Seiteninhalt
Erinnern nach 1945
Zwinger: Mahnmal für die Opfer von Gewalt mit Gedenktafeln
Dazu: Kunstwerk "Das gegenläufige Konzert" von Rebecca Horn
Standort
Promenade zwischen Hörsterstraße und Kanalstraße
Lage im Stadtplan
Erinnerungsmotiv
- Ab 1960er Jahre: Diskussion des Vorschlags, Zwinger zum Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus zu machen.
- Juli 1964: "Im Rat bestand die vorherrschende Meinung, den Zwinger als Ehrenmal auszubauen. In der Bürgerschaft war man anderer Meinung..." (MZ, 29.7.1964)
- 1985: erste Gedenktafeln zur Erinnerung an die Opfer der Nazi-Diktatur, Mahnung zum Frieden
- 1989: Mahnmal für "Opfer der Gewalt"
- 1997: offizielles Mahnmal der Stadt Münster. Als Mahnmal erinnert der Zwinger heute nicht nur an die Opfer der Nationalsozialisten, sondern auch an die Menschen, die in seinen Mauern insgesamt den Tod fanden.
Geschichtlicher Hintergrund
Der Zwinger wurde als kreisrundes Festungsbauwerk zwischen 1520 und 1530 gebaut. Der erste Quellennachweis des "großen Bollwerks" wird mit 1532 datiert.
Der Zwinger hatte zunächst Funktionen als Wehrturm, Rossmühle und Pulverlager.
- 1732/33: Umbau zum Gefängnis: Untersuchungsgefängnis mit 18 Zellen, daneben Neubau eines Zuchthauses (Besserungs-/Arbeitshaus)
- 1764: Beschluss zur Schleifung der Stadtbefestigung, Anlage der Promenade, vollständige Umgestaltung der Topographie
- 19. Jh.: Nutzung als Gefängnis, drastische Verschlechterung der Zustände
- 1911: Kauf des Zwingers durch die Stadt Münster
- 1914: Abbruch des Zuchthauses neben dem Zwinger
- 1919-1935: Teilumbau und Nutzung durch den Maler Friedrich Wilhelm Liel
- Ab 1936: Nutzung durch Hilterjugend
- 1938: Umbau zum Hitlerjugend-Kulturheim
- Ab 1939: öffentlicher Luftschutzraum
- Mai 1944 bis Mai 1945: Hinrichtungsstätte und polizeiliches Durchgangslager der Gestapo, Zwischenstation auf dem Weg in Konzentrationslager vor allem für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus Russland und Polen
- 1944/45: Zerstörungen im Bombenkrieg
- Nach Kriegsende kein Wiederaufbau, kein langfristiges Konzept zur Rettung des Bauwerks
- 1951: Beseitigung des Trümmerschutts
- 1955: Ausbesserungsarbeiten
- 1957: Beschluss, Ruine stehen zu lassen, weitere Sicherungsmaßnahmen bis 1980er Jahre
- 1981: Beschluss des Denkmalschutzes
- 1986: Eintrag in die Denkmalliste der Stadt
- 1987: Errichtung des Kunstwerkes von Rebecca Horn
- 1989, 13.9.: Ratsbeschluss zur Restaurierung und Nutzung als öffentliche Gedenkstätte, Ankauf der Skulptur, Errichtung eines provisorischen Satteldaches
- Bis 1994: Entwicklung eines Restaurierungskonzeptes
- 1994: Ankauf des integrierten Kunstwerks von R. Horn
- 1997: Abschluss der Restaurierung
- 1997, 18.6.: Eröffnung des Zwingers als offizielles Mahnmal der Stadt Münster
Entwicklung des Zwingers zum zentralen Mahnmal für Opfer des Nationalsozialismus
Zwischen dem Beginn der 1960er Jahre und der Erklärung des Zwingers zum offiziellen Mahnmal der Stadt Münster gab es vielfach öffentliche kontroverse Diskussionen um die Verwendung des Zwingers. Davon zeugt die grobe Aufstellung:
- 1962: Stadtschulrat Karl Hoss bittet Prof. Fritz Reese, sich Gedanken um ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus zu machen
- 1963, 14.1.: 1. Vorschlag Reeses, Zwingerruine zum Mahnmal umzugestalten
- [1964: Holztafel am Rathaus als provisorisches Mahnmal]
- 1966 Bestätigung durch Augenzeugen, dass im Zwinger Hinrichtungen der Nazis stattfanden
- 1966, 2.5.-1969: Zustimmung zur Ratsvorlage über Errichtung eines Mahnmals für die Opfer des Krieges und der Gewalt im Zwinger nach dem Entwurf von Reese, Entwicklung von Umbauplänen
- Protest der Soldatenverbände - Forderung an die Stadt zur Errichtung eines Ehrenmals für gefallene Soldaten
- 1969, 28.4.: Ratsbeschluss: Entwürfe für das eigentliche Mahnmal im Inneren des Zwingers - kein Ergebnis. Spätere Reduzierung des Mahnmalgedankens auf eine Bronzetafel am Zwinger
- 1971-1974: Entwicklung von Plänen für bauliche Instandsetzung, Auftrag an Heinrich Böll zur Texterstellung, Ende 1974 Architektenpläne verworfen
- 1977, 18.5.: Anbringung einer Bronzetafel zur Baugeschichte (Tafel 1)
- Beginn der 1980er Jahre: antifaschistische Gruppen entwickeln "revolutionär neue Mahn- und Gedenkstättenidee" für den Zwinger
- 1981, 1.9. Aufruf des Deutschen Gewerkschaftsbundes zum Frieden, Anlass für Bürgerantrag vom 13.12.1982 zur Errichtung eines Friedensdenkmals im Promenadenbereich
- 1983, 19.10.: Ratsvorlage zur Errichtung eines "Mahnmals für Frieden und Freiheit" (CDU-Unterstützung), möglicher Standort: Bereich um den Zwinger
- 1984, 23.1.: GAL-Antrag zur Anbringung einer Gedenktafel am Zwinger zur Erinnerung an die Opfer des Faschismus
- 1984: DGB, SPD, Jusos, GAL, DKP, kath. und ev. Studentengemeinde, AStA, Friedensinitiative Münster, VVN gründen Initiative 8. Mai, die ebenfalls eine Gedenktafel am Zwinger errichten will.
