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Keramikfunde
Wenn Scherben Geschichte machen
Keramikfragmente bilden die weitaus größte archäologische Fundgruppe, die es nach Abschluss einer Ausgrabung zu bearbeiten gilt: Nahezu jede Grube oder Schicht, welche die Archäologen im dicht besiedelten Altstadtbereich dokumentieren, enthält mehr oder weniger ausgeprägte Mengen keramischen Materials. Nach dem Ende einer Ausgrabung werden die Scherben gereinigt und gekennzeichnet, sodass ihre Herkunft aus den Befunden innerhalb der Ausgrabung während der weiteren Bearbeitung jederzeit erkennbar ist.
Für die Geschichte der Stadt Münster können aus der Begutachtung des keramischen Fundmaterials wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Da es im Stadtgebiet und im näheren Umfeld keine nennenswerten Tonvorkommen gab, ließen sich hier während des Mittelalters vermutlich keine Töpfereien nieder, die in der Lage waren, den Bedarf der ganzen Stadt zu decken. Töpfe und Becher, Kannen und sonstiges Haushaltsgeschirr mussten also importiert werden. Über den Handel mit Keramik in Münster im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit wissen wir nicht viel; wir nehmen an, dass die Menschen auf dem dreimal jährlich stattfindenden Send-Jahrmarkt die erforderlichen Dinge für Küche und Haushalt erwarben. Die verschiedenen Keramiksorten, die „Warenarten“, geben Aufschluss über ihre Herkunftsregionen, etwa das Rheinland, das südliche Niedersachsen oder das Wesergebiet. Von dort brachten Händler die zerbrechliche Ware zum Verkauf nach Münster.
Keramische Vielfalt durch die Jahrhunderte
Werfen wir einmal einen Blick in unseren Küchenschrank, dann begegnet uns dort eine bunte Vielfalt an Tellern, Tassen und Bechern: Unser Lieblings-Kaffeepott mit dem lustigen Muster, das feine Geschirr von Oma mit dem Goldrand – nicht spülmaschinengeeignet und nur besuchshalber auf dem Tisch – unsere Alltagsteller, Müslischalen, Dessertschälchen und vieles mehr.
Schauen wir einmal genauer hin, so lassen sich technologische Unterschiede ausmachen: Der Kaffeebecher besteht vermutlich aus Steingut, das erst Mitte des 18. Jahrhunderts erfunden wurde, das feine Geschirr aus Porzellan, der Bierhumpen aus schwerem grauem Westerwälder Steinzeug und die hübsche buntbemalte Obstschale aus rotem, porösem und leichterem Material – der Irdenware. All diese Keramikarten stellen jedoch auch Entwicklungsstufen dar, die unsere Gebrauchskeramik über Jahrhunderte hinweg durchlaufen hat.
Keramik als Datierungshilfe
Jede Epoche unserer Geschichte brachte typische Gefäße oder Gegenstände aus Keramik hervor, deren Reste sich im Boden erhalten. Werden sie von den Archäologen gefunden, liefern sie aufgrund ihres Aussehens und ihrer technologischen Beschaffenheit Anhaltspunkte auf das Alter eines Befundes, also zum Beispiel einer Schicht, Mauer oder Grube. Aber auch die Zusammensetzung der verschiedenen Keramiktypen innerhalb eines Befundes ist aufschlussreich: Genau wie heute gab es auch in den vergangenen Epochen der Geschichte teure, wertvolle und weniger wertvolle Gefäße oder Gegenstände aus Keramik. Ein Beispiel für die Vielfalt der sogenannten keramischem „Warenarten“, wie sie in der Fachsprache bezeichnet werden, bildet ein Gefäßensemble, das bei Ausgrabungen an der Südseite der Landbergschen Kurie in der Pferdegasse (heute Geo-Museum) im Jahr 2011 gefunden wurde. Die Fundstelle gehörte allerdings ursprünglich zu den Parzellen Johannisstraße 34–36. Aus einer Abfallgrube wurden verschiedene Gefäße des 16./17. Jahrhunderts geborgen: Sie sind vorwiegend aus Irdenware hergestellt, jedoch entsprechend ihrem jeweiligen Verwendungszweck unterschiedlich verziert und glasiert. Darunter befanden sich ein kleiner, innen glasierter Grapen (dreibeiniger Kochtopf), ein größerer Koch- oder Vorratstopf, ein bemalter Teller der sogenannten „Werraware“, vier Salbentöpfchen, drei von ihnen aus Steinzeug, und eines mit weißer Grundierung (Engobe) und blauer Bemalung, das als „Arnstädter Fayence“ bezeichnet wird, und das Fragment eines Bartmannskruges aus Steinzeug, vermutlich aus dem rheinländischen Frechen.
