel entsorgt wurde, entzieht sich unserer Kenntnis.
Text: Bernd Thier
Literaturauswahl
Fiedler, Uwe: Ein 1824 in der Tangermünder Altstadt gefundener figürlicher Schlüsselringhalter. Ein Blick in die früheste Forschungsgeschichte eines Gürtelbestandteils des 15./16. Jahrhunderts. In: 86 Jahresbericht des Altmärkischen Vereins für vaterländische Geschichte zu Salzwedel e.V., 2016, S. 63–83.
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von Philippovich, Eugen: Kuriositäten und Antiquitäten, Braunschweig 1966, hier S. 223–225.
Arkadiusz Michalak / Janowski, Andrzej: Antropomorficzna szlufka z okolic Międzyrzecza. Z badań nad kulturą materialną późnośredniowiecznych mieszkańców pogranicza wielkopolsko-brandenbursko-śląskiego. In: Studia Zachodnie 21, 2019, S. 27–45.