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Funde
Die Skulpturenfunde im Fundament der „Roten Mauer“ am Dom
Im Zusammenhang mit der Renovierung des Doms kamen im Oktober 2012 unter dem Pflaster des Domplatzes die Fundamente der aus Ziegelsteinen bestehenden „Roten Mauer“ zum Vorschein, die der Barockarchitekt Johann Conrad Schlaun 1750/1751 zwischen dem Paradiesportal und dem Ostquerhaus errichtet hatte.
Die Fundamente erwiesen sich als archäologischer Glücksfall: Sie waren durchsetzt mit Spolien, also wiederverwendeten Werkstücken aus älteren Bauten, darunter elf Fragmente einer bemerkenswerten Skulpturengruppe aus Baumberger Sandstein. Alle Figuren, die langhaarige Männer darstellen, waren beschädigt, teilweise auch zerborsten. Aus den vorhandenen Resten konnte auf insgesamt sieben verschiedene Skulpturen geschlossen werden.
Biblische Gestalten
Die meisten Figuren sind in lange, in kunstvolle Falten gelegte Gewänder gehüllt, die an antike Darstellungen erinnern. Zwei von ihnen sind als Krieger dargestellt und tragen Brustpanzer.
Zwei Kopftypen lassen sich unterscheiden, von denen der eine einen älteren Mann darstellt, vollbärtig mit einem geteilten Kinnbart, während der andere jünger und bartlos ist. Auf den erhaltenen Köpfen der Figuren befinden sich Kapitelle, die sie als Atlanten (männliche Tragefiguren) ausweisen. Es kann rekonstruiert werden, dass jede ursprünglich ihren rechten Arm auf einen großen Schild stützte, auf dem eine lateinische Inschrift zu lesen war: Bibelsprüche aus dem Alten und dem Neuen Testament, die sich auf das Leben Jesu oder die Verkündigung seines Wirkens beziehen. Die Figuren können als Propheten oder biblische Gestalten gedeutet werden, die auf die neutestamentliche Heilsgeschichte hinweisen.
Die Proportionierung der Figuren und ihre bildhauerische Ausführung sind von erlesener Qualität. Sie entstanden vermutlich in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts, der Zeit der Spätrenaissance. Tragefiguren waren zu dieser Zeit ein beliebtes Element in der Bildhauerei und treten zum Beispiel bei der Gestaltung von Grabmälern in Kirchen oder an Gebäudefassaden auf. Vielleicht gehörten sie ursprünglich zu einem überlieferten Altar im Westchor des Doms, der zugleich Grabdenkmal des Weihbischofs Johannes Kridt (gest.1577) war. Der Überlieferung nach war dieser Altar mit zahlreichen figürlichen Darstellungen aus Baumberger Sandstein versehen, jedoch ist es letztlich nur eine Vermutung, dass die sieben Figuren dort eingebaut waren.
Mit der barocken Neugestaltung des Doms ab dem ausgehenden 17. Jahrhundert wurde das Monument, zu dem die Figuren gehörten, möglicherweise entfernt. Seine Überreste gelangten in das Steinlager des Doms und wurden 1750 beim Bau der Fundamente der „Roten Mauer“ verwendet.
Literatur
Dickers, Aurelia, Ellger, Otfried (2018): Hin und weg – bedrohte Kunst. In: Archäologie in Deutschland 2018 Heft 2, S. 32-35.