- 1985, 9.3. Ratsantrag zur Anbringung einer Tafel. (Text: "An dieser Stelle wurden Antifaschisten, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter unter der Naziherrschaft ermordet. Zum Gedenken an alle Opfer des Hitlerfaschismus. Mahnung für den Frieden.") Obwohl Ratsantrag nicht entschieden war, brachte die Gruppe am 8. Mai die Tafel im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an. (Tafel 2)
- 1985, 14.5.: Beschluss zur Errichtung von Gedenktafeln bzw. Denkmälern zur Erinnerung an Opfer des Nationalsozialismus: "Die Stadt Münster errichtet eine eigene Gedenktafel mit einem neuen Text."
- 1985, 29.5.: GAL-Antrag, die Tafel vom 8.5. zu erhalten, Ablehnung, Mitte August wird die Tafel mit blauer Farbe übergossen und am 27.08. entwendet.
- 1985, 11.9.: Beschluss des Hauptausschlusses zur Anbringung einer städtischen Gedenktafel; Erlaubnis für "Initiative 8. Mai" zur Anbringung einer Ersatztafel
- 1986, 21.3.: Anbringung einer städtischen Gedenktafel ohne offizielle Enthüllung auf dem Gehweg am Zwinger (Tafel 3)
- 1989, 13.9.: Ratsbeschluss Zwinger: öffentliche Gedenkstätte, Mahnmal für "Opfer der Gewalt"
- 1994-1997: Diskussion über die Restaurierung und Integration des Kunstwerkes
- 1997, 18.6: Ende eines 35jährigen Prozesses um die Nutzung des Zwingers und die Errichtung eines Mahnmals - Zwinger offizielles Mahnmal der Stadt Münster: Bau- und Kunstwerk sollen erinnern "an die Opfer der Gewalt in Münster, an die Opfer der Kriegsgewalt und der Verfolgung Unschuldiger ... besonders an die unmenschliche Strafjustiz und den Terror gegen politische Gegner, Angehörige von Minderheiten und Kriegsgefangene während des Naziregimes".
- Seit 1998: Zweigmuseum des Stadtmuseums Münster
Öffentliche Wahrnehmung
Seit 1997: Ort von Gedenkveranstaltungen der Stadt Münster, verschiedener Institutionen und Initiativen.
Am 27. Januar: "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" mit Ansprachen und Kranzniederlegung mit anschließendem ökumenischen Gottesdienst sowie einer Veranstaltung auf dem Platz des Westfälischen Friedens)
Gedenkveranstaltungen am 8. Mai, 1. September und am Volkstrauertag
Seit April 1998 öffnet die Stadt den Zwinger sonntags für die Öffentlichkeit. Jeweils von März bis Oktober bietet das Stadtmuseum Rundgänge und Führungen an.
1987: Zur Ausstellung Skulptur.Projekte wird im Zwinger die Skulptur "Das gegenläufige Konzert" von Rebecca Horn installiert. Zusammen mit ewigen Lichtern an den Wänden lösen 42 Metallhämmer regelmäßig ein tickendes Geräusch aus.
2012, April: Diebstahl der beiden Bronzetafeln von der Wand des Zwingers (Tafel 1 und 3)
2013, Oktober: Anbringung von neuen Tafeln aus Sandstein (Tafel 1 und 3 mit verändertem Text)
Inschriften
Tafel 1 - Bronzetafel der Vereinigung Niederdeutsches Münster (1977)
Der Zwinger / kreisrundes Bollwerk mit ehemals / steilem Kegeldach um 1525/30 etwa / 20 Meter vor der Stadtmauer des / 12./13. Jh. errichtet, im 2. Weltkrieg / schwer beschädigt, danach / teilweise abgetragen.