Wie können die Archäologen die unterschiedlichen Keramikarten nun für die Datierung und Interpretation der Ausgrabungsbefunde nutzen? Die Antwort darauf ist einfach: Indem sie jedes Fragment genau anschauen und den bekannten Warenarten, deren Herkunft und Datierung bekannt sind, zuordnen. Mit dem folgenden Überblick möchten wir einige charakteristische Erscheinungsformen unserer Keramikfunde vorstellen.
Vorgeschichtliche Keramik: Handarbeit für Feuer und Vorrat
Äußerst unscheinbar, dickwandig und in verschiedenen Schattierungen von Schwarz, Braun und Grau kommen die vorgeschichtlichen Keramikarten aus Irdenware daher. Meistens handelt es sich um Kochtöpfe, die am offenen Herdfeuer standen oder darüber aufgehängt wurden, oder auch um große Vorratsgefäße zur Aufbewahrung von Getreide und anderen Lebensmitteln sowie vereinzelt um Trinkgefäße. Für die Urnenbestattungen in der Bronzezeit wurden auch Gefäße hergestellt, in denen die Asche Verstorbener beigesetzt wurde.
Sie alle wurden mit der Hand geformt, gelegentlich mit den Fingern oder einfachen Werkzeugen verziert und anschließend im offenen Feldbrand oder in einfachen Ofenanlagen gebrannt. Diese Gefäße waren jedoch weder wasserdicht noch über einen längeren Zeitraum haltbar. Vermutlich gab es auf jedem größeren Hof oder in jeder Siedlung Bewohner, die sie neben ihrer landwirtschaftlichen Arbeit herstellten. Die Archäologen finden sie in Münster in den Befunden der Eisenzeit, der römischen Kaiserzeit und des frühen Mittelalters.
Erfindungsreichtum im Mittelalter
Die Suche nach dichter und länger haltbarer Keramik führte im Verlauf des Früh- und Hochmittelalters zu einer technologischen Entwicklung, bei der mit höheren Brenntemperaturen und geeigneteren Tonen, schließlich auch mit der Töpferscheibe gearbeitet wurde. Regionen mit natürlichen Vorkommen entsprechend hochwertiger Tonerden, wie etwa das Rheinland, konnten ihre Erzeugnisse in großen Mengen herstellen. Die Fernhändler verkauften sie schließlich in ganz Europa. Die ockerfarbenen Gefäße aus dem Rheinland waren jedoch nicht als Kochgefäße, sondern nur als Trink- und Schankgefäße geeignet, so dass die örtlichen Töpferinnen und Töpfer weiterhin ihre einfache grauschwarze Keramik herstellten. Auch dabei fand im hohen Mittelalter eine Entwicklung zu höher gebrannten und scheibengedrehten Gefäßen statt.
Ab etwa 1300 war das wasserdichte, glatte und später dekorativ verzierte Steinzeug auf nahezu jedem Tisch zu finden, während Kochtöpfe nach wie vor aus Irdenware oder – in den begüterten Häusern – nun aus Bronze gefertigt wurden. Der maßgebliche Herstellungsort für mittelalterliches Steinzeug, das in unserer Region verwendet wurde, war vor Allem Siegburg.
Typisch für das Steinzeug des Spätmittelalters und der Renaissance sind die Verzierungen durch Reliefauflagen. Sie wurden mit Modeln hergestellt, in die man den noch feuchten Ton hineindrückte. Die Vielfalt der Motive war groß: Wappen, Muster oder ganze Szenen, die aus der Druckkunst entnommen wurden, Sprüche oder Masken zierten die Trinkgefäße und Kannen. Farblose Salzglasur sorgte für zusätzlichen Glanz und der Ascheanflug während des Brandes für die charakteristische Braunfärbung einzelner Gefäßbereiche.