Tafel 2 - Gedenkstein der Initiative 8. Mai neben dem Zwinger (1985)
An dieser Stelle / wurden während / der Naziherrschaft / Antifaschisten, / Zwangsarbeiter / und / Kriegsgefangene eingekerkert / und ermordet. / Im Gedenken an / alle Opfer des / Hitlerfaschismus. Mahnung / für den Frieden!
Tafel 3 - Bronzetafel der Stadt Münster am Zwinger (1986)
"Im Zweiten Weltkrieg wurden in der Stadt Münster auf Befehl / der Geheimen Staatspolizei zahlreiche russische und polnische / Zwangsarbeiter im Untersuchungsgefängnis am Hindenburgplatz, in / der neuen Artillerie-Kaserne am Hohen Heckenweg, im Zucht- / haus an der Gartenstrasse und im Befestigungswerk Zwinger / ermordet. Der Zwinger war in der Zeit von Sommer 1944 bis / Anfang 1945 Inhaftierungs- und Hinrichtungsstätte der Geheimen / Staatspolizei. Dort wurden ausländische Zwangsarbeiter gefol- / tert und gehängt. / Ihr Tod ist uns Verpflichtung zu Mahnung und Versöhnung.
Erneuerte Tafel 3 der Stadt Münster mit geändertem Text (2013)
"Im Zweiten Weltkrieg wurden in der Stadt Münster auf Befehl / der Geheimen Staatspolizei zahlreiche russische und polnische / Zwangsarbeiter inhaftiert. Von Sommer 1944 bis Anfang 1945/ wurden im Zwinger zahlreiche Zwangsarbeiter gefoltert und / gehängt. Ihr Tod ist uns Verpflichtung zu Mahnung und Versöhnung. // Seit 1997 ist der Zwinger ein Mahnmal und erinnert an die Opfer / der Gewalt in Münster, an die Opfer der / Kriegsgewalt und der Verfolgung Unschuldiger, besonders an die unmenschliche Strafjustiz / und den Terror gegen politische Gegner, Angehörige von / Minderheiten und Kriegsgefangene während des Nazi-Regimes."
Quellen
Quellen im Stadtarchiv
Oberbürgermeister Nr. 234 (Mahnmal Zwinger 1963-1973)
Oberbürgermeister Nr. 242 (Gedenktafel 8. Mai)
Amt 40 Nr. 155: Niederschrift Kunstkommission 08.12.1970
Stadt-Dok: Nr. 233 (Mahnmaldiskussion in den 1960er Jahren)
Zeitungsausschnittsammlung Nr. 79
Zeitungsausschnitte
unter anderem:
Münstersche Zeitung, 1.8.1959
Münstersche Zeitung, 3.5.1966
Westfälische Nachrichten, 3.5. und 12.11.1966
Münstersche Zeitung, 22.4.1967
Münstersche Zeitung, 9.8.1985
Westfälische Nachrichten, 22.8.1987
Münstersche Zeitung, 9.5.1988
Westfälische Nachrichten, 9.5.1988: "Marsch für Öffnung des Zwingers"
Westfälische Nachrichten, 4.9.1992
Literatur
- Über die baulichen Gegebenheiten informiert ausführlich Bd. I, S. 158ff. des sechsbändigen Werkes von Max Geisberg "Die Stadt Münster" (Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen, Bd. 41)
- Franz-Helmut Richter, Ein Denkmal für den Widerstand und der Widerstand gegen ein Mahnmal. Die Diskussion um das Denkmal für den Kardinal von Galen und ein Mahnmal am Zwinger. In: Stefan Rahner u.a., "Treu deutsch sind wir - wir sind auch treu katholisch." Kardinal von Galen und das Dritte Reich, Münster 1987
- Andre Engelhardt; Ute Kopshoff; Alexander Trzeciak, Zwischen Heil Hitler und Helau. Die Geschichte des Zwingers in Münster, Münster 1993. Schülerwettbewerb Deutsche Geschichte 1992/93, Denkmal: Erinnerung, Mahnung, Ärgernis [Signatur: 4 SAB 119]
- Jeannette Nowak, Denkmäler und Diskussionen nach 1945. Die Erinnerung an den Nationalsozialismus in Münster, 2001, S. 29f. [Signatur HSS 603]
- Bernd Thier, Der Zwinger nach 1945 - Der lange Weg zum Mahnmal. In: Stadt Münster (Hg.), Der Zwinger in Münster. 1528 - 1732 - 1945 - 1997 und "Das gegenläufige Konzert" von Rebecca Horn, Münster 2003, S. 117ff.
- Barbara Rommé, Der Zwinger. Bollwerk, Kunstwerk, Mahnmal, Münster 2007