Steinzeug der Frühen Neuzeit
Auch in der Frühen Neuzeit war Keramik aus Steinzeug für Trink- und Schankgefäße nach wie vor beliebt. Nachdem der Töpferort Siegburg im Dreißigjährigen Krieg zerstört worden war, wanderten viele Töpferfamilien von dort in den Westerwald. In der Region um Höhr-Grenzhausen entstanden in großer Zahl neue Steinzeugtöpfereien. Ihre Produkte, nun aus grauem Ton, ähnelten zwar anfänglich dem Siegburger Steinzeug, jedoch entwickelten die Töpferwerkstätten im Verlauf des 17. Jahrhunderts eigenständige Formen und Designs. Auch in den Bereichen Küche und Vorratshaltung fanden sich mehr Steinzeuggefäße wie Schmalz- und Buttertöpfe, Vorratstöpfe und -flaschen, und seit dem 18. Jahrhundert Mineralwasserflaschen.
Wasser aus heilkräftigen Quellen war bereits in der Antike begehrt, jedoch reiste man im Rahmen einer Kur zum jeweiligen Quellort und widmete sich dort der Gesundheitspflege. Mit den dichten und gut verschließbaren Steinzeugflaschen bot sich nun die Möglichkeit, das begehrte Heilwasser auch zuhause zu genießen. Vor Allem im 19. Jahrhundert florierte das Geschäft der Mineralbrunnenbetreiber mit dem Export von Heilwässern. Die Preise für das Mineralwasser waren jedoch hoch, sodass es nur die begüterten Menschen kaufen konnten.
Es wird bunt: Irdenware-Keramik der Frühen Neuzeit
Einfaches Haushaltsgeschirr wie z. B. Teller, Schalen, Rührschüsseln oder Durchschläge bestand bis weit in die Neuzeit hinein aus der preisgünstigen Irdenware. Auch sie wurde zunehmend verziert: mit bunten Bemalungen aus flüssigem Ton. Mit diesem Tonschlicker wurden mithilfe eines „Malhorns“, ein Kuhhorn mit eingesetzter Spitze, die Gefäße bemalt. Bei einigen Warenarten wurde das Gefäß zuvor noch vollständig mit einem roten oder weißen Überzug (Engobe) aus feinem flüssigem Ton versehen. Neben der Art des Keramikscherbens – helle oder rote Irdenware in den unterschiedlichsten Schattierungen – gibt auch die Art der Bemalungen Aufschluss über die Herkunft und das Alter der Gefäße: Muster, figürliche Szenen oder Sprüche, aber auch Datierungen und Widmungen. Herstellungsorte lassen sich so eingrenzen und werden auch als Bezeichnung für die jeweilige Warenart verwendet, wie etwa „Weserware“ oder „Werraware“.
Sehr beliebt als Kopie des seltenen und teuren Porzellans aus China waren Gefäße aus heller Irdenware, die mit einer undurchsichtigen weißen Zinnglasur und blauer Bemalung versehen wurden. Diese als „Fayence“ bezeichneten Gefäße stammten zum großen Teil aus Töpfereien in den Niederlanden, etwa aus Delft, Makkum und Amsterdam, oder aus dem thüringischen Arnstadt. Dort wurden auch Apotheker- und Salbgefäße hergestellt, wie etwa das kleine Gefäß aus dem 18. Jahrhundert von der Pferdegasse.
Porzellan
Das 18. Jahrhundert, das Zeitalter von Barock und Aufklärung, war geprägt von technischen Innovationen und Erfindungen. Durch den Fernhandel waren bereits seit dem 16. Jahrhundert feine Porzellangefäße aus Asien, vor allem aus China nach Europa gelangt. Die Nachfrage nach diesen Luxusgefäßen war groß, und so lag es nahe, auch in Europa Porzellan zu produzieren. Nach langen Versuchen gelang es ab 1710, das begehrte „weiße Gold“ nun auch im Deutschen Reich herzustellen. Es eroberte rasch die Haushalte der Adligen und begüterten Bürger als feines Tischgeschirr oder in Form von Skulpturen, Uhrgehäusen, Tafelaufsätzen oder anderem Zierrat. Durch die im 19. Jahrhundert einsetzende Massenproduktion in großen Manufakturen wurde das Porzellan erschwinglich und fand sich nun in jedem Haushalt – bis heute.
Steingut
Als preisgünstige Alternative zu Porzellan wurde in England im frühen 18. Jahrhundert das Steingut erfunden. Es erfreute sich großer Beliebtheit in den bürgerlichen Haushalten und wurde im 19. Jahrhundert gerne in Pastellfarben mit weißen Reliefauflagen in Mustern oder Motiven aus der klassischen Antike gekauft. Die Verwendungsmöglichkeiten von Steingut sind vielfältig und reichen von Tisch- über Küchengeschirr bis zu technischer Keramik wie z. B. Wandfliesen. Noch heute ist es in Form des „Kaffeepotts“ in unseren Haushalten allgegenwärtig.
Literatur zu Funden von Gefäßkeramik aus Münster
Austermann, Mathias (2008): Zur Genese eines Stadtquartiers. Mittelalterliche Funde und Befunde an der Stubengasse In: In: Stephan Winkler, Die Stadt Münster: Ausgrabungen an der Stubengasse (1997–1999). Denkmalpflege und Forschung in Westfalen-Lippe, Band 41.1. Mainz 2008, S. 33-64.
Austermann, Mathias (2013): Die Stadt Münster. Ausgrabungen an der Pfarrkirche Liebfrauen-Überwasser. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 41/2, Darmstadt 2013.
Austermann, Mathias (im Druck): Die Stadt Münster. Ausgrabungen an der Königsstraße. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Bd. 41/3 (im Druck).
Austermann, Mathias (2019): An der Nordostseite der ältesten Stadt Münster. Die Grabungen am Drubbel 2002/2003. In: Ausgrabungen und Funde in Westfalen-Lippe 14, 2018/2019, S. 213–399, 3 Beilagen.
Thier, Bernd (2005): Spuren des Alltagslebens in Mimigernaford – Archäologische Funde zur frühen Stadtgeschichte Münsters aus dem 9. bis 12. Jahrhundert. In: G. Isenberg/B. Rommé (Hg.), 805: Liudger wird Bischof. Spuren eines Heiligen zwischen York, Rom und Münster. Mainz 2005, S. 255–264.
Thier, Bernd (2007): „Des Schomaker Ampts Kroese to Munster“. Siegburger Steinzeuggefäße für Gilden und Bruderschaften aus Münster: Archäologische Funde im Spiegel von Inventarverzeichnissen des 16. und 17. Jahrhunderts. In: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit 18, 2007, S. 107–116.
Thier, Bernd (2008): Aus Brunnen, Gräbern und Kloaken. Ausgewählte neuzeitliche Funde von den Ausgrabungen an der Stubengasse in Münster 1997–1999, In: Stephan Winkler, Die Stadt Münster: Ausgrabungen an der Stubengasse (1997–1999). Denkmalpflege und Forschung in Westfalen-Lippe, Band 41.1. Mainz 2008, S. 109–138.
Thier, Bernd (2011): Das Fundmaterial im Bereich des Domherrenfriedhofs (mit Beiträgen von Claudia Holze-Thier, Peter Ilisch, Uwe Lobbedey und Jürgen Pape), in: M. Schneider / C. Holze-Thier / B. Thier, Der Dom zu Münster. Die Ausgrabungen auf dem Domherrenfriedhof von 1987 bis 1989. Die Stiftskirche „Alter Dom“ und die Bestattungen im Dombereich, Teil 3. Denkmalpflege und Forschung in Westfalen Band 26/5.3. Mainz 2011, 583–697.
Thier, Bernd (2013): Gesundheitstrinken auf den Fürstbischof? Siegburger Krüge mit Wappenauflagen aus Münster. In: Archäologie in Westfalen-Lippe 2012, Langenweißbach 2013, S. 146–149.
Thier, Bernd (2015): Das Wappen des Königs – eine Kachel auf den (Wieder-)Täufer Jan van Leiden. In: Archäologie in Westfalen-Lippe 2014, Langenweißbach 2015, S. 158–161.
Thier, Bernd (2017): Heraldik auf Keramik – Ein Wappenbecher aus Siegburger Steinzeug des Heinrich Droste zu Vischering aus Münster. In: D. Brandherm: Memento dierum antiquorum … Festschrift für Majolie Lenerz-de Wilde zum 70. Geburtstag (Archaeologia Atlantica Monograhiae I). Hagen 2017, S. 255–265.